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Premieren-Marathon in Leipzig

In der Halle einer stillgelegten Baumwollspinnerei in Leipzig präsentiert Enrico Lübbe die erste Produktion seiner Intendanz. Platter Pomp und eine aufwendige und teure Bühneninstallation lassen die Inszenierung jedoch zu einem unerheblichen und ärgerlichen Auftakt werden.

Von Hartmut Krug | 05.10.2013
    Nicht im Theater, sondern draußen, im Ortsteil Plagwitz, präsentierte Enrico Lübbe die erste Produktion seiner Intendanz. In einer Halle der stillgelegten Baumwollspinnerei lässt die Performancegruppe Monster Truck die Zuschauer einzeln hinein in ihre Bühneninstallation. In der man selbst auf die Bühne gerät.

    In einem musikumtosten Raum öffnen sich auf allen vier Seiten nacheinander mächtige Vorhänge: Zuschauergruppen schauen den in die Akteursrolle versetzten Zuschauer an. Bunte Tiergestalten oder viele Gerippe, von einer anderen Seite normale Menschen und von der vierten solche, unter deren albernen weißen Perücken man das zuvor eingelassene Publikum erkennt. Zu denen und unter die Perücken muss sich dann auch der neue Zuschauer begeben.

    Was hier mit plattem Pomp erklärt wird, ist eine Grundsituation des Theaters: Theater entsteht und wandelt sich in der Interaktion der Blicke. Es ist eine schmale Binsenweisheit, für die Monster Truck eine aufwendige und teure Bühneninstallation benötigt, - ein unerheblicher und ärgerlicher Auftakt. Aber Enrico Lübbes will in deutlicher Abgrenzung von seinem Vorgänger Sebastian Hartmann ein breites Spektrum von Spielformen anbieten.

    In der Diskothek, einer Spielstätte unterm Dach des Schauspielhauses, sitzt das Publikum dann als Teil der Inszenierung von Kathrin Rögglas neuer Textflächen- und Materialmontage "Der Lärmkrieg" im Stangengerüst eines Einfamilienhauses. Fünf Personen in Trainingsanzügen reden miteinander und auf das Publikum ein. Lärmgeschädigte des Frankfurter Flughafens, Makler, Protestierende von außerhalb und ein Vertreter der eine neue Landebahn planenden Firma. Sie alle offenbaren mit Sprach- und Sinnversatzstücken egoistische Interessen.

    In Dieter Boyers Inszenierung, die weder die Texte noch das Geschehen zu versinnlichen vermag, befreien sich die Ansässigen von den politisch-ökologisch interessierten Gästen und deren phrasenhaften Sentenzen: Sperren sie in den Kühlschrank, klemmen sie ins Klappbett, ziehen sie am Kran kopfüber in die Höhe oder erschießen sie einfach. Die Frage nach der Qualität des Stückes wird wohl die im nächsten Monat folgende Mainzer Inszenierung beantworten müssen.

    Nach diesen enttäuschenden Vorspielen ging es – endlich – ins große Haus. Hier stand Othello in der Mitte eines dunklen Bühnenkastens als dunkler Schattenriss vor heller Wand im Wasser. Kein individueller Charakter, wie alle der in Christoph Mehlers immer nur auf einen Ausdruck reduzierten Figuren, sondern nur ein Zeichen. Othello als Leerstelle, sowohl mit "h" wie auch ohne "h", als Projektionsfläche für andere. Die radikal auf kaum zwei Stunden verschlankte Inszenierung holt ihre Kraft aus Nehle Balkhausens Bühnenbild, auch wenn die musikuntermalten Schauspieler mit dessen schlechter Akustik zu kämpfen haben. Jago, schauspielerisch auftrumpfend veräußerlicht gespielt, kommt aus dem Zuschauerraum und rüpelt sich mit Bierdosen und Zigaretten durch seinen Text:

    "Sollte mein äußeres Verhalten je die wahre Art und Neigung meines Herzens offenbaren, dann kann ich es mir gleich rausreißen, als Fraß für die Krähen. Ich bin nicht, was ich bin."

    Wenn Othello die Eifersucht übermannt, fällt alle Zivilisation von ihm ab. Als unkontrolliert Rasender zieht er sich nackt aus, bindet sich eine Art Tarzanschurz um und rennt mit nacktem Po als unfreiwillig komische Figur herum. Ophelia wird recht grob vor allem als kumpelig selbstbewusst gezeigt. Zum Schluss einer auch schauspielerisch wenig überzeugenden Inszenierung findet Othello mit dem Satz: "Ich war Othello" zu sich selbst.

    Zum Höhepunkt der ersten beiden Tage wurde die Uraufführung von Wolfram Hölls Stück "Und dann", wieder in der Diskothek unterm Dach. Regisseurin Claudia Bauer erschließt diesem doch arg bedeutungslastigen, stakkatohaft redundanten Text eine wunderbar spielerische Sinnlichkeit. Dabei erdet sie Hölls Bedeutungstext mit viel Komik. Es geht um Kindheitserinnerungen:

    "Ein Vater, zwei Kinder, drei Viervierlinge, vier Plattenbauten, und dann eine Mauer, die keine mehr ist, ein Funkgerät, ein alter Superacht-Film, ein neuer, der in den alten geschnitten ist, und dann…"

    Ein Erzähler berichtet von der Unsicherheit des neuen Lebens nach der Wende, vom Verlust der Mutter und um eine Restfamilie, die nicht am wirklichen Leben teilnimmt, sondern dieses aus den Medien wahrnimmt. Mit viel Video und Musik, mit zu Comicfiguren ausgestopften und mit großen Pappköpfen oder Pinoccio-Nasen ausgestatteten Schauspielern wird ein körpersprachlich kräftiges, verfremdetes und hochkomödiantisches Spiel geboten.

    Dann aber auf der Hinterbühne "Des Meeres und der Liebe Wellen", in dem Grillparzer den Mythos von der tragisch endenden Liebe der jungfräulichen Priesterin Hero zu Leander in die Zeit Metternichs verlegt hat. Wohl auch deshalb betont die Slowenin Mateja Koleznik in ihrer von Bedeutungsmusik untermalten, zugleich zeichenhaften wie zeigefingrigen Inszenierung, dass der Oberpriester und der Wächter Hero machtpolitisch zu beeinflussen und zu bestimmen suchen, aber dabei ihre Suche nach Selbstbestimmtheit unmöglich machen und ihre Liebe und ihr Leben zerstören.

    Das Spiel hoch oben auf einem mächtigen Felsbrocken als Klippe zeigt Schauspieler in eher biederer Kostümierung, doch mit kräftiger Körpersprache und vorzüglicher Textgestaltung. Keine aufregende, aber immerhin eine überzeugende, ordentliche Stadttheater-Inszenierung.