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Portugals Jugend auf Jobsuche

Die portugiesische Regierung hat auf Drängen von EU und IWF inzwischen Strukturreformen durchgesetzt. Zum Beispiel ein neues Arbeitsgesetz, das die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Landes steigern soll. Doch dem Sparkurs fallen auch wichtige Umschulungsinitiativen zum Opfer. Die Möglichkeiten für Arbeitslose, wieder eine Anstellung zu finden, werden dadurch noch geringer.

Von Tilo Wagner | 15.02.2012
    Das Arbeitsamt im gutbürgerlichen Lissabonner Stadtteil Saldanha ist brechend voll. Tiago Peixoto steht vor einer riesigen Pinnwand und liest Stellenangebote. Gerade einmal sechs Jobs sind ausgeschrieben zum Mindestlohn von 475 Euro im Monat. Tiago ist studierter Historiker. Doch nach fast einem Jahr Arbeitslosigkeit hätte der 33-Jährige keine Hemmungen, als Verkäufer oder Friseur anzufangen:

    "Es geht hier nicht darum, was mit gefällt oder was mir nicht gefällt. Darüber bin ich längst hinweg. Ich habe einfach keinerlei Erfahrung in den ausgeschriebenen Jobs."

    Tiago Peixoto gehört zu der wachsenden Gruppe von arbeitslosen Akademikern in Portugal. Allein im vergangenen Jahr waren fast 70.000 studierte Portugiesen ohne Job - fast ein Drittel mehr als noch im Vorjahr.

    Die portugiesische Regierung hat zwar ein neues Arbeitsgesetz beschlossen, das den Arbeitsmarkt flexibilisieren und die Produktivität steigern soll. Da die Portugiesen in Zukunft für dasselbe Geld mehr arbeiten müssen, sinken die relativen Lohnkosten für die Unternehmen tatsächlich. Tiago Peixoto glaubt trotzdem nicht, dass dadurch mehr Stellen geschaffen werden:

    "Wenn wir eine Wirtschaft auf dem Niveau von Burkina Faso haben wollen, dann bringt das neue Gesetz tatsächlich etwas. Wir werden aber dadurch nicht produktiver, sondern wir werden lediglich mehr arbeiten. Und das tun wir schon jetzt. Im meinem letzten Job musste ich wöchentlich 50 Stunden arbeiten, die Überstunden hat man mir in Einkaufsgutscheinen ausbezahlt."

    Zwei Jahre lang hat Tiago in einem Call Center gearbeitet, die Hälfte seiner Kollegen waren ausgebildete Akademiker. Sein Arbeitgeber hätte ihm gemäß der alten gesetzlichen Regelung vor einem Jahr einen Festvertrag anbieten müssen. Stattdessen erhielt Tiago die Kündigung. Das neue Arbeitsgesetz gibt den Unternehmen jetzt die Möglichkeit, Angestellte noch länger über Zeitverträge mit sehr geringer sozialer Absicherung zu beschäftigen. Produktivität schaffe man anders, sagt Tiago:

    "Wenn jemand für den Mindestlohn arbeitet und keinerlei Perspektive hat, dass er einen Festvertrag bekommt oder innerhalb des Unternehmens aufsteigen kann, dann verliert er jede Form von Motivation. Und das muss doch negative Auswirkungen auf die Produktivität haben."

    Die Arbeitsmarktreform der Regierung sieht auch eine Umstrukturierung der staatlichen Jobcenter vor. Bisher jedoch fehlt ein konkreter Ansatz, wie die ineffizienten Arbeitsämter neu organisiert werden sollen. Im vergangenen Jahr konnten die Jobcenter gerade mal ein Zehntel der über 600.000 Arbeitslosen in Portugal vermitteln.

    Auch Tiago Peixoto wartet seit August auf ein Angebot des Arbeitsamtes. Durch Weiterbildungsmaßnahmen versucht er, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Dafür erhält er jedoch keinerlei Unterstützung vom Staat:

    "Da ich einen Universitätsabschluss habe, habe ich kein Anrecht auf eine bezahlte Umschulungsmaßnahme. Bis jetzt können sich nur die Arbeitslosen kostenlos weiterbilden, die zwölf Schuljahre oder weniger vorzuweisen haben."

    Nicht-Akademiker profitieren bislang noch von einem ambitionierten Qualifizierungsprogramm der vorherigen Regierung. Über eine Million Portugiesen haben so eine offiziell anerkannte Weiterbildung erhalten. Ein wichtiger Schritt für ein Land, dessen Arbeitnehmer im Durchschnitt weit weniger qualifiziert sind als in fast allen anderen EU-Staaten.

    Doch auch diese Politik soll nun dem Sparkurs zum Opfer fallen. Die Mitte-Rechts-Koalition um Premierminister Pedro Passos Coelho will bis August ein Drittel aller Qualifizierungszentren schließen. In Zukunft werden also auch Nicht-Akademiker selbst für ihre Umschulung aufkommen müssen.

    Tiago Peixoto, der arbeitslose Historiker, hält den Sparkurs der Regierung für falsch und damit sei er nicht allein:

    "Die Regierung argumentiert so, wie das Magret Thatcher in den 1980er-Jahren tat: "There is no Alternative" - Es gibt keinen anderen Weg als den Sparkurs. Bis jetzt verkauft sich das Motto in der Öffentlichkeit noch gut. Doch immer mehr Menschen fragen sich: Wofür das alles, was bringen uns die Sparmaßnahmen wirklich?"