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Präsidentschaftswahl in Frankreich
Juden und Migranten als Front-National-Sympathisanten?

Kürzlich hat Marine Le Pen in einem TV-Interview Zweifel daran aufkommen lassen, ob sich der Front National wirklich von dem rassistischen und antisemitischen Ballast ihres Vaters und Ex-Parteichefs Jean Marie Le Pen befreit hat. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch Juden und Migranten dem Front National ihre Stimme geben.

Von Burkhard Birke | 18.04.2017
    Buntes Treiben herrscht -hier nur wenige Straßenzüge vom alten Hafen entfernt zeigt Marseille sein Gesicht als Einwandererstadt. Überall hört man Arabisch.
    Kein Wunder: Mehr als ein Viertel der 860.000 Einwohner stammt aus Nordafrika, in erster Linie aus Algerien. Im alltäglichen Kampf um den Lebensunterhalt wird die Politik für viele zur Nebensache. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung Marseilles lebt unter der Armutsgrenze. Die Erwartungen, dass sich nach der Wahl für sie etwas ändern könnte sind gering.
    Er sei kein politischer Mensch, sagt der Mittdreißiger am Empfang eines kleinen Hotels. Ja – wählen würde er schon, für den Besten.
    Die Betonung lag auf den! Also keine Stimme für die einzige Kandidatin, die des Front National?
    "Auf keinen Fall, meine Stimme bekommen nur Männer."
    Ein geschlechtsspezifisches Ausschlusskriterium!
    "Der Front National ist schlecht, die sind rassistisch",
    meint indes ein Franzose von den Komoren, ein paar Straßen weiter. Marseille ist auch die heimliche Hauptstadt der Komoren, leben hier doch angeblich 80.000 Menschen von dem Inselarchipel zwischen Madagaskar und Afrika, mehr als in Moroni.
    Längst nicht alle Migrantenkinder im Schmelztiegel von Frankreichs größter Hafenstadt am Mittelmeer denken so. Wie sonst hätte der Front National Politiker Stéphane Ravier im 13. und 14. Bezirk, einem der berechtigen nördlichen Wohnviertel mit hohem Migrationsanteil, bei der letzten Kommunalwahl zum Bürgermeister gewählt werden können?
    "Wir müssen zugeben, nur eine Minderheit ist bei uns Mitglied, aber wir versuchen auch nicht die Menschen mit Migrationshintergrund besonders anzusprechen."
    Zeigt sich Regionalrat Jean Francois Luc vom Front National realistisch und stellt mir Mourad Selloum vor, einen Algerier der zweiten Generation.
    "Die Unabhängigkeit Frankreichs von Europa, die Europafrage: Das war der gemeinsame Nenner mit den Souveränisten von der MPF. meiner früheren Partei. Als die verschwand habe ich mich dem Front National angeschlossen. "
    Das war vor zweieinhalb Jahren. Jetzt setzt sich der hagere Mittdreißiger mit der sonnengebräunten Haut, den braunen Haaren und grünen Augen für einen Wahlsieg Marine Le Pens ein. Er ist Moslem, praktiziert aber nicht.
    Gegen die Islamisten und die Islamisierung des französischen Alltags nicht aber gegen Muslime an sich richte sich die Strategie des Front National, bekräftigt der Elite-Uni-Absolvent und Ex-Diplomat Jean Messiha, der intellektuelle Kopf hinter Marine Le Pens 144 Punkte Programm.
    Jüdische Wähler für den Front National?
    Unter Jean Marie Le Pen wäre der gebürtige Ägypter nicht in die Partei eingetreten, gesteht er im Interview. Tochter Marine hat jedoch gerade in einem Fernsehinterview wieder Zweifel aufkommen lassen, ob sich die Partei wirklich vom rassistischen und antisemitischen Ballast ihres Vaters befreit hat.
    Frankreich sei nicht verantwortlich für die Judenrazzia 1942 im Wintervelodrome gewesen, nur die damaligen Machthaber. Präsident Jacques Chirac hatte sich seinerzeit im Namen Frankreichs entschuldigt. Marine Le Pen glaubt nicht an solche Reue.
    "Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Jude für eine Partei stimmt, die noch das Gedankengut der Epoche des Regimes von Vichy in sich trägt",
    glaubt Bruno Benjamin. Er ist Präsident des CRIF, des Zentrums jüdischer Einrichtungen in Marseille, der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Frankreichs. Bruno Benjamin irrt: Es gibt sie sehr wohl die Juden für Le Pen. Vor einem Jahr hat der junge Polizeigewerkschaftler Michel Thooris die Union des Patriotes francais Juifs gegründet.
    "Wir maßen uns natürlich nicht an, jeden einzelnen Juden von Marine Le Pen zu überzeugen. Der radikale Islam und die Unsicherheit sind die größte Bedrohung für Frankreichs Juden. Wir glauben, dass das Programm von Marine Le Pen das glaubwürdigste und beste Programm dagegen ist."
    Vermeintliche Tabus könnten gebrochen werden
    900 Mitglieder zählt die Vereinigung – wenig gemessen an 600.000 Juden insgesamt in Frankreich – aber wie heißt es so schön: Es kommt auf jede Stimme an.
    "Etwa 70 Prozent unserer Mitglieder werden Marine Le Pen wählen, die anderen 30 Prozent Francois Fillon."
    Den wegen der angeblichen Scheinbeschäftigung seiner Familie in Verruf geratenen Kandidaten der Republikaner. Was zeigt: Bei dieser Wahl könnten viele vermeintliche Tabus gebrochen werden.