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Poß: Beim Mindestlohn können wir keinen Flickenteppich gebrauchen

Bei der zweiten Sondierungsrunde zu einer möglichen Großen Koalition sei die Auseinandersetzung mit den Staatsfinanzen wichtig, sagt Joachim Poß. Zudem betont der SPD-Politiker noch einmal die Wichtigkeit des flächendeckenden Mindestlohns.

Joachim Poß im Gespräch mit Peter Kapern | 17.10.2013
    Peter Kapern: Berlin-Mitte, Friedrich-Ebert-Platz Nr. 2, Parlamentarische Gesellschaft, 13 Uhr – so steht es in den Terminkalendern der Unterhändler von Union und SPD. Dann werden nämlich die Sondierungsgespräche fortgesetzt. Die Grünen haben in der vorvergangenen Nacht entschieden, dass sie keine schwarz-grünen Koalitionsgespräche wollen, außer vielleicht doch und etwas später, eventuell, und nun ist es an der SPD zu entscheiden, ob sie sich auf detaillierte Verhandlungen mit dem Ziel der Regierungsbildung einlassen will.
    Am Telefon ist bei uns nun Joachim Poß, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.

    Joachim Poß: Guten Morgen.

    Kapern: Herr Poß, fangen wir mal an mit dem Tagesordnungspunkt "Bericht aus den Wahlkreisen". Gleich nach der Bundestagswahl, da haben wir gehört, die NRW-SPD, insbesondere die Genossen an der Ruhr, seien gegen eine Große Koalition. Es hieß sogar, sie seien auf der Palme. Nun weiß ich nicht, Herr Poß, wie viele Palmen es bei Ihnen in Gelsenkirchen gibt. Aber wie ist denn da im Moment der Stimmung der Parteimitglieder?

    Poß: Die ist nicht anders als in der übrigen Republik. Es ist ja nicht so, dass nur in Nordrhein-Westfalen am Wahlabend die meisten sich an ihre gewählten Abgeordneten gewandt haben wie bei mir und gesagt haben, wir wollen aber keine Große Koalition. Das ist die Realität in der ganzen SPD, nicht nur hier in Nordrhein-Westfalen, und dann war es Gott sei Dank Hannelore Kraft, die die Initiative ergriffen hat und dann schon am nächsten Tag einen Beschluss des Landesvorstandes herbeigeführt hat, mit dem der ganze Willensbildungsprozess in der SPD gebündelt und strukturiert wurde. Das war, glaube ich, ein entscheidender Schritt. Das hat dann der Konvent bestätigt und jetzt sind wir, glaube ich, in einer guten Diskussion, die zulässt, dass man über alle Optionen auch redet.

    Kapern: Hat sich denn an den Vorbehalten der Basis in den letzten Wochen seit der Bundestagswahl etwas geändert?

    Poß: Auch das wird unterschiedlich sein bei den Einzelnen, weil ja jetzt inzwischen doch alle möglichen Szenarien stärker durchdacht sind, als das vorher der Fall war. Ich glaube, jetzt kommt es darauf an, welche Gesprächsergebnisse, Ergebnisse aus den Sondierungen man vorlegt. Das wird dann das Entscheidende sein für die Diskussionen in den nächsten Tagen.

    Kapern: Welche Vorbehalte gibt es denn konkret gegen die Große Koalition? Was haben die SPD-Mitglieder dagegen einzuwenden?

    Poß: Gut, sicherlich spielt bei vielen das Wahlergebnis 2009 eine Rolle, auch wenn es nur bedingt mit der Großen Koalition selbst zu tun hatte, sondern sicherlich auch mit Vorgängen innerhalb der SPD, mit einigen wichtigen Sachthemen. Das muss man noch mal auseinanderklamüsern im Einzelnen. Aber das spielt sicherlich eine Rolle und man hat die Sorge, dass in einer solchen Konstellation Frau Merkel nach dem bewährten Motto von ihr "Gut geklaut, ist halb gewonnen" sich die Erfolge an den Hut heftet und die SPD die Hauptarbeit leistet, wie wir es ja erfolgreich in der letzten Großen Koalition gemacht haben zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Das sind sicherlich viele Sorgen von SPD-Mitgliedern.

    Kapern: Nun haben wir hier vor Kurzem im Deutschlandfunk ein Interview mit Klaus von Dohnanyi von der SPD geführt, und der hat uns da gesagt, er glaube überhaupt nicht, dass es an der Basis große Vorbehalte gegen eine Große Koalition gebe, vielmehr seien das eher einige wenige Funktionäre, die da gegen ein Bündnis mit der Union Stimmung machen. Liegt er damit so falsch?

    Poß: Ich habe nicht den Eindruck, dass Herr von Dohnanyi wirklich die SPD kennt oder die inneren Verhältnisse in der SPD und sich da ein Urteil erlauben könnte. Er kann ja auch nicht mehr redlicherweise für die SPD auftreten.

    Kapern: Warum nicht?

    Poß: Er ist SPD-Mitglied, aber er kann ja nicht für die SPD sprechen. Er hatte, glaube ich, auch in der Vergangenheit, mit Ausnahme einer Phase in Rheinland-Pfalz, nicht die engsten Verbindungen zur SPD-Basis. Für mich kommt er da als Kronzeuge nicht in Frage.

    Kapern: Aber auch andere haben ja beispielsweise Hannelore Kraft vorgeworfen, dass sie die SPD-Basis in Nordrhein-Westfalen auf die Palmen treibe, weil sie sich vor einer Wahlschlappe bei den Kommunalwahlen im Mai nächsten Jahres fürchtet.

    Poß: Das sind doch jetzt wirklich schon "olle Kamellen", die Sie da gerade aufwerfen. Lassen Sie uns doch mit den wirklich wichtigen Dingen des Tages hier beschäftigen. Frau Kraft war diejenige, die angestoßen hat, diesen Prozess der innerparteilichen Willensbildung ordentlich zu gestalten, und hat damit selbst auch die Tür dazu geöffnet, dass man alles in den Blick nimmt, und jetzt müssen wir sprechen, was soll in den nächsten vier Jahren in der Bundesrepublik Deutschland geschehen, und nicht mit irgendwelchen Kamellen operieren.

    Da wird Maßstab sein, dass man die Chance hat auf eine belastbare Koalitionsvereinbarung und belastbar ist eine Koalitionsvereinbarung nur dann, wenn die wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Realitäten in den Blick genommen werden und nicht ausgeklammert werden, und darüber muss man sprechen. Von uns wird jetzt Zukunftsgestaltung verlangt und man wird sehen, heute, vielleicht auch morgen noch, ob eine solche zukunftsgerichtete Politik mit der CDU/CSU möglich ist.

    Kapern: Schwarz-rote Sondierungsgespräche gehen in 2. Runde (MP3-Audio)Der Beitrag meines Kollegen Frank Capellan, den wir uns eben gemeinsam angehört haben, Herr Poß, der begann mit dem Satz: "Sigmar Gabriel braucht eine Trophäe bei den Sondierungsverhandlungen, bei den Sondierungsgesprächen, damit der Konvent am Sonntag überhaupt zustimmt." Welche Trophäe schwebt Ihnen vor?

    Poß: Das halte ich auch schon wieder für den falschen Maßstab, denn wir müssen doch auch gelernt haben aus der Geschichte. Wir hatten 2009 eine Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP, die erkennbar die Realitäten geleugnet hat, zum Beispiel was die Chancen angeht, Steuern zu senken: damals versprochen 24 Milliarden, nie gekommen. Daraus muss man doch klug werden.

    Es geht jetzt nicht um gamblen, um spielen und auf Möglichkeiten wie Seehofer jetzt aktuell hinweisen und gleichzeitig unrealistische Bedingungen stellen. Damit kommen wir nicht weiter. Ich glaube auch nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger das so wirklich toll finden. Wir müssen doch zum Beispiel uns wirklich mit der finanziellen Realität auch beschäftigen. Die Steuererwartungen von Merkel und Schäuble für die nächsten Jahre sind angesichts der erkennbaren Risiken unrealistisch hoch. Die Union hat die wirkliche Lage der Staatsfinanzen nie aufgezeigt und schon gar keine ehrliche Rechnung der Wahlversprechen präsentiert.

    Also muss man sich doch verständigen in einer solchen Runde, was will man denn anpacken, was ist notwendig anzupacken – denken Sie zum Beispiel an die bröckelnde Infrastruktur. Da geht es um Milliarden, die alle in der bisherigen Finanzplanung nicht enthalten sind. Darauf muss man doch eine Antwort finden. Wir müssen doch Glaubwürdigkeit mit einer anzustrebenden Koalitionsvereinbarung auch erreichen und nicht das Theater möglicherweise dann erleben, indem man sich selbst täuscht oder andere täuscht, was Schwarz-Gelb 2009 dem Publikum geboten hat.

    Die Union hat die wirkliche Lage der Staatsfinanzen nie aufgezeigt und schon gar keine ehrliche Rechnung der Wahlversprechen präsentiert. Das muss man doch sehen. Das sind die wirklich wichtigen Fragen. Und dann muss man natürlich auch die soziale Realität sehen, und da können wir beim Mindestlohn keinen Flickenteppich in der Bundesrepublik Deutschland gebrauchen. Da brauchen wir eine Lösung, die den Menschen, die davon betroffen sind, die unter Lohndumping leiden und Missbrauch am Arbeitsmarkt, erkennbar hilft, eine Perspektive gibt. Wir müssen die Probleme erkennbar angreifen, mit denen die Menschen zu tun haben, und nicht nur hier irgendwelche Spiele und taktischen Spiele betreiben. Das reicht nicht aus.

    Kapern: Stichwort taktische Spiele, Herr Poß. Ist es wirklich denkbar, dass die SPD-Führung am Sonntag vor den Parteikonvent tritt und für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen wirbt, ohne dass sie etwas Konkretes in der Hand hat, wie beispielsweise die Zusage für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro oder die Zusage für Steuererhöhungen, für die Sie ja, so habe ich Sie gerade verstanden, plädiert haben?

    Poß: Ja es geht gar nicht so pauschal um die Dinge. Aber es muss erkennbar sein, dass wir in Sachen zum Beispiel von Infrastruktur, Bildung, Kommunen das, was jetzt notwendig ist in der Bundesrepublik Deutschland, was ja auch alle wissen, wenn sie nicht ideologisch nur verblendet sein wollen, dass das angepackt wird.

    Kapern: Also es geht auch ohne konkrete Zusagen beim Sondierungsgespräch heute?

    Poß: Wir sind jetzt im Bereich der Sondierungsgespräche und da geht es um die Frage, lohnt es sich, mit einem potenziellen Koalitionspartner Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, und dazu muss es eine Grundlage geben, also eine erkennbare Perspektive, dass man sich in bedeutenden gesellschaftspolitischen Bereichen aufeinander zubewegt und wirklich die Realitäten dieses Landes positiv beeinflussen will in den nächsten vier Jahren gemeinsam, diesen Gestaltungswillen aufbringt. Das muss das Ergebnis sein von Sondierungsgesprächen, über das dann der Konvent der SPD beraten wird, der vielleicht dann auch freimacht den Weg für konstruktive, möglichst konstruktive Koalitionsverhandlungen.

    Kapern: Joachim Poß, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Poß, danke für das Gespräch und danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Schönen Tag!

    Poß: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.