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Praxisorientiert Visionen entwerfen

Mut zur Kreativität fördert und fordert die Hochschule in Pforzheim von ihren Designstudenten - und das nun seit 125 Jahren. Das Studium soll alle Phasen des Designprozesses vermitteln. An konkreten Projekten müssen sich die Studierenden immer wieder aufs Neue mit Planung, Konzeption, Entwurf und technischer Realisierung auseinandersetzen.

19.07.2002
    Ein ungewöhnliches Design für einen Rettungshubschrauber - das ist die Abschlussarbeit von Manuel Aydt, der sein Studium in Pforzheim gerade beendet hat - mit einem Diplom als Industrie-Designer in der Tasche.

    Man muss es sich vorstellen wie so eine Art Taucheranzug, mit einer kleinen Kabine und zwei kleinen Rotoren. Man erkennt noch die Kontur vom Körper. Es hat auch ein bisschen was von einem Roboter. Man steht da eigentlich drin. Das ist so eine Art Rucksackhubschrauber.

    Aydts Anspruch war es, sich ein von den gängigen Formsprachen abzuheben und es ruhig etwas Skurriles entstehen zu lassen.

    In Pforzheim legt man großen Wert auf eine praxisorientierte Ausbildung. Im zweiten Semester etwa hieß eine Aufgabenstellung schlicht "Schmutz". Ein Student entwarf eine brillenähnliche Gesichtsmaske zum Schutz gegen Smog; andere erfanden ein transportables Gerät zur Reinigung von Prothesen oder wickelten Tageszeitungen mit einer wiederverwertbaren Schutzfolie ein, damit die Finger sauber bleiben. Die künftigen Designer sollen nicht nur die Frage nach dem Wie, sondern auch immer die Frage nach dem Warum stellen. Warum muss ein Rollstuhl Räder haben wie ein Fahrrad? Auf diese Frage suchte Matthias Kolb eine andere Antwort:

    Ich habe versucht, alles auf den Kopf zu stellen, alles zu hinterfragen. Am Anfang war für mich klar, das Ding bekommt gar keine Räder, es darf gar nicht aussehen wie ein Rollstuhl. Dann bin ich langsam wieder zurückgekommen: Er braucht Räder, er muss ja auch fahren können, denn ich kann ihn ja nicht schweben lassen.

    Kolb befasste sich schließlich mit aktueller Technik, mit den modernen Materialien, mit Erkenntnissen über das Sitzen und Bewegen und wollte mit seinem Rollstuhl auch rehabilitierende Wirkung erzielen. All das floss in seinen Entwurf ein, der nun einen selbstlenkenden Rollstuhl beschriebt, bei dem der Nutzer seinen ganzen Körper einsetzt, nicht nur die Arme. Für seine Neuinterpretation des Themas Rollstuhl erhält Kolb im Oktober einen deutschen Designerpreis, den Preis der Mia-Seeger-Stiftung. Kein Einzelfall. Nationale und internationale Preise für die Studierenden sind in Pforzheim die Regel.

    Die Hochschule bietet ein vielfältiges Spektrum: Neben Industriedesign kann hier in acht Semestern auch Mode-, Kunst- oder Schmuckdesign, Designwissenschaften, Visuelle Kommunikation oder etwa Automobildesign studiert werden. Vor allem aber sollen die Studierenden, sagt Matthias Kolb, über den Tellerrand ihrer Disziplin hinausblicken:

    Wir haben ein sehr offenes, freies Grundstudium, das sehr viel Raum für Experimentieren, für Zusammenarbeit mit anderen Studiengängen lässt. Ich habe im fünften Semester eine Projekt mit den Technikern gemacht, dabei sieht man, dass dort eine ganz andere Denkweise herrscht. Man befruchtet sich unheimlich. Das ist es, was die Schule ausmacht: Dass die Möglichkeit besteht, zu sagen, ich gehe jetzt in die Grafik und mache ein Produkt mit dem Grafikdesigner oder ich gehe in die Mode. Das kann man dann auch. Diese Freiheit, denke ich, trägt man später in seinem Berufsleben fort, dass man da sagt, das ist nicht nur Design, das ist Kultur, das ist Leben, das lernt man hier.

    Wie begehrt ein Studienplatz bei den Designern in Pforzheim ist, zeigt die Zahl der Bewerber. Für das Wintersemester bewarben sich 374 Personen, weit mehr als im Vorjahr. Ein Drittel davon wird im Oktober mit dem Studium beginnen; nach bestandener Eignungsprüfung, bei der auch künstlerische Fähigkeiten bewiesen werden mussten. In der Branche genießt die Hochschule einen ausgezeichneten Ruf. Ein in Pforzheim gemachtes Diplom - oder seit neuestem auch der Master - gilt als Eintrittskarte in eine vielversprechende Karriere. Beispiel Autodesign. Das Design des Fiat Puntos oder des Mercedes SLK wurde nach Angaben der Hochschule von Absolventen aus Pforzheim entworfen. Professor Ralph Schieschke:

    Die Philosophie ist, dass die Absolventen sich später nicht nur damit befassen können, wie kann ich möglichst gut ein Produkt verkaufen und in großen Stückzahlen auf den Markt bringen. Sondern auch in der künstlerisch ausgelegten Ecke Design zu machen, das auch den Begriff Design verdient, das von dem Inhalt, von der philopsophisch-ethischen Überlegung her ein sehr viel höheres Niveau hat. Das sollten sie auf jeden Fall können. Dann fällt das andere automatisch dabei ab, davon jedenfalls gehen wir aus.

    Autorin: Barbara Roth