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Preisverfall bei Milch
Bauern klagen über gnadenlosen Wettbewerb

Die russischen Gegensanktionen haben nach Ansicht des CDU-Agarexperten Alois Gerig kaum zum Verfall der Milchpreise beigetragen. Es gebe auf dem Weltmarkt grundsätzlich einen Preiseinbruch, sagte Gerig im DLF. Die EU müsse gegensteuern. Aber auch die Verbraucher könnten "mit dem richtigen Griff ins richtige Regal" den deutschen Milchbauern helfen.

Alois Gerig im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.08.2015
    Rind aus Kunststoff mit den Deutschlandfarben angemalt und der Aufschrift: "Die faire Milch"
    Deutsche Bauern klagen derzeit über die niedrigen Preise am Markt. (Imago / CHROMORANGE)
    Christoph Heinemann: Trotz scharfer Kritik von Bürgern vernichten russische Behörden gegenwärtig Lebensmittel aus dem Westen. Diese Waren hätten Russland wegen des Einfuhrverbots eigentlich gar nicht erreichen dürfen, aber die Kontrollen funktionieren offenbar nicht. Diese Machtdemonstration der Regierung trifft ein Land, das nicht gerade für fließende Milch und Honig bekannt ist, im Gegenteil. Unter dem Verfall des Rubel haben vor allem die rund 20 Millionen Armen in Russland zu haben. Folgerichtig protestieren Hunderttausende Russen mit einer Petition im Internet gegen die Vernichtung, sie verlangen, das Essen solle an Bedürftige, an Rentner, Invaliden oder Veteranen verteilt werden. Auch hierzulande sind die Folgen des russischen Einfuhrverbots zu spüren, das der Kreml nach den westlichen Sanktionen gegen den Ukraine-Krieg erlassen hatte, Beispiel Milchwirtschaft. Für einen Liter erzielen Landwirte gegenwärtig nur noch rund 28 Cent, vor einem Jahr waren es noch 40 Cent. Der Deutsche Bauernverband führt diesen Einbruch auf die russischen Gegensanktionen zurück. Am Telefon ist jetzt Alois Gerig, CDU, der Obmann der Unionsfraktion im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, guten Tag!
    Alois Gerig: Einen schönen guten Tag, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Gerig, liegen diese gegenwärtigen Schwierigkeiten der deutschen Landwirtschaft wirklich nur an den russischen Sanktionen?
    Gerig: Die liegen sicher nicht nur an den russischen Sanktionen. Man geht unter Experten davon aus, dass der Russland-Effekt bei zwei bis drei Cent je Liter Milch sind. Es kommen viele Dinge zusammen, dass auf dem Weltmarkt eben der Markt zusammengebrochen ist, da ist die Nachfrage zurückgegangen und das Angebot hat sich gesteigert. Und dadurch ist der Preis so extrem unter Druck gekommen, ich hoffe auch, dass wir auf politischem Wege uns mit Russland doch irgendwann mal dahingehend einigen können, dass dieses Embargo gelockert werden kann.
    Gerig: Dem Verbraucher würden fünf Cent mehr nicht schaden
    Heinemann: Das ist die eine Seite, die andere ist die Industrie. Setzt die deutsche Milchwirtschaft zu stark auf den Export?
    Gerig: Also, wir haben in Deutschland in der Tat etwas mehr als 100 Prozent Eigenversorgung. Aber in den vergangenen Jahren hat der Weltmarkt die deutsche Milch sehr gerne aufgenommen. Und unsere deutschen Milchbauern sind auch in der Lage, zu Wettbewerbsbedingungen auf dem Milchmarkt bestehen zu können. Und wenn halt weltweit der Preis zusammenbricht, dann sind wir auch betroffen. Und die Lage bei den Milchbauern ist in der Tat dramatisch, das ist zum einen der starke Milchpreiseinbruch, zum anderen die große Trockenheit, die wir in weiten Teilen Deutschlands haben und die Dramatik dadurch noch verschärft. Da geht es tatsächlich mitunter ganz schnell auch um Existenzen.
    Heinemann: Das betrifft, Herr Gerig, vor allem die konventionell Produzierenden, denn die Bio-Milchbauern kommen ganz gut zurecht, sie erzielen nach wie vor 47 Cent pro Liter. Sollten mehr konventionelle Bauern umsteigen?
    Gerig: Die Tatsache ist eine andere, im Moment steigen mehr Bio-Betriebe aus der Produktion aus, die machen das auch nicht wegen Reichtums, sondern weil sie wirtschaftliche Probleme haben. Und ich sage, wir haben da auch eine hohe Verantwortung, auch der Handel, der gnadenlos im Moment die Situation ausnutzt und die Verarbeiter und die Vermarkter gegeneinander ausspielt. Da braucht es eben auch ein bisschen Gefühl und auch ein bisschen Verantwortungsbewusstsein beim Lebensmitteleinzelhandel. So groß bräuchte dieser Einbruch draußen nicht sein, es würde keinem Verbraucher wirklich schaden, wenn er für den Liter Milch fünf Cent mehr bezahlt, und für die Bauern wäre es natürlich sehr wichtig.
    Gerig: Die EU ist mit in der Verantwortung
    Heinemann: Braucht es auch eines bisschens Staat?
    Gerig: Ich hoffe auf die EU. National, deutschlandweit werden wir da sicher nicht eingreifen können, aber die EU steht da ein Stück weit mit in der Verantwortung. Durch Auslaufen des Milchmarkts hat man versprochen, dass man die Landwirte dann nicht alleine lässt, wenn es zu sehr extremen Preiseinbrüchen kommen wird. Es sind beispielsweise auch Gelder aufgelaufen von Strafabgaben, diese sogenannten Mittel aus der Subabgabe, die irgendwo um eine Milliarde Euro sind, die muss man jetzt gezielt einsetzen. Es wird Anfang September einen Sonderagrarministerrat geben in Europa, der sich über solche Dinge Gedanken machen muss.
    Heinemann: Herr Gerig, meine Kollegin Jule Reimer, die sich sehr gut auskennt in der Materie, schickt mir gerade, während wir gerade miteinander gesprochen haben, eine E-Mail und sagt: Ist doch kein Wunder, dass die Bio-Bauern aussteigen, die Förderpolitik der Bundesländer geht quasi nach dem Prinzip Hü und Hott! Also, das ist auch ein Scheitern an miserablen staatlichen Strukturen!
    Gerig: Das würde ich so nicht sehen. Wir haben insbesondere auch - und das kann jeder in seinem eigenen Supermarkt sehen - die Problematik, dass wir in den Regalen der Supermärkte auch Bio-Ware aus anderen Ländern dieser Erde haben, die halt günstiger produziert werden wie die deutschen Standards. Und ich sage, ein Stück weit müssen wir auch alle, die wir in der Verantwortung stehen, Aufklärung betreiben, den deutschen Verbrauchern klarmachen, dass man mit dem richtigen Griff ins richtige Regal auch dafür Sorge tragen kann, wie die deutschen Bauern produzieren. Und dass die Landwirte in Deutschland bereit sind, sich den Märkten zu stellen, das wissen wir. Die haben viel umgestellt auf biologische Landwirte, jetzt springen einige wieder ab, weil es sich wirtschaftlich nicht rechnen lässt. Also, ich appelliere da immer auch ein Stück weit an das Verantwortungsbewusstsein der Verbraucher, insbesondere aber auch des Lebensmitteleinzelhandels. Wir haben vier Große, die sich 85 Prozent des Markts teilen und die da mitunter auf dem Rücken der Erzeuger einen gnadenlosen Wettbewerb führen. Und da sage ich, wenn es um Nahrungsmittel geht, muss man manchmal auch den moralischen Zeigefinger heben und sagen, da könnte man mitunter auch anders agieren!
    Heinemann: Ein Aufruf von Alois Gerig, CDU, dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Gerig: So war der Titel richtig, danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.