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Präsidentenwahl in Österreich
"Die FPÖ hat es geschafft, die Demokratie zu zerstören"

Die Diskussion um defekte Klebestreifen bei der Präsidentenwahl in Österreich wird nach Ansicht des Autors Robert Menasse überinterpretiert. Das eigentliche Problem sei, dass die Abstimmung überhaupt wiederholt werden muss, sagte er im DLF. Die FPÖ ertrage es nicht, im ersten Durchgang verloren zu haben. Nun spiele sie sich auf als Retter eines korrekten Wahlvorgangs.

Robert Menasse im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.09.2016
    Der Autor Robert Menasse beim Albertina Fundraising Dinner in Wien
    Der Autor Robert Menasse beim Albertina Fundraising Dinner in Wien (imago / SKATA)
    Tobias Armbrüster: In Österreich geht jetzt also noch mal alles auf Anfang. Die Bundespräsidentenwahl muss erneut verschoben werden. Eigentlich sollte diese Wiederholung am 2. Oktober stattfinden. Daraus wird nun nichts. Neuer Termin, haben wir gestern gelernt, ist der 4. Dezember. Der Grund dafür ist ein defekter Klebestreifen, der dazu führt, dass sich die Briefwahlumschläge immer wieder öffnen und schließen lassen. So hieß es gestern aus Wien. Und eine einwandfreie rechtskonforme Wahl könne so nicht gewährleistet werden.
    Das wollen wir jetzt besprechen am Telefon mit dem Schriftsteller und Essayisten Robert Menasse. Er ist einer der bekanntesten österreichischen Autoren der Gegenwart. Schönen guten Tag, Herr Menasse.
    Robert Menasse: Guten Tag, guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Menasse, geht es hier wirklich nur um Klebstoff?
    Menasse: Ich bin der Meinung, dass dieses Problem überinterpretiert wird. Irgend so ein technisches Problem bei der Produktion von irgendetwas wie zum Beispiel Wahlkarten kann immer passieren. Das kann auch in Deutschland passieren, in den renommiertesten deutschen Fabriken, Automobilindustrie oder sonst irgendwo. Es kann immer irgendwo ein Fehler passieren.
    "Kein einziges Anzeichen von Missbrauch, von Betrug oder von Fälschung"
    Das Problem ist in Wirklichkeit ganz ein anderes. Das Problem ist, dass diese Wahl überhaupt wiederholt werden muss, und das wird viel zu wenig diskutiert. Wir tun so, als wäre es ganz selbstverständlich, dass eine Wahl, die stattgefunden hat, die korrekt war, bei der es überhaupt kein einziges Anzeichen von Missbrauch, von Betrug oder von Fälschung gegeben hat, die ein klares Ergebnis hatte, wir tun so, als wäre es ganz normal, dass wir das wiederholen müssen, weil der Verlierer es nicht erträgt, verloren zu haben.
    Armbrüster: Moment, Herr Menasse. Das hat das österreichische Verfassungsgericht ja völlig anders gesehen.
    Menasse: Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat mehrere Probleme. Das erste Problem ist, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof seit vielen Jahren, seit vielen Jahren, also schon seit die freiheitliche Partei von Jörg Haider geführt wurde und dann nach Haiders Tod von Strache, systematisch verhöhnt wurde von der freiheitlichen Partei. Von der freiheitlichen Partei wurden sämtliche Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs systematisch ignoriert. Zum Beispiel hat die freiheitliche Partei den Landeshauptmann gestellt in Kärnten. Es gab ein Verfassungsgerichtsurteil wegen zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten. Die haben die Freiheitlichen einfach ignoriert und haben den Verfassungsgerichtshof ausgelacht.
    "Der Verfassungsgerichtshof macht sich mittlerweile in die Hosen"
    Der Verfassungsgerichtshof macht sich mittlerweile in die Hosen vor Angst vor den Freiheitlichen und haben jetzt Angst gehabt ganz speziell davor, dass man sagen wird, jetzt ist es Revanchismus, jetzt zeigen sie, dass sie Feinde der freiheitlichen Partei sind, wenn sie deren Klage nicht nachgeben. Das ist das erste Problem.
    Armbrüster: Moment, Herr Menasse! Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf? - Es war ja nicht nur das österreichische Verfassungsgericht, der Verfassungsgerichtshof, der da entschieden hat, sondern da ist ja eine wochenlange Untersuchung vorweggegangen, die starke Unregelmäßigkeiten herausgefunden hat. Die sind ja nicht einfach nur erfunden.
    Menasse: Die Unregelmäßigkeiten haben betroffen Fragen wie zum Beispiel, es hätte um zehn Uhr mit der Auszählung beginnen müssen, aber es wurde schon um acht Uhr begonnen - solche Dinge. Es ist überhaupt keine Wahlfälschung, kein Wahlbetrug festgestellt worden.
    Und noch etwas: Die Zeugen, die vorgeladen wurden, die bestätigt haben, dass es nicht ganz korrekt abgelaufen ist mit der Auszählung, waren lauter Freiheitliche. Es hat ja jede Partei Beisitzer in den Wahlkommissionen. Und die Freiheitlichen haben das nicht korrekt gemacht, im Einverständnis mit allen anderen, haben zu früh begonnen oder einer hat ein Couvert aufgeschlitzt, das hätte ein anderer aufschlitzen müssen nach dem Gesetz und so. Die Freiheitlichen sagen aus, sie waren nicht korrekt, und deswegen haben die Freiheitlichen durchgesetzt, dass die Wahl wiederholt werden muss. Das ist vollkommen grotesk.
    Und wissen Sie, wohin das führt? Das hat ja eine gewisse Systematik. Das führt dazu, dass jede Wahl in Zukunft von jedem Wahlverlierer angefochten werden kann, weil jede Partei hat ihre Beisitzer in den Wahlkommissionen und jede Partei - und die Freiheitlichen werden das auch sicher machen - muss ja nur ihren Leuten sagen, macht ein paar Unregelmäßigkeiten, und wenn wir die Wahl verlieren, dann sagt ihr aus, dass Unregelmäßigkeiten passiert sind.
    "Die österreichische Verfassung ist systematisch zur Ruine gemacht worden"
    Das zweite Problem des österreichischen Verfassungsgerichtshofs - und das ist sehr, sehr wichtig -, das müssen wir mal in Deutschland verstehen. Die österreichische Verfassung ist seit Jahrzehnten systematisch zu einer Ruine gemacht worden. Das hat damit zu tun, dass über lange Jahrzehnte hindurch die beiden großen Parteien in einer Großen Koalition die Zwei-Drittel-Mehrheit, also die Verfassungsmehrheit im Parlament hatten. Und die haben jedes Gesetz, das der Verfassung widersprochen hätte und vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden wäre, mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu einem Verfassungsgesetz gemacht und damit dem Verfassungsgerichtshof entzogen. Auf diese Weise ist über die Jahre hindurch eine Verfassung in Österreich entstanden, die von Widersprüchen wimmelt. Und jeder Verfassungsrechtler, der sich ein bisschen damit beschäftigt hat, wie zum Beispiel der berühmte Verfassungsrechtler Hans Klecatsky,* haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, die österreichische Verfassung ist eine Ruine. Und mit der Begründung dieser Papierruine, die wir haben, macht jetzt das österreichische Verfassungsgericht die Republik zur Ruine, und das ist unerträglich.
    Armbrüster: Das heißt, das ist die Revanche der Verfassungsrichter, wenn man das so sagen kann?
    Menasse: Ja. Und das hat mit dem Funktionieren der demokratischen Strukturen oder der staatlichen Institutionen überhaupt nichts zu tun. Österreich ist ein wohlhabendes, wenn nicht gar reiches Land. Es hat eine hohe Lebensqualität. Es ist in vielen Bereichen erfolgreich. Man kann da wirklich nicht von einer Bananenrepublik oder Würstelbudenrepublik sprechen.
    Armbrüster: Aber gerade genau wenn das so ist, muss man dann nicht eigentlich von so einem Land erwarten, dass es eine Wahl tatsächlich zu 100 Prozent korrekt durchführen kann, dass wirklich niemand etwas dagegen sagen kann?
    "Eine Partei, wie sie jetzt auch in Deutschland aufkommt mit der AfD"
    Menasse: Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, wenn man genau nachforscht, dass zum Beispiel bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, oder bei der letzten Bundestagswahl in der Bundesrepublik Deutschland irgendwo in einem Wahlkreis irgendein Beamter ein Wahlkuvert zu früh geöffnet hat, oder nicht aufgepasst hat, dass der Wahlleiter es selbst in die Urne versenkt, sondern der Wähler selbst hat es in die Urne gesteckt. Es gibt davon Fotos! Politiker werfen ihren Stimmzettel selbst in die Urne. Das ist verfassungswidrig, theoretisch. Verstehen Sie? Das heißt, Sie können auch in Deutschland jede Wahl aufheben mit der Begründung, mit der in Österreich die Wahl aufgehoben wurde, und das ist unerträglich. Wir müssen endlich einmal begreifen, dass wir in Österreich eine Partei haben wie die freiheitliche Partei, wie sie jetzt auch in Deutschland aufkommt mit der AfD, die nichts anderes tut, als dieses System zu zerstören. Sie zerstören eine Republik, sie zerstören demokratische Strukturen im Namen der Demokratie. Und jetzt frage ich Sie: Erinnert Sie das an etwas?
    Armbrüster: Da würde ich jetzt sagen, wahrscheinlich denken sich viele hier an diesem Punkt, da überzieht der Herr Menasse ein bisschen. Es geht hier immerhin darum, dass eine Wahl korrekt durchgeführt wird, und wenn die Kritik von der einen Seite kommt, die dem Herrn Menasse nicht passt, dann ist das halt so. Aber es bleibt Kritik, es bleibt eine Beanstandung dieser Wahl.
    Ich würde Sie aber zum Schluss trotzdem gerne noch fragen. Dann meinen Sie also, diese Verschiebung, die nützt eindeutig der FPÖ?
    Menasse: Das weiß ich nicht. Ich bin kein Hellseher. Aber was ich auch skandalös finde an dem Terminus Wahlwiederholung ist, dass es keine Wiederholung ist. Mittlerweile sind nämlich schon jetzt mehr Menschen, die wahlberechtigt waren bei dieser Wahl, gestorben, als der Stimmenunterschied zwischen den Kandidaten war.
    Das zweite ist: Mittlerweile sind mehr Menschen wahlberechtigt geworden, also ins wahlberechtigte Alter gekommen, als Stimmendifferenz war zwischen diesen beiden Kandidaten, und die wiederum dürfen nicht wählen, weil nur die wählen dürfen bei der Wahlwiederholung, die schon damals wahlberechtigt waren. Das heißt, eine enorme Anzahl von Österreichern darf nicht wählen, muss aber dann sechs Jahre mit diesem Bundespräsidenten leben, und eine enorme Anzahl von Österreichern, die gewählt hat, kann nicht noch einmal wählen, weil sie bereits verstorben sind. Das heißt, deren Stimmen wurden für ungültig erklärt, was jeder Demokratietheorie widerspricht, und die anderen dürfen nicht wählen, müssen aber mit dem demokratischen Ergebnis leben, was auch jeder Demokratietheorie widerspricht. Das heißt, die freiheitliche Partei hat es geschafft, die Demokratie zu zerstören, und spielt sich auf als Retter eines korrekten Wahlvorgangs.
    "Die freiheitliche Partei hat es geschafft, die Demokratie zu zerstören"
    Armbrüster: Dann, meinen Sie, könnte diese Wahl uns noch länger beschäftigen? Könnte die noch länger sozusagen wiederholt oder neu angesetzt werden?
    Menasse: Ich glaube - ich weiß es nicht, nehmen Sie mich nicht beim Wort. Wie gesagt, ich bin kein Hellseher. Aber ich halte es für durchaus möglich, wenn Hofer die Wahl wieder verliert, dass er es wieder anfechten wird. Sie werden so lange mit der Abrissbirne gegen die demokratischen Institutionen anrennen, bis sie alles besetzt haben.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" war das der österreichische Schriftsteller und Essayist Robert Menasse. Vielen Dank, Herr Menasse, für das Gespräch.
    Menasse: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    * Wir haben den Namen Hans Klecatsky an dieser Stelle korrigiert. Zuvor stand hier aufgrund eines Transkriptionsfehlers ein falscher Name.