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Präsidentenanruf mit Folgen

Der Protest gegen die geplante Gesundheitsreform der rumänischen Regierung trieb in den vergangenen Tagen Tausende Menschen in Bukarest auf die Straße. Auslöser der Demonstrationen war der Fernsehauftritt eines beliebten Staatssekretärs - und die Reaktion des Präsidenten darauf.

Von Karla Engelhard | 17.01.2012
    In Rumänien ist es keine Ausnahme, das der Präsident überraschend in einer Talkshow anruft, um den Gast der Sendung für alle hörbar abzukanzeln. Der Ton ist rau. Doch diesmal ging der Präsident weiter als sonst. Zu Gast war Staatssekretär Raed Arafat, der seinerseits seinen Fernsehauftritt nutzte, um seine Kritik an der Sparpolitik der Regierung loszuwerden. Der beliebte Arzt Arafat ist rumänischer Staatsbürger mit palästinensischen Wurzeln. Er hat einen privaten Notrettungsdienst in Rumänien aufgebaut – eine Erfolgsgeschichte.

    Die Sparmaßnahmen der Regierung würden auch seinen Rettungsdienst treffen, Arafat machte es öffentlich. Präsident Basescu schäumte:

    Arafat schüre damit öffentlich Psychosen und Ängste, die Regierung könnte die Rettungsdienste privaten Halsabschneidern übergeben, eine lügnerische Botschaft des Herrn Doktor Arafat!

    Der so vom Präsidenten öffentlich beschimpfte und zum Rücktritt förmlich gezwungene Staatssekretär Raed Arafat trat zurück. Für viele Rumänen ist er nun ein Held.

    Aus Solidarität mit dem Verunglimpften gingen Hunderte Rumänen auf die Straße. Doch die Proteste gingen rasch darüber hinaus und richteten sich gegen die dramatischen Kürzungen im Gesundheitswesen, gegen die Einschnitte bei den Löhnen und Gehältern, gegen die niedrigen Renten und nicht zuletzt gegen Präsident Basescu selbst, dem ein autoritärer Führungsstil nachgesagt wird.

    Unterschiedliche Kräfte versuchen nun, aus den Demonstrationen Kapital zu schlagen:

    Demonstrant: "Vielleicht tragen die Proteste dazu bei, dass Basescu und die Seinen von der Bildfläche verschwinden. Sie haben nichts weiter getan, als das ganze rumänische Volk zum Besten zu halten – ich will vorgezogene Neuwahlen!"

    Die will auch die Opposition und unterstützt die Proteste, die sich im Land ausgeweitet haben. Doch schnell können friedliche Demonstrationen kippen. Am Wochenende sorgten vermummte Fußballfans in Bukarest für Krawalle – 51 Menschen wurden dabei verletzt.

    Die Regierung versucht es mit Dialog und hat die umstrittene Gesundheitsreform erst einmal von der Tagesordnung gestrichen. Dabei hat der rigorose Sparkurs der Mitte-rechts-Regierung durchaus dafür gesorgt, dass sich das krisengeschüttelte Rumänien in den vergangenen zwei Jahren erholt hat.

    Das EU-Land Rumänien arbeitet die Forderungen des Internationalen Währungsfonds ab. Selbst die Landeswährung Leu ist relativ stabil – der Euro ist nach letztem Stand erst 2015 für Rumänien in Sicht. Das Durchschnitteinkommen liegt derzeit bei umgerechnet 400 Euro im Monat, wesentlich mehr als im benachbarten EU-Land Bulgarien, die Staatsschulden halten sich in Grenzen und das Wirtschaftswachstum kann sich sehen lassen.

    "Die wirtschaftliche Stabilität wirkt sich noch nicht auf die Geldbörsen der Menschen aus. Sie ist vorläufig nur in Ziffern, in Bilanzen und in internationalen Gutachten über Rumänien sichtbar. Und leider wird es noch dauern, bis sich diese wirtschaftliche Stabilität auch in den Geldbörsen jedes einzelnen Rumänen bemerkbar macht."

    Premier Emil Boc sieht durch die andauernden Demonstrationen diesen Prozess gefährdet. Dessen ungeachtet wird weiter demonstriert – nicht nur in der rumänischen Hauptstadt.