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Prager Botschaft 1989
Der Fotograf in der Botschaft

1989 kamen immer wieder DDR-Bürger in die deutsche Botschaft in Prag in der Hoffnung, auf diesem Weg ihr Land verlassen zu können. Ab Mitte August stieg ihre Zahl auf rund 4.000. Der Fotograf Josef Ptacek war in jenen Wochen dabei - betraut mit einer ganz besonderen Aufgabe.

Von Peter Lange | 14.09.2019
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (Mitte vor dem Fensterkreuz rechts) verkündet am 30.09.1989 kurz vor 19 Uhr auf dem Balkon der Deutschen Botschaft in Prag: "Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise....". Der weitere Wortlaut der Ankündigung der bechlossenen Ausreise der DDR-Flüchtlinge, die im Hof der Botschaft campierten, ging in tosendem Jubel unter.
Am 30. September 1989 verkündete der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher den DDR-Flüchtlingen, dass Ihre Ausreise aus der DDR genehmigt sei (picture alliance / dpa / Reinhard Kemmether)
Es ist ein sonniger Spätsommertag im Park des Palais Lobkowicz unter der Burg in Prag. Josef Ptacek, inzwischen über 70 und mit einem grauen Haarschopf, der ein bisschen an Einstein denken lässt, erinnert sich, dass das Wetter damals auch so schön gewesen sei, jedenfalls an den Tagen, an denen er hier war und seine Fotos gemacht hat.
"Für mich ist dieser Platz magisch. Ich erinnere mich gut daran, wie ich hier zum ersten Mal war, alles sauber und ordentlich. Und zwei Tage später war diese Durchfahrt voller Menschen, dreistöckige Betten, Menschen in Schlafsäcken, draußen, aber auch im Gebäude auf den Treppen. Man konnte sich kaum bewegen."
Viele Trabbis in der Umgebung der Botschaft
Josef Ptacek war damals Dozent an einer Fachschule für Fotografie. "Die Kolleginnen aus der Schule haben mich darauf aufmerksam gemacht, das hier etwas Ungewöhnliches passierte."
Und dann erzählt er von den vielen Trabbis, die in der Umgebung der Botschaft abgestellt waren. Und von dem Baum, an dem viele die Schlüssel ihrer Wohnung in der DDR mit Adresse gehängt hatten. Wer wollte, konnte sie nehmen, die Familie würde nicht zurückkehren.
"Das war für mich eine unglaubliche Vorstellung, dass jemand fähig war, alles zu verlassen und in die Botschaft in Prag zu gehen, ohne zu wissen, was passieren würde. Es war ja denkbar, dass es keine Einigung geben würde und dass es eine Rückführung der Menschen in die DDR geben würde."
Wir schauen uns einige der Fotos an, die damals entstanden sind:
Autor: "Das ist ein ganz bekanntes, nicht wahr?"

Ptacek: "Ja, das ist gemacht mit Fischauge, von da oben. Und Sie können alle diese Gebäude sehen und mit den Leuten im Schlafsack."
Die Menschen auf den Fotos schauen freundlich in die Kamera, offenbar ohne Scheu, manche vielleicht etwas verlegen.
Autor: "Wie war denn die Stimmung?"
Ptacek: "Sie waren sehr diszipliniert, es gab überhaupt kein Chaos, alle warteten in Demut und Ruhe und wussten, dass sie im gleichen Boot sitzen. In einem fremden Land, in einer fremden Botschaft. Ihr Schicksal lag in den Händen von anderen. Sie konnten nichts machen. Also hatten sie keinen Grund, aggressiv oder ungeduldig zu sein."
Er zeigt mir eines seiner Lieblingsfotos: eine junge Frau, die ganz allein wie eine Statue im Park steht und gedankenverloren in die andere Richtung schaut, neben sich auf dem Boden eine Reisetasche.
"Das ist die hübsche Frau, die sich mit überhaupt niemandem unterhalten hat. Sie stand zwei Tage so und wartete, was passiert."
Zeuge eines wichtigen Moments in der Geschichte
Irgendwann kam Hans-Joachim Weber, der verantwortliche Mitarbeiter der Botschaft, mit einer Bitte auf ihn zu. Die Flüchtlinge brauchten vorläufige bundesdeutsche Pässe, dafür wurden Passbilder benötigt. Josef Ptacek holte aus seinem Atelier alle möglichen Filme und Filmreste und machte nun im Akkord Passfotos:
"Wir haben dort drüben zwei Leitern hingestellt, einen Besen quer drüber und dann ein Laken darüber gelegt. Davor standen dann die Leute in einer Schlange, stellten sich auf eine Markierung, wenn sie dran waren. Und ich sagte nur: Schauen Sie hierher. Alles ging ganz schnell. Für einen Film brauchte ich 10 Minuten. Klack, klack, klack. Nachts habe ich entwickelt, und am nächsten Morgen habe ich die Umschläge mit den Fotos mitgebracht."
3.200 Passfotos hat Ptacek damals gemacht, die Negative besitzt er noch immer. Zum richtigen Fotografieren ist er kaum noch gekommen. Aber ein besonderes Foto zeigt er uns noch: Ein junger Mann in einer Menschenmenge, mit einem Kofferradio auf der Schulter. Alle um ihn herum gucken bedrückt, nur er strahlt.
"Das ist genau der Moment, in dem er in den Nachrichten erfahren hat, dass Genscher gut verhandelt hat, und dass sie ausreisen dürfen. Und alle anderen erfahren gleich von ihm dass ihr Problem gelöst wurde. Etwa zwei oder drei Stunden später hat Genscher es dann den Menschen persönlich gesagt."
Josef Ptacek sagt, ihm sei die ganze Zeit bewusst gewesen, dass er Zeuge eines wichtigen Moments in der Geschichte war. Seine Gefühle von damals sind ihm auch nach 30 Jahren noch präsent.
"Ich habe mich immer gefreut, dass ich jeden Tag diese besondere Atmosphäre des Wartens erleben konnte, und ich war verdammt froh, dass es ein erfolgreiches Ende genommen hat."