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Portugal
Sozialistische Regierung vereidigt

Wochenlang hatte sich der konservative Staatspräsident Cavaco Silva in Portugal gegen eine Linksregierung gestellt. Jetzt konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Der Vereidigungstermin der linken Minderheitsregierung wurde vorverlegt. Kritiker befürchten, dass nun das Chaos ausbricht.

Von Tilo Wagner | 27.11.2015
    Die linken Oppositionsparteien haben die Mitte-Rechts-Regierung in Portugal gestürzt.
    Die linken Oppositionsparteien haben die Mitte-Rechts-Regierung in Portugal gestürzt. (picture alliance/EPA/MIGUEL A. LOPES)
    José Gonçalves betreibt seit über 20 Jahren ein winziges Lebensmittelgeschäft in einer Markthalle im Norden Lissabons. Die Ortsverwaltung des Arbeiterviertels Carnide wird seit Jahren von der Kommunistischen Partei geführt. Mit Erfolg, sagt Gonçalves:
    "Die Kommunisten haben sich hier richtig ins Zeug gelegt - und das ist wichtig, finde ich. Mir ist es eigentlich ganz egal, ob der Ortvorsteher links oder rechts ist. Hauptsache er strengt sich an und bringt unsere Gemeinde voran."
    Der Ladenbesitzer hat keine Angst, dass eine sozialistische Regierung, die von den Kommunisten unterstützt wird, Portugal nun ins Chaos stürzen werde. Gonçalves weiß zwar, dass die kommunistische Partei sich offen gegen den Euro und die Nato ausspricht. Doch dazu fällt ihm ein Sprichwort ein:
    Das seien nur Worte, auf die keine Taten folgen. Er hoffe, dass sich die neue portugiesische Regierung jetzt wieder mehr um die Interessen der Arbeiter kümmern werde.
    Die Gelassenheit des Lebensmittelhändlers über die neue Linksregierung teilen portugiesische als auch internationale Medien nicht. Ein großer Teil der Öffentlichkeit scheint zu fürchten, dass der Schulterschluss zwischen den gemäßigten Sozialisten und drei radikaleren Linksparteien in Portugal nun zu einem ähnlichen Drama führen könnte, wie es Griechenland nach dem Wahlsieg von Syriza erlebte.
    Historiker: Die kommunistische Partei verbindet revolutionäre Ideen mit Pragmatismus
    Doch diese Ängste seien von den Rechtsparteien bewusst geschürt worden und würden von großem Unwissen zeugen, sagt José Pacheco Pereira. Der gelernte Historiker war in den 1990er Jahren Fraktionsvorsitzender der konservativen Partei PSD gewesen. In diesen Tagen erscheint seine Biografie des legendären portugiesischen Kommunistenführers Álvaro Cunhal. Pacheco Pereira widerspricht der Meinung, dass die Abhängigkeit der neuen sozialistischen Regierung von den Kommunisten ein Faktor für politische Instabilität sein muss.
    "Die kommunistische Partei verbindet ihre revolutionären Ideen mit einem hohen Grad von Pragmatismus. In meiner Zeit als PSD-Fraktionsvorsitzender im portugiesischen Parlament habe ich immer wieder mit den Kommunisten verhandeln müssen. Und es ist sehr einfach, mit ihnen zu verhandeln. Denn sie versprechen niemals irgendwas, was sie nicht umsetzen können. Und in dieser Hinsicht sind sie ein sehr zuverlässiger Partner."
    Gehaltskürzungen und Sondersteuern sollen zurückgenommen werden
    Staatspräsident Cavaco Silva und führende Vertreter der konservativen Parteien haben in den vergangen Wochen immer wieder daraufhin gewiesen, dass die radikaleren Linksparteien gegen die Grundsätze seien, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben, zum Beispiel Portugals Zugehörigkeit zur Nato. Das sei jedoch eine sinnlose Debatte, sagt Pacheco Pereira:
    "Die Kommunisten und der Linksblock werden ihre ablehnende Haltung gegenüber der Nato nicht verändern. Aber darum geht es bei dem Linksbündnis nicht. Hier stehen die gemeinsamen wirtschaftlichen Ideen viel stärker im Vordergrund. Portugals Zugehörigkeit zur Nato hat in den vergangenen Jahre fast keine Rolle im politischen Leben gespielt. Deshalb werden die unterschiedlichen Positionen bestehen bleiben, aber das Thema der Nato wird deswegen nicht plötzlich in den Mittelpunkt der politischen Debatte rücken."
    Die sozialistische Minderheitsregierung hat mit jeder der drei Linksparteien ein separates Abkommen geschlossen, um im Parlament eine absolute Mehrheit zu garantieren. Die Vereinbarungen halten fest, dass die Gehaltskürzungen und Sondersteuern der vergangenen Jahre schrittweise zurück genommen und Niedrigrenten erhöht werden sollen. So soll der Konsum gefördert und damit mehr Wachstum geschaffen werden. Doch das Kooperationsmodell der Linksparteien birgt Risiken. Denn wenn Portugal die Defizitobergrenze des Euroraums wieder reißen sollte, könnte der Druck auf die Sozialisten zunehmen, neue Sparmaßnahmen umzusetzen. Pacheco Pereira glaubt, dass die Kommunisten, die den Fiskalpakt und andere europäische Verträge zur Stabilisierung der Staatsschulden in der Eurozone ablehnen, eine Rückkehr zur Sparpolitik nicht mitmachen würden:
    "Hier treten die unterschiedlichen Ideologien der Linksparteien zu Tage. Sollte die Konjunktur in Portugal nachlassen, weil auf nationaler Ebene Fehler gemacht wurden, dann könnte sich die Lage für die sozialistische Minderheitsregierung schlagartig verschlechtern."