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Premiere vor 75 Jahren
"Große Freiheit Nr. 7": Von der NS-Propaganda finanziert und zensiert

1,5 Millionen Reichsmark hatte das Propaganda-Ministerium der Nazis dem Film-Regisseur Helmut Käutner für die Dreharbeiten zu "Große Freiheit Nr. 7" zur Verfügung gestellt. Doch Käutner lieferte einen kritischen Film, der im NS-Staat nicht gezeigt werden durfte. Die Premiere fand daher in Prag statt.

Von Hartmut Goege | 15.12.2019
    Eine Szene aus "Große Freiheit Nr. 7", der einstige Seemann Hannes arbeitet in einem Lokal in St. Pauli als Stimmungssänger.
    Der einstige Seemann Hannes arbeitet in einem Lokal in St. Pauli als Stimmungssänger (www.imago-images.de)
    "Komm doch, liebe Kleine, sei die meine, sag nicht nein – Du sollst bis morgen früh um neune meine kleine Liebste sein …"
    So heißt es in einem Lied aus "Große Freiheit Nr. 7". Hans Albers in seiner Paraderolle des alternden Seemannes Hannes Kröger, der als Stimmungssänger in einem frivolen Hamburger Varieté auf St. Pauli die Nachtschwärmer bei Laune hält.
    "Alle! Auf der Reeperbahn nachts um halb eins - Ob Du ein Mädel hast oder noch keins, amüsierst Du Dich …"
    Die Premiere des in Farbe gedrehten Films "Große Freiheit Nr. 7" fand am 15. Dezember 1944 nicht etwa im zerbombten Hamburg oder Berlin statt, sondern im besetzten Prag. Ursprünglich sollte Regisseur Helmut Käutner ein maritimes Heldenepos produzieren.
    Käutner aber, der es bisher geschafft hatte, die braune Ideologie aus seinen Stoffen herauszuhalten, hatte auch diesmal das zuständige Propagandaministerium ausmanövriert, wie er erzählt:
    "Und statt also nun einen U-Boot-Film zu machen, es wäre also ein Hetz-Film und Kriegshetzfilm geworden, habe ich gesagt: Wasser ist gut! Wollen wir denn nicht etwas machen, was es noch gar nicht gibt: einen Film über das deutsche Volkslied an der Waterkant. Ich habe dann La Paloma neu geschrieben, mit einem neuen Text versehen, was auf den Titel ‚Große Freiheit‘ dann gemünzt war."
    Wider die Nazi-Propaganda
    Immerhin waren von der Propaganda 1,5 Millionen Reichsmark genehmigt worden. Man versprach sich einen Prestigefilm mit singenden Seefahrern und lustigen, blonden Matrosen, denn Goebbels forderte ausdrücklich Ablenkungen vom Kriegsalltag.
    Doch statt fröhlicher Durchhalte-Parolen präsentierte Helmut Käutner eine melancholische Liebeserklärung an den Kiez mit realistischen Milieuschilderungen und in den Liedern versteckten Anspielungen auf den Krieg:
    "Einmal wird es vorbei sein, einmal holt uns die See und das Meer, gibt keinen von uns zurück."
    Hans Albers als Hannes mit seiner Gisa, gespielt von Ilse Werner.
    Hans Albers als Hannes mit Gisa, gespielt von Ilse Werner (imago stock&people)
    Albers mimt nicht etwa den altbekannten kernigen Draufgänger, sondern den labilen Ex-Matrosen Hannes, der Gisa, die Freundin seines verstorbenen Bruders, bei sich aufnimmt und sich bald in sie verliebt.
    "Ich bin Seemann, verdammt noch mal."
    "Ja, ich weiß, Du trittst in einem Matrosenkostüm auf! Aber ich meine…"
    "Ein Seemann, verdammt noch eins, ich bin Seemann, da stehen doch noch meine Plünnen! Und wenn ich anheuern wollte, könnte ich morgen noch anmustern, aber ich will nicht."
    "Aber das habe ich doch nicht ahnen können, Hannes!"
    Für das junge Mädchen will er seinen anrüchigen Beruf auf St. Pauli aufgeben und als Barkassenkapitän sesshaft werden. Doch Gisa hat bereits einen anderen. Aus Verzweiflung beschließt Hannes, Hamburg zu verlassen und wieder als Seemann in die weite Welt zu fahren.
    "Und dann weiß man vielleicht gar nicht mehr wie sie ausgesehen hat, oder?"
    Keine Aufführungen im NS-Staat
    Ursprünglich war Hamburg als Drehort gedacht. Doch der zunehmende alliierte Bombenhagel ab Mai 1943 zwang das Filmteam zum Umzug nach Berlin. Als auch dort die Ateliers zerstört wurden, mussten sämtliche St. Pauli-Kulissen in Prager Studios nachgebaut werden.
    Nur die Außen-Aufnahmen wurden im Hamburger Hafen gedreht. Käutner gelang das Kunststück, sowohl Aufnahmen von Kriegs-Zerstörungen zu vermeiden als auch die allseits üppige Beflaggung.
    "Und so legte ich bei den Totalen Nebelschwaden im Hafen, die immer diese Hakenkreuze verdeckten. Es war sehr mühselig und hat tagelang gedauert, aber, da der Film schon längst in Goebbels Hand war, bezahlten die Herren ja selber die Camouflage ihrer eigenen Werbeartikel", sagt Käutner.

    Als der Film erstmals der Zensur vorgelegt wurde, fiel er durch: zu viel saufende Seeleute, zu wenig "saubere Volksgemeinschaft", wie es hieß. Marine-Admiral Dönitz hielt ihn gar für wehrkraftzersetzend. Zahlreiche Schnitte wurden angeordnet. Verbittert schrieb Hans Albers an seine Schwester:
    "Die Große Freiheit ist einer der schönsten und wertvollsten Filme geworden, die je gemacht wurden. Vielleicht muss er deshalb meinen Landsleuten zerstückelt gezeigt werden."
    Goebbels gab auch die geänderte Fassung nicht frei, er fand den Film zu schwermütig. Für dringend benötigte Devisen aber durfte die Reeperbahn-Hommage im Ausland und in einigen Frontkinos laufen. Im neutralen Schweden erhielt er sogar den Kritiker-Preis.
    Regisseur Helmut Käutner im Jahr 1955
    Regisseur Helmut Käutner im Jahr 1955 (picture alliance / Kurt Rohwedder)
    Auch deshalb zählte "Große Freiheit Nr. 7" zu den ersten, der NS-Ideologie unverdächtigen deutschen Produktionen, die nach dem Krieg von den Alliierten wieder freigegeben wurden. Hans Albers aber hatte sich mit dem Seemann Hannes in Hamburg ein Denkmal gesetzt.
    "Auf Matrosen, ohe La Paloma, ade"