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Portugiesen bauen auf Schwäbisch Hall

Mit dem Fachkräftemangel haben vor allem Provinzstädte zu kämpfen, wie Schwäbisch Hall: Es gibt dort 2500 offenen Stellen. Jüngst forderte man auch europäische Arbeitssuchende auf, sich zu bewerben - 10.000 Portugiesen sind bislang dem Aufruf gefolgt.

Von Tilo Wagner | 20.03.2012
    Zugegeben, an ihren Deutschkenntnissen müssen viele Portugiesen noch feilen, die sich in den vergangenen Wochen auf eine Stelle in Schwäbisch Hall beworben haben. Doch der Wunsch, in das deutsche Provinzstädtchen auszuwandern, ist größer als die Hemmung vor der fremden Sprache. Der arbeitslose Lastwagenfahrer Adérito Ferreira sucht seit fünf Monaten einen Job. Die Emigration ist für ihn längst zu einer Überlebensfrage geworden:

    "Ich habe zwei kleine Kinder. Die wollen jeden Tag was essen. Mit dem mickrigen Arbeitslosengeld kommen wir nicht weiter. Das reicht nicht zum Leben."

    Deshalb hat der 35-Jährige sofort reagiert, als sich vor einem Monat in den portugiesischen Medien und sozialen Netzwerken die Nachricht von den freien Stellen in der deutschen Provinz wie ein Lauffeuer ausbreitete. Die Arbeitslosenquote in Portugal steigt kontinuierlich und hat nun fast 15 Prozent erreicht. Auch der Architekt und Immobilienfondsexperte Tiago Silva hat seinen Job verloren. Er hofft, dass nicht nur Frau und Töchter mit nach Schwäbisch Hall gehen, sondern gleich seine ganze Großfamilie:

    "Ich habe viele Cousinen und Cousins in meinem Alter, die auch arbeitslos sind. Wir stehen uns sehr nahe. Wohin es uns auch immer treibt, wir bleiben als Familie fest zusammen. Wenn ich jetzt auswandern würde, dann würden die meisten ganz sicher früher oder später nachkommen."

    Es sind aber nicht nur arbeitslose Portugiesen, die sich ein neues Leben in Deutschland vorstellen können. Silvia Fernandes und ihr Mann haben zwar einen festen Job im Großraum Lissabon. Sie suchen dennoch einen Ausweg aus ihrer angespannten finanziellen Situation. Als Silvia erfuhr, dass sich demnächst Tausende von Portugiesen auf den Weg nach Schwäbisch Hall machen werden, kam ihr eine Geschäftsidee:

    "Ich dachte mir: Wenn in Zukunft so viele Portugiesen in dieser deutschen Kleinstadt leben werden, dann sollten wir vielleicht dort ein portugiesisches Lokal aufmachen. Mit einer typischen Holztheke und Fleischgerichten auf portugiesischer Art. Ich habe also die deutsche Botschaft in Lissabon um Auskunft gefragt. Wir haben kein Geld. Aber vielleicht gibt es in Deutschland ja Fördergelder, damit wir unsere Idee umsetzen können."

    Auslöser des Hypes für Schwäbisch Hall ist ein Artikel in einer portugiesischen Wirtschaftszeitung. Sehr detailliert wurde darin auch über die vergleichsweise niedrigen Kosten für die Kleinkinderbetreuung in Deutschland berichtet. In Portugal gibt es wenige staatliche Einrichtungen. Die Kosten für private Krippen- und Kindergärtenplätze sind bei niedrigen Einkommen nicht zu stemmen. Auch Silvia Fernandes würde gerne Kinder haben, und in Deutschland, glaubt sie, könnte dieser Wunsch in Erfüllung gehen:

    "Wir sind bisher kinderlos und sehen in Portugal auch keine Zukunft. Jetzt erfahren wir, dass es in Deutschland möglich ist, ein ordentliches Gehalt zu verdienen und damit eine hohe Lebensqualität zu genießen. Genau so etwas haben wir gesucht. Also haben wir sofort unzählige Bewerbungen verschickt."

    Doch nicht alle Portugiesen wollen in Schwäbisch Hall ein neues Leben beginnen. Der Architekt Tiago Silva denkt schon an seine Rückkehr nach Portugal, bevor er überhaupt aufgebrochen ist:

    "Natürlich wollen die Staaten, dass die Fachkräfte, die aus dem Ausland angeworben werden, in ihrer neuen Heimat Wurzeln schlagen. Aber das deckt sich nicht mit meinen Vorstellungen. Ich werde mich zwar auch integrieren, insbesondere in die portugiesische Gemeinde vor Ort, aber ich will auf jeden Fall wieder zurück. Ich will in Deutschland neue Dinge lernen, und das Know-how wieder mit nach Portugal zurückbringen."

    Vor ein paar Monaten hatte Premierminister Pedro Passos Coelho viel Kritik einstecken müssen, weil er arbeitslose Portugiesen indirekt zur Migration ermunterte. Diesen Aufruf hätte sich der Regierungschef sparen können. Denn Adérito Ferreira, Silvia Fernandes, Tiago Silva und Tausend andere Portugiesen schreiben bereits aktiv an einem weiteren Kapitel der umfangreichen portugiesischen Emigrationsgeschichte.