Präsidentschaftswahl in der Türkei"Erdogan hat demokratische Prinzipien verletzt"
Nach seinem zu erwartenden Wahlsieg könnte Recep Tayyip Erdogan ein Präsidialsystem einführen - und damit das demokratische Gleichgewicht in der Türkei aus den Angeln heben, fürchtet Yaşar Aydın, Türkei-Kenner der Stiftung Wissenschaft und Politik, im DLF. Allerdings sitze Erdogan nicht so fest im Sattel, wie oft angenommen.
- Türkische Polizisten gingen im Mai in Istanbul massiv gegen Demonstranten vor - unter anderem mit Tränengas. (EPA/TOLGA BOZOGLU)
Weiterführende Information
Präsidentschaftswahl in der Türkei - Für Erdogan wohl reine Formsache (Deutschlandfunk, Aktuell, 09.08.2014)
Präsidentenwahl - Erdogans Türkei wählt (Deutschlandfunk, Hintergrund, 08.08.2014)
Präsidentenwahlen - Roth: Erdogan will eine andere Türkei (Deutschlandfunk, Interview, 08.08.2014)
Reccep Tayyip Erdogan - Die Wahl des starken Mannes (Deutschlandradio Kultur, Weltzeit, 07.08.2014)
Angesichts der Präsidentschaftswahl sei die Atmosphäre in der Türkei angespannt, berichtet Aydın. Es gebe eine Polarisierung zwischen Befürwortern und Gegnern des derzeitigen Ministerpräsidenten Erdogan. Dieser sei zwar großer Favorit, aber vielen Menschen sei wichtig, dass er nicht schon im ersten Wahlgang gewählt werde. Dann nämlich, so Aydın, könne Erdogan versuchen, ein Präsidialsystem einzuführen und die Exekutive als Staatspräsident führen.
Der Wahlkampf in der Türkei ist voll auf Recep Tayyip Erdogan zugeschnitten.
Dann sei zu befürchten, dass Erdogan und seine Partei AKP alle Positionen im Staat eroberten und es kein Gegengewicht mehr gebe, da die Opposition strukturell in der Minderheit sei. Die Übermacht der Konservativen könne "das Gleichgewicht und Rechtsstaatsprinzip aus den Angeln" heben. Natürlich sei der AKP-Politiker ein legitim gewählter Ministerpräsident. Viele hätten ihn gewählt, weil es ihnen besser gehe als vor zehn oder zwölf Jahren.
"Aber man darf nicht vergessen, dass Erdogan in den letzten ein, zwei Jahren demokratische Prinzipien verletzt hat", so Aydın. Als Beispiel nannte er die Gezi-Park-Proteste, die die Regierung mit massiver Polizeigewalt unterdrückte, und die jüngste Korruptionsaffäre.
Die eigenen Unterstützer könnten Erdogan gefährlich werden
Trotz des zu erwartenden deutlichen Wahlsiegs sitze Erdogan aber nicht so fest im Sattel wie allgemein angenommen: Gerade die eigenen Unterstützer, die neu aufgestiegene Mittelschicht, könne ihm gefährlich werden. Zuletzt hätten sich durch das Verhalten des Regierungschefs die Beziehungen zu Europa und den USA verschlechtert, "und das ist nicht gut für die Wirtschaft und die Unternehmer", erklärt Aydın.
Schon in der Gezi-Park-Affäre seien in seiner Partei AKP Absetzbewegungen erkennbar gewesen. Nach seiner Wahl zum Präsidenten müsse Erdogan den Parteivorsitz abgeben - dann werde sich zeigen, ob er die Macht über seine Partei behalte.
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