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Portugal
Neue Wege des Protestes

Am Samstag endet offiziell das Hilfsprogramm für Portugal. Das Land verlässt den Euro-Rettungsschirm, doch in der Gesellschaft sind die Folgen der jahrelangen Sparpolitik zu spüren: Eine überwältigende Mehrheit glaubt, dass die Demokratie in ihrem Land nicht richtig funktioniert.

Von Tilo Wagner | 16.05.2014
    Die Flaggen Portugals und Europas
    Die Flaggen Portugals und Europas: Lissabon will ohne weitere Hilfen auskommen. (dpa / picture-alliance / Peter Zimmermann)
    Am 12. März 2011 gingen Hunderttausende Portugiesen gegen den Sparkurs der Regierung auf die Straße. Studenten, Arbeitslose, Unternehmer und Hausfrauen demonstrierten gemeinsam für mehr Gerechtigkeit und eine bessere Zukunft. João Labrincha hatte die Demo damals übers Internet organisiert. Der 31-Jährige gehört zu einer Generation von gut ausgebildeten Portugiesen, die in ihrer Heimat trotzdem keinen guten Job finden:
    "Wir selbst waren damals überrascht. Wir hatten mit 10 bis 15.000 Menschen gerechnet, aber doch nicht mit 500.000. Wir haben den Tag danach nicht wirklich vorbereitet, weil wir mit einem derartigen Massenprotest nicht gerechnet hatten."
    Großdemonstrationen waren bis dahin in Portugal fast ausschließlich von den Gewerkschaften organisiert worden. Vor allem der den Kommunisten nahe stehende Dachverband CGTP hatte keine Mühen gescheut, um aus dem ganzen Land regelmäßig Gewerkschaftsmitglieder zu Massenprotesten in die Hauptstadt zu transportieren. Für die Großdemonstrationen, die nach diesem 12. März 2011 immer wieder Hunderttausende auf die Straßen zogen, war der Aufwand wesentlich geringer, die Mobilisierung erfolgte spontan und übers Internet.
    Die Krise habe die Menschen in Portugal dazu gebracht, ihre Stimme zu erheben, glaubt eine junge Frau. Die Portugiesen seien nicht wirklich erwacht, findet hingegen dieser Lissabonner Student. Sie seien zwar kritischer, aber nähmen nicht unbedingt mehr am politischen Leben teil. Und dieser Unternehmer glaubt, dass die Portugiesen ihr Vertrauen in die Politik in den vergangenen Jahren endgültig verloren haben und nach den großen Protesten nun nicht mehr aufbegehren.
    "Nimm dein Leben selbst in die Hand!"
    Auch die Organisatoren der ersten großen Massendemonstration im März 2011 hatten eigentlich auf eine andere Reaktion gehofft. João Labrincha erinnert sich:
    "Die meisten kamen zu uns und haben von uns erwartet, dass wir wieder alles für sie in die Hand nehmen: Neue Massendemos organisieren, oder mit den Politikern sprechen, oder eine neue Partei gründen. Unsere Botschaft war aber: 'Mach du es! Du kannst das! Nimm dein Leben selbst in die Hand, schließe dich mit Freunden zusammen und verändere etwas!' Doch diese Botschaft kam nicht wirklich an."
    Laut einer aktuellen Umfrage glauben 83 Prozent der Portugiesen, dass die Demokratie in ihrem Land nicht richtig funktioniert. Dieses Gefühl hat sich in den Krisenjahren verstärkt. Die gleiche Studie stellte auch fest, dass sich die Portugiesen zwar phasenweise mobilisieren lassen. Eine kontinuierliche und aktive Teilnahme an der Gestaltung der politischen Zukunft sei jedoch kaum festzustellen.
    João Labrincha hat die Hoffnung dennoch nicht verloren. Sein neues Projekt zielt deshalb nicht darauf ab, neue Massendemos zu organisieren:
    "'Ich glaube nicht mehr an die Politiker', sagen viele Portugiesen. Und darauf antworten wir: 'Dann sei du dein eigener Politiker.' Diese Idee ist die Grundlage für unsere zivilgesellschaftliche NGO 'Academia Cidadã', die wir jetzt gegründet haben. Und es gibt in dieser Krise positive Zeichen: Viele Leute wollen bei unserem Projekt mitmachen. Und wir wollen ihnen die Werkzeuge in die Hand geben und neue Wege aufzeigen. Sie können sich unserer NGO anschließen, oder wir zeigen ihnen, wie sie ihr eigenes Projekt ins Leben rufen."