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Praxis in den Sprach- und Kulturwissenschaften
Über den eigenen Tellerrand schauen

Sie sind perfekt in Grammatik, kennen jede Kommaregel und können selbst die kompliziertesten Gedichte wissenschaftlich analysieren. Aber damit Sprach- und Kulturwissenschaftler später auch einen Job finden, versuchen viele Universitäten den Studierenden die Theorie möglichst praxisnah zu vermitteln.

Von Stephanie Kowalewski | 05.07.2016
    Mehrere Kollegen sitzen diskutierend auf einem Fußboden.
    Sprach- und Kulturwissenschaftler lernen theoretische und praktische Fertigkeiten, die potenzielle Arbeitgeber erwarten. (imago / Westend61)
    "Jetzt ist sie alarmiert. Lässt alle Vorsicht fallen. Karl? Zu ihrer Antwort erneutes Wimmern. Ein raschelndes, tastendes Geräusch, als würden Finger zu dem Telefon greifen. Karl, sind sie das? Ist was passiert?"
    Kerrin Banz sitzt auf der dunklen Bühne des Theaters "Fletch Bizzel" in Dortmund. Vor ihr rund 120 mucksmäuschenstille Zuhörer. Sie werden an diesem Abend sechs Kurzgeschichten hören, die in einem Krimi-Praxisseminar der angewandten Sprach- und Kulturwissenschaften der TU Dortmund entstanden sind. Wochenlang haben die Bachelor-Studierenden um passende Formulierungen, knackige Titel und die richtige Betonung diskutiert. Mit Erfolg.
    "Einfach direkt mitzubekommen, wie das ankommt, dass die Spannung da ist. Das macht unfassbar viel Spaß. Ich finde das sehr wichtig. Ich meine, wann können wir das so einfach und so folgenlos auch ausprobieren, wie im Studium. Und man behält die Dinge einfach besser, wenn man sie anwendet."
    Alles, was für so einen Leseabend nötig ist, organisieren die Studierenden selbst: Plakate, Technik, Bühnenbild, Moderation und so weiter. Unterstützt werden sie dabei auch von Profis aus der Öffentlichkeitsarbeit und dem kreativen Schreiben. Für Professorin Ute Gerhard entspricht das genau dem Geist der Fakultät.
    "Wir wollen praxisorientiert sein, aber natürlich nicht die Theorie und Wissenschaftlichkeit vergessen. Und bei dem Krimiseminar haben sich verschiedene Punkte getroffen: der Literaturwissenschaftliche - was sind die Strukturen von Krimis - und dann eben die Frage der Öffentlichkeitsarbeit und die Praxis der Durchführung und Schreibens."
    Dabei lernen sie theoretische und praktische Fertigkeiten, die potenzielle Arbeitgeber von Sprach- und Kulturwissenschaftlern erwarten, sagt Daniel Vollhase. Der 27-Jährige hat vor ein paar Jahren hier in Dortmund seinen Bachelorabschluss gemacht.
    "Und jetzt arbeite ich in einer Personalberatung, die Unternehmen dabei hilft, Fachkräfte für Marketing und PR zu finden. Und die rechnen vor allen Dingen damit, dass man auch schon während des Studiums sich ein bisschen in der Praxis orientiert hat."
    TU-Dortmund hat ihr Curriculum umgekrempelt
    Schwierig in einem traditionell eher theoretischen Studiengang. Doch die TU-Dortmund hat ihr Curriculum umgekrempelt und Raum für ein Pflichtpraktikum und ein Auslandssemester reingepackt.
    "Und das ist auch in jedem Unternehmen zunehmend wichtig, dass man einfach merkt, dass man das Studium genutzt hat, um sich persönlich zu formen und weiterzukommen."
    Worauf es im Studium und im Freien Markt ankommt, darüber berichtet der Personalberater in Ringvorlesungen, bei denen die Studierenden auf Schriftsteller, Eventmanager oder Lektoren treffen.
    Eine alltagstaugliche Sprach- und Kulturwissenschaft muss heute außerdem interkulturell und mehrsprachig sein, betont Germanistikprofessor Ludger Hoffmann.
    "Wir legen großen Wert auf praktische Fähigkeiten im Deutschen und Englischen. Auch in der Schriftlichkeit. Die Studierenden sollen da so fit sein, dass sie auch sofort in einem großen internationalen Unternehmen einsteigen können."
    Klassische Unis tun sich schwer
    Deshalb gibt es Seminare, in denen mal ein Marketingkonzept für einen realen Zirkus oder in Zusammenarbeit mit einem großen Unternehmen in den USA Bedienungsanleitungen erstellt werden – mehrsprachig und interdisziplinär natürlich. Über den eigenen Tellerrand schauen, das müssen die Studierenden in Dortmund zwangsläufig, denn neben dem Kernfach müssen ein bis zwei Komplementfächer studiert werden, sagt Masterstudentin Jana Stuberg.
    "Es fangen irgendwie 50 Leute an Sprachwissenschaften zu studieren und keiner hat den gleichen Stundenplan, weil wir eben die Nebenfächer wählen können. Wir können aus einem Pool von zehn bis 15 Nebenfächern wählen."
    Das Angebot reicht von Informatik über Katholische Theologie bis hin zur Raumplanung. Jana Stuberg kombinierte ihr sprachwissenschaftliches Studium mit Soziologie und Journalistik und war für rund drei Semester Mitglied der Lehrredaktion des Uniradios. Gerade hat die 26-Jährige eine glatte Eins für ihre Masterarbeit bekommen und sucht jetzt ihre erste feste Anstellung, für die sie sich durch das Studium der Sprachwissenschaft an der TU-Dortmund gut gerüstet fühlt.
    Also Strich drunter und Fazit: Wie siehts aus mit dem Praxisbezug im sprach- und kulturwissenschaftlichen Studium:
    "Man ist sprachlich ganz gut drauf, man kann ganz gut schreiben, man kann ganz gut analytisch denken und irgendwie auch das Kleine ins Große denken und ich glaube, das ist so das, was man in unseren Berufen braucht."
    Für Ludger Hoffmann ist seine Fakultät auf einem guten Weg. Viele klassische Universitäten täten sich hingegen noch schwer, mehr Praxisbezug in die Sprach- und Kulturwissenschaften zu bringen, sagt er.
    "Ich glaube, dass sie die entscheidenden Weichenstellungen noch machen müssen, vielfach. Und ich kann nur sagen: Es lohnt sich. Man sollte es tun."