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Postkarte aus Cannes
Kirchentag

Dienstag oder Mittwoch? Vielleicht schon Freitag? Im Festivaltrubel kann man leicht den Überblick verlieren über die Wochentage. Hauptsache man weiβ, wann und wo der nächste Film beginnt. Nur den Sonntag – den kann man auf einem Filmfestival nicht verfehlen, meint Filmkritikerin Maja Ellmenreich.

Von Maja Ellmenreich | 13.05.2018
    Eglise Notre-Dame de Bon Voyage
    Die Kirche Eglise Notre-Dame de Bon Voyage in Cannes (Deutschlandradio / Maja Ellmenreich)
    Am siebten Tage sollst Du ruhen. Von wegen. Auch am Sonntagmorgen klingelt mein Wecker in Cannes um viertel vor sieben. Der Zeitplan bis zum ersten Filmbeginn ist eng getaktet, denn allein bis zum Festivalpalast sind es 15 Minuten Fuβmarsch. Auf den Trottoirs gen Hafen herrscht geschäftiges Treiben: Von überall eilen Cineasten herbei. Nur vor einer Bäckerei an der Ecke hat eine Gruppe Hobbyradler im Rentenalter die Ruhe weg. Es wird gescherzt und laut gelacht, bevor man zur gemeinsamen Sonntagstour aufbricht. Den rüstigen Sportsfreunden scheint die frühe Uhrzeit nichts auszumachen; sie vermitteln vielmehr den Eindruck, seit Stunden schon in Topform zu sein. Unglaublich.
    Freie Sicht auf die "Eglise Notre-Dame de Bon Voyage"
    Angekommen an der Croisette, wird mein Laufschritt jäh abgebremst. Obwohl ich mich so beeilt habe, sind doch tatsächlich andere schon vor mir da. Ich reihe mich ein in die Schlange der Wartenden und lasse meinen Blick nach links schweifen. In der Häuserzeile gegenüber klafft zur Zeit eine gewaltige Baulücke und gibt die Sicht frei auf die "Eglise Notre-Dame de Bon Voyage": einen mächtigen Sakralbau aus Sandstein. Noch räumen Bagger die Reste des einstigen Kirchennachbarn fort, aber bald schon soll hier Wohnraum für die besonders Wohlhabenden unter den Reichen entstehen. "First Croisette" – so der Name der Edelappartements, die demnächst hochgezogen werden.
    Erholung von den Bewegtbildern
    Im nächsten Festival-Mai also muss man schlichtweg wissen, dass ein wunderbarer Ruheort in unmittelbarer Kinonähe zu finden ist. Wenn einem vor lauter Bewegtbildern der Kopf brummt und die Sinne flirren, dann sind ein paar Minuten auf den harten Holzbänken der Kirche unbezahlbar. Auch bei geöffnetem Portal dringt der Lärm der Auβenwelt nur gedämpft ins Kircheninnere. Gute Voraussetzung dafür, zur Abwechslung mal die Kamera ins eigene Innere zu richten. Ausatmen, einatmen, durchatmen.
    Der Papst an der Croisette
    Hoffentlich bleibt auch heute noch ein bisschen Zeit für eine meditative Pause. Vielleicht noch vor der Papstaudienz? Am frühen Sonntagabend – das wird kein Zufall sein - wird Wim Wenders nämlich in Cannes seinen Dokumentarfilm über das Oberhaupt der katholischen Kirche vorstellen: "Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes". Der Regisseur dürfte anwesend sein, mit dem "Hauptdarsteller" allerdings ist nicht zu rechnen. Er würde die Stille der "Eglise Notre-Dame de Bon Voyage" dem Trubel auf dem Roten Teppich wohl auch vorziehen.