Freitag, 19. April 2024

Archiv

Präsidentschaftswahl in der Türkei
Für Erdogan wohl reine Formsache

Regierungschef Erdogan will sich heute zum Präsidenten der Türkei wählen lassen - was aller Voraussicht nach gelingen dürfte. Am letzten Wahlkampftag versprach er, eine neue Türkei zu gründen. Derweil sorgte der überraschende Abgang des "Hürriyet"-Chefredakteurs für Diskussionen.

09.08.2014
    Zum Abschluss seines Wahlkampfs hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan "eine neue Türkei" für den Fall seines Sieges bei der Präsidentenwahl versprochen. "So Gott will, wird an diesem Wahltag eine neue Türkei begründet", sagte Erdogan bei seinem letzten Wahlkampfauftritt am Samstag im zentralanatolischen Konya: "Ein weiteres Mal steigt eine starke Türkei aus der Asche auf." Rund 53 Millionen Bürger in der Türkei sind dazu aufgerufen, erstmals direkt ihren Staatspräsidenten zu wählen. Seit dem Morgen sind die Wahllokale geöffnet, sie schließen um 17.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr MESZ). Mit ersten Ergebnissen wird am Abend gerechnet.
    Erdogan geht als klarer Favorit in die Wahl. Der 60-jährige Chef der islamisch-konservativen AKP kann Umfragen zufolge bereits im ersten Wahlgang auf eine absolute Mehrheit hoffen. Die beiden größten Oppositionsparteien CHP und MHP haben den früheren Generalsekretär der „Organisation für Islamische Zusammenarbeit" (OIC), Ekmeleddin Ihsanoglu, nominiert. Dritter Kandidat ist der 41-jährige Kurde Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen Partei HDP.
    Erdogan plant bereits eine neue Verfassung
    Erdogan hat deutlich gemacht, dass er nach einer Wahl durch das Volk alle Kompetenzen nutzen will, die die jetzige Verfassung für den Präsidenten vorsieht. Er plant allerdings Neuregelungen, die das Amt dann noch weiter stärken dürften. Der 70-jährige Ihsanoglu will das Präsidentenamt dagegen im Falle seines Sieges weiterhin zeremoniell ausfüllen. Auch das scheidende Staatsoberhaupt Abdullah Gül hatte sich auf eine zeremonielle Rolle beschränkt.
    Die Opposition warf Erdogan vor, Regierungsressourcen für seinen Wahlkampf zu nutzen. Kritik gab es auch am Staatssender TRT, der Erdogan weitaus mehr Sendezeit einräumte als den beiden Oppositionskandidaten. Sollte Erdogan gewinnen, müsste er nach seinem Wahlsieg den Vorsitz der AKP niederlegen. Die Partei muss dann auch einen Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten suchen. Bislang wurde der Präsident vom Parlament bestimmt.
    Wenig Resonanz bei Auslandstürken
    Bis vergangenen Sonntag konnten erstmals auch die 2,8 Millionen wahlberechtigten Auslandstürken ihre Stimmen außerhalb der Türkei abgeben. Davon machten aber nur 8,3 Prozent Gebrauch. Insgesamt sind im In- und Ausland rund 55,7 Millionen Wähler registriert. Sollte am Sonntag kein Kandidat die absolute Mehrheit erzielen, ist für den 24. August eine Stichwahl geplant. Güls Amtszeit endet am 28. August.
    Für Verwunderung sorgte der Rücktritt des Chefredakteurs der regierungskritischen Zeitung "Hürriyet". Das Blatt teilte in Istanbul mit, der Schritt von Enis Berberoglu sei auf eigenen Wunsch erfolgt und habe keine politischen Hintergründe. Erdogan hatte zuvor Kritik an der Dogan-Mediengruppe geübt, zu auch die "Hürriyet" gehört. Er und der Besitzer der mächtigen Dogan-Mediengruppe, Aydin Dogan, liegen seit Jahren im Clinch.
    Regierungskritischer Journalist von "Taraf" festgenommen
    Zudem nahm die Polizei einen regierungskritischen Journalisten fest. Dem Redakteur der Zeitung "Taraf", Mehmet Baransu, werde Verleumdung vorgeworfen, sagte der Generalstaatsanwalt von Istanbul, Hadi Salihoglu. Baransu habe sich gegen seine Festnahme gewehrt. Der Journalist schrieb auf Twitter, er sei von der Polizei geschlagen und aus "Rache" für seine Kritik an Salihoglu festgenommen worden. Nach einem Verhör wurde er am Samstagnachmittag wieder freigelassen. Baransu hatte öffentlich das harte Vorgehen der Regierung gegen die Polizei und die Justiz im Zusammenhang mit dem Abhörskandal in der Türkei kritisiert.
    Für die "Taraf" sowie für den britischen "Economist" arbeitet auch die Korrespondentin Amberin Zaman, der Erdogan laut Medienberichten vorgeworfen hatte, "eine Militante in Gestalt einer Journalistin" zu sein, die die mehrheitlich muslimische Gesellschaft beleidigt habe. "Erkenne deinen Platz" und "schamlose Frau" soll Erdogan in ihre Richtung gesagt haben. Zaman hatte in einem zur Dogan-Gruppe gehörenden Fernsehsender die Kritikfähigkeit muslimischer Gesellschaften infrage gestellt. Der "Economist" kritisierte: "Unter Erdogan ist die Türkei ein zunehmend schwieriger Ort für unabhängigen Journalismus geworden." (tgs/fi)