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Portugal
Sparzwang und Reformstau sorgen für Stillstand

Bundespräsident Joachim Gauck trifft heute zu einem dreitägigen Staatsbesuch in Portugal ein. Gauck will mit Staatspräsident Cavaco Silva und Regierungschef Passos Coelho über die Zukunft des Landes reden. Doch in Portugal herrscht zurzeit politischer Stillstand. Schuld daran sind eine ausstehende Staatsreform und parteiinterne Machtkämpfe.

Von Tilo Wagner | 23.06.2014
    Die Parlamentsdebatten in Portugal drehen sich seit gut zwei Wochen um ein zentrales Thema: die vom Verfassungsgericht Anfang Juni gekippten Spargesetze der Regierung. Die Mitte-Rechts-Koalition muss nun die Gehaltskürzungen im Öffentlichen Dienst, die Steuern auf Arbeitslosen- und Krankengeld und die Kürzungen der Witwenrente zurücknehmen. Bis zu einer halben Milliarde Euro könnten im laufenden Haushaltsjahr fehlen. Es ist bereits das achte Mal in den vergangen Jahren, dass das Verfassungsgericht die Sparpläne der Regierung durchkreuzt.
    Es gebe keine Grabenkämpfe mit dem Verfassungsgericht, beteuerte Premierminister Passos Coelho im Parlament, aber so richtig scheint ihm niemand mehr zu glauben. Längst haben führende Regierungspolitiker die Verfassungsrichter zum Sündenbock für den Reformstau im Land erklärt.
    Tiago Caiado Guerreiro, Steuerrechtsexperte in einer Lissabonner Großkanzlei, teilt diese Kritik. Die Reformen sind aus seiner Sicht nötig, da Portugal die Gehälter im Öffentlichen Dienst und die Renten langfristig nicht mehr bezahlen könne:
    "Das jüngste Urteil hat zwei Folgen: Erstens verliert der Staat einen Teil seines eingeplanten Einkommens. Und zweitens verliert Portugal international weiter an Vertrauen. Diese Regierung versucht den Staatsapparat zu reformieren und die viel zu hohen Kosten im Öffentlichen Dienst einzuschränken. Das Verfassungsgericht hat aber immer wieder Gehaltkürzungen und Entlassungen im öffentlichen Sektor abgelehnt. Und damit verhindert es auch, dass unsere Wirtschaft neu strukturiert wird."
    Noch hat die Regierung nicht erkennen lassen, wie sie das neue Loch im Haushalt stopfen will. Die Koalition scheint auf Zeit zu spielen und das Problem durch Aussitzen lösen zu wollen. Zum einen könnte die sich erholende portugiesische Wirtschaft stärker wachsen als erwartet und so mehr Geld in die Staatskassen spülen. Zum anderen verfolgt man auch in Portugal mit Interesse die Debatte um die Aufweichung von Sparzielen, die führende sozialdemokratische Politiker in Europa, darunter der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel, in den vergangenen Tagen angestrengt haben.
    Finanzexperte Guerreiro hält das Abwarten der Regierung für gefährlich. Portugal müsse dazu gezwungen werden, die Staatsreform durchzuboxen. Sonst stehe der Konsolidierungskurs mittel- und langfristig auf der Kippe:
    "Das Land wird sich nur reformieren, wenn der Druck von außen weiter vorhanden ist. Eine Verfassungsänderung muss her. Und wenn das nicht geschieht, müssen die internationalen Geldgeber und die Europäische Zentralbank ihre Unterstützung für Portugal in Frage stellen."
    Doch dem Druck aus dem Ausland will sich offenbar sogar die Regierung entziehen. Sie verzichtet auf die letzte milliardenschwere Tranche aus dem Rettungspaket, um nicht noch einmal mit der Troika aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank verhandeln zu müssen.
    Doch eine Verfassungsänderung, so Politologe Pedro Magalhães, sei auch ohne Drohungen aus Brüssel, Washington oder Frankfurt möglich.
    "Die Vorstellung, dass unsere Verfassung keinerlei Reformen zulässt, gab es schon einmal in den 1980er-Jahren. Und trotzdem gab es dann eine Verfassungsänderung, eine Öffnung der Wirtschaft und tiefgreifende Reformen. Und wie kam es dazu? Ganz einfach: Die beiden großen Parteien aus der politischen Mitte, die Sozialisten und die konservativere PSD haben sich einigen können. In Portugal gibt es heute wie damals keine Blockadehaltung. Aber was wir jetzt haben, sind zwei Parteien, die sich einfach nicht einigen können/wollen."
    Daran dürfte sich auch in den kommenden Monaten kaum etwas ändern. Denn nicht nur bei den Regierungsparteien herrscht derzeit politischer Stillstand. Seit der Europawahl lähmt ein innerparteilicher Konflikt die größte Oppositionspartei. Nach ihrem mäßigen Abschneiden bei den Europawahlen steht der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, António José Seguro, in der Kritik. Der Bürgermeister von Lissabon, António Costa, drängt an die Parteispitze und hat einflussreiche Sozialisten hinter sich gebracht, wie den ehemaligen Staatspräsidenten und Republikgründer Mário Soares. Im Machtkampf zeigt sich der amtierende Vorsitzende jedoch hartnäckig. Anstatt zeitnah einen klärenden Kongress einzuberufen, will sich Seguro erst Ende September seinem Herausforderer stellen. Portugal droht wohl auch deshalb ein Sommer des politischen Stillstands.