Freitag, 19. April 2024

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Premiere am Schauspiel Köln
"Bomb" - Krieg und Kunst

Welche Verantwortung hat Kunst im Kontext von Krieg? Das fragt die in Israel geborene Autorin Maya Arad Yasur in ihrer Bühnencollage "Bomb". Ohne dramatische Handlung verhandelt sie das Thema in bruchstückhaften Dialogen - eine Herausforderung für das Publikum.

Von Christiane Enkeler | 09.02.2020
Szene aus "Bomb" - Variationen über Verweigerung von Maya Arad Yasur in der Regie von Lily Sykes am Schauspiel Köln. Auf dem Bild hinten: Ines Marie Westernströer und Justus Maier, vorne: Campbell Caspary, Birgit Walter und Laura Friedmann
Reden über etwas, dass man auf der Bühne nicht sieht: "Die Beobachterinnen und Beobachter" (Schauspiel Köln / Birgit Hupfeld)
Musikalisch zumindest ist der Abend atmosphärisch komponiert. Aber beginnen wir mit dem Text und der Handlung: Naomi reißt sich als Kind die Haare aus, weil der Vater im Krieg ist. Der Vater entgeht bei einem Toilettengang einer Bombardierung seiner Einheit aus der Luft - zum Glück. Und der Nachbar ist der unglückselige Pilot, der die heimatlichen Fußtruppen aus Versehen beschießt.
Krieg und Trauma in der Kunst
Der Autorin Maya Arad Yasur geht es nun erklärtermaßen vor allem um die "künstlerische Repräsentation von Krieg und Trauma in der westlichen Kunstwelt". Deswegen wird die Handlung nicht gezeigt, sondern erzählt: aufgerollt von einer Gruppe von Beobachter*innen, die einer Performance der erwachsenen Naomi zusehen, die für all das künstlerische Zeichen gefunden hat. Wobei diese Performance imaginär stattfindet, hinter den Köpfen des Theaterpublikums, und sich die Beobachter auf der Bühne immer wieder fragen: Ist das überhaupt Kunst?
"Es ist außerhalb der Zeit. Es ist innerhalb der Zeit. Es ist über der Zeit. Es ist unter der Zeit. Die Zeit ist darunter. Es tut weh. Es tut weh, ja, es wird jedem, der gekommen ist, um sie zu sehen, im Magen liegen wie eine, was, Granate? In den Magen geworfen oder in die Hüften, ja, wie eine Granate, wie eine Bombe. Eine Granate, Yes, oder eine Bombe."
Der Text verhandelt mehrere Ebenen in verschränkten Szenenflicken, denen schon beim Lesen schwer zu folgen ist: ästhetische und ethische Fragen, individuelle Erfahrung und künstlerische Abstraktion. Vielleicht ist es auch einfach ein bisschen viel.
"Jene Kinder müssen nicht dort sein! Wo ist das Gewissen desjenigen, der diese Schule in ein Munitionslager umgewandelt hat? Das ist Krieg! Dann ist etwas abgefuckt an diesem Krieg! Etwas ist abgefuckt an diesem Krieg, ja."
Schwierigkeiten mit dem Erkennen
Natürlich ist Krieg abgefuckt und zwar jeder. Daher verortet die Autorin auch nichts konkret, was gut ist. Trotzdem: Wäre das bisher Genannte nun alles, was der Text hergibt, wäre er trotz der vielfachen Themen und szenischen Verschränkungen etwas arm an Erkenntnis und Tiefe. Im Text passiert aber noch viel mehr: Die Frage "Ist das Kunst oder kann das weg?" wird auch zur Frage "Ist das Terror oder kann das bleiben?"
Sämtliche Figuren, einschließlich der Kritikerinnen auf der Bühne, haben Schwierigkeiten mit dem Erkennen: Was ist Vorstellung? Was ist Wahrheit? Was ist Fakt? Was Fiktion? Also: Ist die Einheit am Boden Freund oder Feind? Ist es Blut, was aus dem Jutesack rinnt, den der Kriegskamerad des Vaters der Tochter Naomi mitbringt oder ist es Kirschsaft? Ist die zu bombardierende Schule ein Terroristennest oder voller Kinder? Diese Unschärfe im Blick ist unglaublich spannend und eigentlich auch sehr aktuell. Aber sie rauscht nur so vorbei.
"Es gibt hier keinerlei Gefahr, das ist ein Entenschießen. Quak quak! Bum bum!"
Sechs Darsteller müssen in Kostümen zwischen Camouflage und Comic mit wenig innerer Haltungsänderung im kargen Bühnenbild herumflattern und -turnen: Ein kleines Drehpodest mit Atombombenexplosion aus Pappe oder Sperrholz, verziert mit Neonröhren, umringt von weißen Plastikhockern. Daneben sitzt ein junges Mädchen im Cinderella-Kostüm, vermutlich, weil auch Naomi in ihrer Kunst-Performance hinter Glas agiert. Von wegen Glas-Sarg oder so!
"Haare" ziehen sich als Bild durch den Abend, funktionieren technisch aber nicht: Das Mädchen springt Seil mit einem unhandlichen Riesenzopf. Eine Schauspielerin verliert die Zusatzhaare gleich am Anfang. Einem anderen gelingt es am Ende nicht, den Zopf zu öffnen.
Verlust der Liebe
Da übrigens, als der Kollege beispringt und Beziehung zwischen Menschen und Figuren aufscheint, wird es plötzlich interessant, liebevoll und berührend. Zum ersten Mal, ob Absicht oder nicht, transportiert der Abend Gefühl und Witz. Und endlich Fokus als Ines Marie Westernströer einen längeren Monolog halten darf und sich das Trauma von Naomis Vater tatsächlich vermittelt.
"Naomis Vater kommt zwar nach Hause zurück, aber er, was, er liebt sie nicht mehr? Er liebt einfach nicht mehr. Moment mal: Ist das nicht zu psychologisch?"
Und, ja, das ist dann mal "psychologisch". Aber das ist nicht schlimm, weil es vorher nicht formal genug ist, um als ästhetische Form durchzugehen.