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Praxis im Medizinstudium
Schon früh an den Patienten heranführen

Schon lange fordern Studierende mehr Praxisnähe im Medizinstudium. Mittlerweile können die angehenden Ärzte zwischen der klassischen Ausbildung und sogenannten Modellstudiengängen entscheiden. Die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ist eine von rund zehn staatlichen Unis in Deutschland, die ihren Studenten bereits ab dem ersten Semester Kontakt zu Patienten ermöglicht.

Von Stephanie Kowalewski | 04.07.2016
    Ein Person im Arztkittel mit Stethoskop um den Hals gestikuliert mit Papier und Stift in den Händen.
    An der Uni Düsseldorf werden Medizin-Studierende bereits früh mit Patienten in Kontakt gebracht. (imago/Reporters)
    "Wir haben gesehen, dass die Studierenden früher, wenn sie ihr Examen hatten, parktisch so schlecht ausgebildet waren, dass sie eigentlich mit dem Patientenkontakt überfordert waren. Obwohl sie schon Ärzte waren."
    Ein Unding, sei das, sagt Stefanie Ritz-Timme, Studiendekanin an der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf. Deshalb wurde das Curriculum umgemodelt und ein Modellstudiengang mit möglichst viel Praxisbezug entwickelt. Heute haben die Studierenden ab dem ersten Semester zumindest wochenweise direkten Kontakt zu Patienten und im dritten Studienjahr machen sie sich bereits alleine ein Bild von ihnen.
    "Hallo, Nele Schoch ist mein Name. Ich bin im sechsten Semester Medizin. Ist es in Ordnung, wenn wir Ihnen ein paar Fragen stellen, Sie untersuchen? Ich klopfe noch mal ein bisschen auf ihnen rum, das macht ihnen ja nichts aus ne."
    "Nein."
    "Dankeschön"
    Selbstbewusst und zugewandt klopft die 20-jährige Medizinstudentin den Bauch des leicht verwirrten alten Mannes ab, schaut sich seine Beine und Füße genau an. Später wird sie dazu einen kleinen Bericht samt Akten- und Literaturrecherche fertigen und ihn den anderen Medizinstudierenden und dem betreuenden Oberarzt Stefan Rotthoff vorstellen.
    "Unter Praxis verstehen wir eben nicht nur Fertigkeiten, sondern auch Theorie angewandt in der Praxis. Ich muss ja Krankheitsbilder kennen, Therapiekonzepte usw. Und Krankheitsbilder kann ich mir ja an einem Patienten zum Teil sogar besser aneignen oder erarbeiten, als das jetzt in einem Frontalvortrag zum Beispiel möglich ist.
    Deshalb gibt es jetzt den Unterricht am Krankenbett. Wie Detektive suchen die Medizinstudenten in Dreier- oder Sechser-Gruppen nach Erklärungen für den ungewöhnlichen Krankheitsverlauf einer Diabetespatientin, gleichen alles mit ihrem Wissen in Anatomie und Biochemie ab. Es sprudelt aus ihnen heraus und Oberarzt Stefan Rotthoff lenkt und lockt sie weiter Richtung Lösung:
    "Schon sehr gut gedacht, aber passt nicht so richtig zu den geschilderten Symptomen. Haben sie sonst noch Ideen? Also jetzt einfach mal so in den Raum: Was ist mit Nebenniere? Sehr gut! Genau. Was denken sie denn bei der Nebenniere? Nebennierenrinde, Adrenalin zum Beispiel, da gibt es doch diesen Morbus Addison. Ja genau! Huuu! Ja. Super."
    "Die haben richtig Lust, uns was beizubringen"
    Bei den meisten Studierenden kommt das praxisnahe Konzept gut an – auch bei Carla Reuter und Subanki Reveendranathan:
    "Ich hab' gedacht, wir kommen in die Klinik und die Ärzte haben besseres zu tun, als uns zu zeigen, wie man mit einem Patienten spricht. Aber ich hab bisher echt immer gemerkt, boh die haben richtig Lust, uns was beizubringen. Die haben richtig Spaß daran und geben sich Mühe. Es macht für mich halt einen enormen Spaßfaktor aus. Der einzige Nachteil ist, dass dadurch die Theorieblöcke immens voll sind."
    Ein paar Gebäude entfernt sitzen sich gerade Anna Hopp, Studentin im vierten Semester, und die Schauspielerin Christine Kättner gegenüber. Weil die sogenannte sprechende Medizin immer wichtiger wird, gehören Kommunikationsübungen samt Prüfungen verpflichtend zum Studium. Oberarzt Andre Karger beschreibt das Setting: Die Patientin bat um einen dringenden Termin in der Hausarztpraxis, in der Anna Hopp als Vertretungsärztin arbeitet.
    "Und die Aufgabenstellung, Frau Hopp, ist: Erörtern Sie bitte mit der Patientin deren aktuelle Beschwerden, teilen Sie der Patientin ihre diagnostische Einschätzung mit und legen sie mit der Patientin das weitere Vorgehen fest."
    Die Patientin spricht sehr leise, wirkt erschöpft, weint schließlich.
    "Die Gedanken, die kreisen einfach immer um dasselbe."
    "Haben Sie das Gefühl manchmal, dass sie das nicht mehr ertragen können?"
    "Ja."
    Wertvolle Erfahrungen
    Im anschließenden Feedback-Gespräch wird genau besprochen, an welchen Stellen Anna Hopp gut reagiert hat und was sie in künftigen Patientengesprächen noch besser machen kann. Eine wertvolle Erfahrung sei das, meint die angehende Ärztin.
    "Ich hätte auch fast geweint. Aber das sollte man halt eigentlich nicht. Wenn die Schauspieler so gut sind, wie jetzt in der Situation, dann ist es sehr praxisnah und auch unglaublich wichtig. Dann lernt man auch unglaublich viel dadurch."
    Also Strich drunter und Fazit: Wie siehts aus mit dem Praxisbezug im Medizinstudium:
    "Das ist – ja – noch ein weiter Weg, bis man das wirklich perfekt und optimiert hat. Ich finde es teilweise sehr hausarztlastig bei uns. Aber ich finde schon, frühe Erfahrung zu sammeln ist schon essenziell. Ich glaube, das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, und wenn da jetzt deutschlandweit mitgezogen wird, dann hat das auf jeden Fall Potenzial."
    Aktuell bieten übrigens rund zehn von 34 Universitäten in Deutschland den Modellstudiengang Humanmedizin an.