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Portugals Mittelschicht in der Kreditfalle

Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanznotlage wird auch Portugal von einer schweren Immobilienkrise heimgesucht. Immer mehr Familien, insbesondere die der dünnen Mittelschicht, können sich ihre Wohnungskredite nicht mehr leisten. Denn im europäischen Vergleich verdienen selbst Lehrer und Anwälte in Portugal erheblich weniger. Jochen Faget berichtet.

11.11.2008
    Da hat er sich in seinem schmucken Appartement gerade einmal wie ein echter Angehöriger der Mittelschicht gefühlt; gemeint, es endlich geschafft zu haben. Doch dann waren die Zinsen gestiegen:

    "Ich habe diese Wohnung im März 2007 gekauft", erklärt Luís Nunes. "Und obwohl ich alles genau durchgerechnet habe, war der Kauf im nachhinein ein Fehler. Die Zinsen für den Kredit sind so stark gestiegen, dass ich jetzt 400 Euro im Monat mehr zahle, als geplant."

    Und darum kann der Freiberufler Ende 30 sich sein 120-Quadratmeter-Appartment eigentlich gar nicht mehr leisten.

    So, wie Luís Nunes geht es immer mehr Portugiesen: Mindestens 23.000 Familien - schon ein Viertel mehr, als im vergangenen Jahr - zahlen ihre Wohnungskredite nicht mehr zurück, hat die Bank von Portugal jetzt vorgerechnet. Und auch mehr und mehr Kredite auf Dinge des täglichen Bedarfs können nicht mehr bedient werden. Diese geplatzten Kredite sind gar um 70 Prozent gestiegen. Portugals dünne Mittelschicht, die es vor einem Jahrzehnt noch gar nicht gab, steht heute vor dem finanziellen "Aus". Auch Ana Almeida, Angestellte aus Lissabon:

    "Seit drei Monaten kann ich meinen Kredit nicht mehr zurückzahlen. Ich versuche gerade, mit der Bank neue Bedingungen auszuhandeln. Am Anfang habe ich 360 Euro im Monat bezahlt, inzwischen sind es fast 600."

    Wegen der weltweiten Finanzkrise stiegen in Portugal die Zinsen unerwartet stark an. Das trifft alle, besonders aber die, die sich in Portugal zur Mittelschicht zählen, selbst junge Rechtsanwälte und Lehrer. Denn erstens sind deren Einkommen mit bestenfalls rund 1000 Euro im europäischen Vergleich noch immer sehr niedrig. Und zweitens haben auch sie sich Immobilien kaufen müssen. Denn in Portugal gibt es praktisch keinen Mietwohnungsmarkt. Appartements und Häuser werden auf Pump gekauft. Autos natürlich auch. Und die Banken haben den Leuten lange Zeit das Geld hinterher geworfen, erzählt Ana Almeida:

    "Die Verführung, immer mehr Geld für Konsumgüter auszugeben, war groß. Alle haben früher oder später ganz unbürokratisch einen Kredit aufgenommen. Manche sogar für den Urlaub. Ich musste es wegen einer Wohnungsreparatur tun."

    Bei steigenden Lebenshaltungskosten und immer höheren Zinsen ist dann die Kreditfalle zugeschnappt: Ana Almeida verdient 840 Euro im Monat, 600 kostet sie heute der Wohnungskredit. Da bleibt nicht mehr genug zum Leben.

    Vor allem, weil die Banken inzwischen selbst knapp bei Kasse sind und die Wohnungen säumiger Zahler immer schneller pfänden und zwangsversteigern lassen, sollen jetzt Immobilienfonds, die vom Staat abgesichert sind, retten, was noch zu retten ist. Die Idee: Wer sich mit dem Kredit übernommen hat, verkauft seine Wohnung an die Bank. Von der hohen Kreditlast befreit, mietet er die Wohnung zu einer geringeren Summe. Ist die Krise erst einmal vorbei, kann der frühere Besitzer die Wohnung dann wieder zurückkaufen. So zumindest stellt sich das der Finanzminister vor und erntet prompt die Schelte der gesamten Opposition:

    "Da wird den überschuldeten Familien, die ums Überleben kämpfen, doch nur Sand in die Augen gestreut", meint José Manuel Ribeiro von der rechtsliberalen PSD. "Denn am Schluss werden diese Familien sich das nicht leisten können und ganz einfach ihre Wohnungen verlieren."

    Die Parteien links der regierenden Sozialisten vermuten gar eine verdeckte Rettungsaktion für Portugals verschuldete Banken. Francisco Louçã vom Linksblock etwa:

    "Diese Mietwohnungsfonds dienen doch nur dazu, den Banken faule Immobilienkredite abzunehmen, die sie anders nicht mehr eintreiben können."

    Der Angestellten Ana Almeida ist das allerdings ebenso gleichgültig wie dem Freiberufler Luís Nunes. Beide wollen nur ihre Wohnungen behalten und wissen nicht, wie. Darum würden sie notfalls auch an einen der neuen Wohnungsfonds verkaufen.