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Postapokalyptische Vision von Fernsehen

"Dead Set" heißt eine Serie, die 2008 im englischen Fernsehen sechs Wochen nach der damals aktuellen Big-Brother-Staffel ausgestrahlt wurde. Jetzt kommt sie auf DVD heraus: ein Zombie-Thriller, der die Mechanismen der Menschenverachtung auf verschiedenen Ebenen satirisch durchdekliniert.

Von Christiane Enkeler | 26.09.2012
    "Stockwell, Cardiffe, Pourtsmouth - überall ist die Hölle los, und wenns schlimmer wird, setzen sie uns wegen ner Nachrichtensondersendung ab. – Wieso machen die Leute überhaupt son Aufstand? Die 80er sind vorbei. Es gibt doch wohl genug Ablenkung. Sollen sie doch einfach Fernsehen glotzen."

    Patrick, Big-Brother-Produzent, steht im Regieraum vor einer Wand aus Fernsehern. Auf einem sieht er hoch gerüstete Polizistenreihen. Unruhen breiten sich aus.

    "Grayson, Marky und Pippa – drei kleine Schweinchen, aber wer wird heute noch den Weg nach Hause quietschen? Jemand kommt raus!"

    Davina McCall, damals die echte Big-Brother-Moderatorin, spielt sich selbst – mit offensichtlichem Spaß. Davina steht vor dem Set in der Mitte der Fans - als die Hölle losbricht; eine regelrechte Zombie-Epidemie, die die Fans und Mitarbeiter verwandelt.

    So beginnt "Dead Set", eine postapokalyptische Vision des Fernsehens in Zeiten von Big Brother. 2008 zeigte sie das englischen Fernsehen, und zwar sechs Wochen nach der Ausstrahlung der damals aktuellen Big-Brother-Staffel auf demselben Kanal.

    "Die drehen ja da draußen voll durch. – Ja. So siehst du das Publikum. Es sind nur Tiere."

    Nein! Publikum und Mitarbeiter sind inzwischen sogar Zombies, die auf die Mattscheibe oder ins Auge von Überwachungskameras glotzen oder später auch am Zaun zum Big-Brother-Set rütteln. Ohne Gefühle und ohne eigenen Willen, aber mit einer ungeheuren Fresslust.

    Über den Ursprung dieser Zombie-Epidemie können die Überlebenden nur spekulieren. Sie flüchten sich in den Container. Wer den verlassen will, gefährdet alle.

    "Oder wir schneiden seine Achillessehnen durch. Dadurch werden die Füße zu Abstellplatten. Selbst wenn er laufen wollte, er könnte sie nicht bewegen. - Wo hast das denn aufgeschnappt, Mann? – Das hat Jack Bauer im Fernsehen getan. – Nein. Nein, das ist doch nicht das wirkliche Leben. Wenn wir es machen, dann zertrümmern wir seine Knöchel, so wie in dem Film "Misery"."

    "Dead Set" ist zu Recht erst ab 18 Jahren freigegeben. Eine nicht nur "bissige", sondern wirklich bitterböse MedienSatire, aber auch ein spannend-ernsthafter Zombie-Thriller, zerlegt in 45 Minuten Pilotfilm und fünf je 20 bis 25 Minifolgen. Mit verwackelten, aber sehr expliziten Fress-, Blut- und Gedärmbildern. Splatternden Gore-Zombie-Tötungsszenen. Schrittweiser Dezimierung der Helden.

    "Du hast sie getötet! Du hast Davina getötet! – Na und? Ich hab sie engagiert!"

    Wie das bei besseren Zombie-Filmen so ist, zeigt auch "Dead Set", was schon ohne Zombies Endzeitstimmung verbreiten kann. Die einen beißen um sich, die anderen glotzen mit kleinen Pupillen stier auf die Mattscheibe.

    "Joplin: Das ist die britische Bevölkerung. –
    Kelly: Ja, ihr habt Recht. Ihr habt Recht, sie sind dumm wie Scheiße. Also sind wir klüger als sie. Solange wir noch atmen. (Lädt durch) Und deshalb werden wir gewinnen."

    "Dead Set" dekliniert die Mechanismen der Menschenverachtung auf verschiedenen Ebenen satirisch überzogen durch: der zynische Produzent, ein wahres Arschloch, der manche Kandidaten seiner Sendung verachtet. "Das Reality-TV", das das Publikum mit dümmlichen Pseudo-Problemen für blöd verkauft. Container-Insasse Joplin, der das Fernsehen als Ablenkungssystem von innen bekämpfen will und dabei nicht merkt, wie sehr er alle anderen verachtet. Und wie er selbst von den anderen verachtet und gedemütigt wird.

    "Vielleicht verspüren sie den Drang, nah bei uns zu sein. Ihr dürft nicht vergessen, dass dieser Ort so was wie eine Kirche für sie war. - Vielleicht riechen sie, wenn jemand Scheiße redet."

    Dass auch er als Kritiker in "Dead Set" schlecht wegkommt, sorgt fürs dramaturgisch-ethische Gleichgewicht. Die Hölle auf Erden, das sind die anderen, unter dem Big-Brother-Symbol des Auges. Wie gut, dass wir hier im Radio sind...

    "Heißt das, wir sind jetzt nicht mehr in der Glotze?"