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Portugal
Linke Regierung will zurück zur 35-Stunden-Woche

Portugal galt einst als Musterschüler Europas, bei der Umsetzung der Sparpolitik. Seit dem das Bündnis aus linken Parteien die Regierungsgeschäfte übernommen hat, läuft es aber wieder anders. Denn die neue Regierung ist dabei einige politischen Projekte wieder zurückzunehmen. So soll die die 35-Stunden-Woche wieder eingeführt werden.

Von Tilo Wagner | 25.05.2016
    Die linken Oppositionsparteien haben die Mitte-Rechts-Regierung in Portugal gestürzt.
    Seit November 2015 ist die linke Regierung in Portugal an der Macht. (picture alliance/EPA/MIGUEL A. LOPES)
    In der Lissabonner Zentrale der Gewerkschaft für Staatsbedienstete SINTAP geht es hektisch zu. Generalsekretär João Abraão und sein Team bereiten sich seit Wochen auf eine Entscheidung des portugiesischen Parlaments vor: Das Linksbündnis will die 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst wiedereinführen. Und damit rückgängig machen, was ihre konservative Vorgänger-Regierung mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise vor knapp drei Jahren beschlossen hatte: eine wöchentliche Arbeitszeit der Staatsbediensteten von 40 Stunden.
    Das habe nicht zu einer effizienteren, kostengünstigeren Verwaltung geführt, sagt Gewerkschaftler Abraão. Im Gegenteil:
    "Wir mussten zum Beispiel in den Stadtverwaltungen die Ämter länger geöffnet lassen, obwohl es überhaupt kein Publikumsverkehr gab. Das hat zusätzliche Kosten verursacht. Zudem hat die vorherige Regierung keine frei gewordenen Stellen neu besetzt und so zu Personalengpässen beigetragen. Die Verlängerung der Arbeitszeiten hat in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Zerstörung des öffentlichen Dienstes geführt – auf Kosten der Bürger. In dieser angespannten finanziellen Situation haben viele unserer Staatsbediensteten den Ansporn und die Motivation verloren. Deshalb müssen wir jetzt so schnell wie möglich die Dinge wieder ins Lot bringen."
    Seit 2015 sind die Sozialisten an der Macht
    Regelmäßige Streiks haben in den vergangenen Jahren immer wieder Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt. Das Klima zwischen Gewerkschaften und der vorherigen Regierung war vergiftet. Seit aber die Sozialisten im November 2015 die Macht übernommen haben, sind sie auf eine Wiedergutmachung mit dem öffentlichen Sektor aus: Gehaltskürzungen wurden zurückgenommen, gesetzliche Feiertage wiedereingeführt und ein Programm vorgestellt, wie Bereiche der öffentlichen Verwaltung modernisiert werden können. Das schaffe Vertrauen, sagt Gewerkschaftsführer Abraão – auch um eine Staatsreform durchzuführen, an deren Umsetzung die konservative Regierung gescheitert war. Die Reform soll bürokratische Hürden abbauen und den Einsatz der rund 650.000 öffentlich Beschäftigten effizienter gestalten:
    "Eine Staatsreform kann man nur durchführen, wenn alle tagtäglich daran beteiligt sind, also die politischen Kräfte, die gesellschaftlichen Partnern, die Bürgerbewegungen. Eine Staatsreform macht man nicht, indem man ein Gesetz verabschiedet. Sie hat nur Erfolg, wenn wir alle daran glauben und über sie diskutiert wird und die Folgen analysiert werden."
    Dennoch bleiben die Pläne zur Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche umstritten. Der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank hat in einem Interview mit der portugiesischen Tageszeitung "Público" vor den finanziellen Konsequenzen der Maßnahme gewarnt.
    Die Sorge, dass Portugal wegen seiner schwächelnden Wirtschaftsleistung und der angespannten Haushaltslage wieder die Stabilitätskriterien des Euro nicht einhalten könnte, teilt auch José Manuel Fernandes, Herausgeber der einflussreichen Online-Zeitung "Observador".
    "Wenn wir alle Reform- und Sparmaßnahmen der letzten Jahre zurücknehmen, wirft das ein schlechtes Licht auf Portugal – das sagen auch die internationalen Institutionen. Außerdem verursacht die Reduzierung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst direkt Kosten, vor allem im überlasteten Gesundheitssektor, wo dann entweder Überstunden anfallen oder neues Personal eingestellt werden muss. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Kosten für die öffentliche Verwaltung in Portugal jetzt schon relativ hoch sind."
    Politisches Eingeständnis der Sozialisten?
    Zudem scheint die Maßnahme gegen die Richtlinie der Haushaltspolitik zu laufen, die sich die sozialistische Minderheitsregierung selbst gesetzt hat. Anstatt die Steuerlast für die Bürger zu erhöhen will die Regierung vor allem in den Ministerien sparen, um die Defizitvorgaben aus Brüssel einhalten zu können. José Manuel Fernandes hat keinen Zweifel: Die 35-Stunden-Woche ist nicht der Beginn einer tief greifenden Staatsreform, sondern vor allem ein politisches Eingeständnis der Sozialisten an ihr Wähler und Regierungspartner:
    "Diese Maßnahme ist vor allem auch nach innen gerichtet: Denn alle Parteien des Linksbündnisses haben die 35-Stunden-Woche gefordert: Die Kommunisten, weil sie eng an die Gewerkschaften gebunden sind, der Linksblock, weil viele Wähler in den Universitäten arbeiten, also direkt betroffen sind. Und schließlich auch die Regierung: Denn bis auf ein paar Ausnahmen kommen die Minister und Staatssekretäre alle aus dem öffentlichen Sektor. Sie waren Berufspolitiker oder Professoren oder arbeiteten in öffentlichen Institutionen. Jetzt lassen sie eine gewisse Sensibilität vermissen, dass es außer der öffentlichen Verwaltung noch andere Probleme zu lösen gibt."