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Präbiotische Muttermilch bei Neugeborenen
Komplexe Zucker fördern gute Darmbakterien

Präbiotika - das sind Bestandteile der Nahrung, die für den Menschen unverdaulich sind, im Darm aber dennoch verwertet werden. Präbiotische Wirkstoffe sind sogar in der Muttermilch des Menschen zu finden. Sie spielen eine wichtige Rolle dabei, dass sich bei Neugeborenen eine gesunde Darmflora etabliert.

Von Lucian Haas | 26.06.2015
    Ein junger Mann hält stolz seine neu geborene kleine Tochter in den Armen.
    Humane Muttermilch enthält alles, was ein neugeborenes Kind zum Wachsen braucht. (dpa / picture alliance / Hans Wiedl)
    Humane Muttermilch enthält alles, was ein neugeborenes Kind zum Wachsen braucht: Fette, Eiweiß, einfache Zucker und Wasser. Doch daneben gibt es noch weitere Stoffe. Der Mikrobiologe Zac Lewis von der Universität von Kalifornien in Davis erforscht, welche Rolle sie für die Entwicklung der Darmflora von Babys spielen.
    "In der Muttermilch gibt es sogenannte Oligosaccharide. Das sind komplexe Zucker, die für die Kinder selbst unverdaulich sind. Bestimmte Darmbakterien hingegen können diese Zucker für sich als Energiequelle nutzen. Eine Mutter produziert also Nahrung nicht nur für ihr Kind, sondern auch für die Mikroben, die in dem Baby leben."
    Bei Frühgeborenen kommt es seltener zu gefährlichen Darminfektionen
    Von den Oligosacchariden profitieren vor allem sogenannte Bifidobakterien. Sie gehören zu einer Vielzahl von Bakterienarten, die den zuvor sterilen Darm eines Babys noch während der Geburt und bei den ersten Kontakten mit der Umwelt besiedeln. Darunter können auch schädliche Mikroben sein. Bifidobakterien allerdings sind wichtig für den Aufbau einer gesunden Darmflora. Zac Lewis:
    "Es gibt Studien, die zeigen, dass es bei Frühgeborenen seltener zu gefährlichen Darminfektionen kommt, wenn deren Darm vor allem von Mikroben kolonisiert wird, die von Oligosacchariden profitieren. Eine der Hypothesen dazu lautet, dass die Förderung der guten Darmbakterien eine Besiedelung durch schädliche Mikroben verhindert. Die guten verwerten die gesamte Nahrung, breiten sich aus und lassen keinen Platz mehr für unerwünschte Bakterien."
    Dass Bifidobakterien die Darmflora von Babys prägen, ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Zac Lewis und Kollegen fanden jetzt heraus, dass das auf einer wechselseitigen Anpassung von Menschen und Bakterien beruht. Verschiedene Bifidobakterienstämme sind genetisch darauf spezialisiert, jeweils andere Arten von Oligosacchariden zu verdauen. Gene der Mutter bestimmen wiederum, welche Oligosaccharide in den Milchdrüsen gebildet werden.
    "Es handelt sich um Koevolution. Kleine Veränderungen der Zuckerarten der Muttermilch führten zur Selektion von Mikroben, die ihrerseits kleine Genmutationen hatten, durch die sie die neuen Zucker verwerten konnten. Und weil das dann vorteilhaft für das Kind war, hat sich das im Zuge der Evolution durchgesetzt."
    Aufbau einer gesunden Darmflora
    Die Zusammensetzung der Muttermilch hat einen großen Einfluss darauf, welche Bakterien sich im Darm eines Kindes etablieren. Zac Lewis glaubt, dass ein besseres Verständnis der evolutionären Zusammenhänge helfen kann, den Aufbau einer gesunden Darmflora nach Bedarf zu steuern. Beispielsweise könnten Frühchen auf der Intensivstation eine Spezialnahrung bekommen, die mit passenden Oligosacchariden angereichert ist. Erste klinische Studien hierzu laufen bereits. Dabei geht es auch um eine mögliche psychobiotische Wirkung.
    "Dahinter steckt die Idee, dass Mikroben auch das Verhalten von Babys manipulieren könnten. Es gibt Studien an Ratten, die solche Effekte zeigen. Wir nennen das das Bauchgehirn. Es gibt Neurorezeptoren im Darm, die von Signalstoffen der Bakterien beeinflusst werden. Darüber könnten sie das Verhalten der Kinder verändern."
    Für Zac Lewis ergeben sich daraus interessante Forschungsfragen für die Zukunft: Wenn sich die Zuckertypen in der Milch von Mutter zu Mutter unterscheiden, könnte dann jede Stillende ihr Kind über die Bakterien anders beeinflussen? Noch ist das nur eine Hypothese.