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Pressefreiheit in Bulgarien
"Ich lebe hier gefährlicher als ein Soldat in Afghanistan"

In Bulgarien sollen sich Politiker der regierenden rechts-konservativen Koalition und Medienmogule wiederholt an EU-Geldern bereichert haben. Berichtet wird darüber allerdings kaum - auch weil das lebensgefährliche Konsequenzen haben kann.

Von Robert Fishman | 01.05.2019
Ein Mann geht in Sofia an den Flaggen Bulgariens und der EU vorbei
In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 111 von 180: Bulgarien (EPA)
Demonstranten vor dem bulgarischen Parlament in Sofia. Tagtäglich schreien sie den Politikern ihres Landes ihre Wut entgegen. Ein Mann mit verspiegelter Sonnenbrille, Schlapphut und bulgarischer Fahne in der Hand trägt eine gelbe Warnweste – wie viele andere Demonstranten auch. In Bulgarien sind die Verbindungen zwischen Politik und Oligarchen immer noch mafiös. Viele Zeitungen werden dabei zum Spielball, um eigene Interessen über die Medien durchzusetzen.
Der Unmut der Demonstranten richtet sich vor allem gegen Ministerpräsident Bojko Borissow von der konservativen GERB-Partei. Sie werfen ihm Korruption vor: Borissow verdiene am Schmuggel von Drogen und Zigaretten. Mitarbeiter des Verkehrsministeriums würden Führerscheine verkaufen, um sich persönlich zu bereichern.
Angriffe aus dem organisierten, kriminellen Drogenhandel
Wer solche Machenschaften aufdeckt, lebt gefährlich. Dimitar Stoyanov zum Beispiel:
"Ich bin mehrere Male physisch vor Zeugen attackiert worden. Sogar die Ehefrau eines Geschäftsmannes hat versucht, mich mit Benzin anzuzünden. Das letzte Mal haben mich Leute aus dem organisierten, kriminellen Drogenhandel angegriffen."
Stoyanov arbeitet für das investigative Online-Magazin "Bivol". Die Inhalte liegen aus Sicherheitsgründen auf Servern in Deutschland und Frankreich.
Auch "Bivol"-Gründer und Chefredakteur Assen Yordanov hat schon mehrere Anschläge überlebt:
"Als investigativ arbeitender Journalist lebe ich hier gefährlicher als ein Soldat in Afghanistan. Das ist nicht übertrieben. Wenn dich jemand wegen deiner Arbeit umbringen will, schützt dich und deine Familie niemand."
Viele Medien im Besitz von Politikern
Neben "Bivol" gibt es in Bulgarien kaum investigativ arbeitende Journalisten. Die Arbeit ist gefährlich. "Bivol" finanziert sich vor allem aus Spenden. Das Geld reicht, so Yordanov, nicht einmal, um die Serverkosten zu decken. Die Autorinnen und Autoren arbeiten ehrenamtlich. Orlin Spassov, Journalismus-Professor an der Universität Sofia:
"Die meisten Medien sind unter Druck von Politikern, die Besitzer der Medien. Und das macht die Arbeit der Journalisten ziemlich schwer in Bulgarien, weil es ist ganz normal hier, dass die Journalisten nicht nur unter einer Zensur, sondern auch unter einer Selbstzensur arbeiten."
Mehr Haftung durch neues Datenschutzgesetz
Weitere Einschränkungen drohen Bulgariens Journalisten mit dem neuen Datenschutzgesetz. Journalisten sollen noch mehr als bisher für ihre Veröffentlichungen haften. Frank Stier berichtet seit zwölf Jahren für deutsche Medien aus Bulgarien. Er hat sich mit dem neuen Gesetz beschäftigt:
"Wenn man kritisch über eine Bank schreibt, dann kann die theoretisch bankrott gehen. Es gab 2014 einen spektakulären Bankenzusammenbruch, und im Zusammenhang mit dem Skandal wurden tatsächlich auch Regionalzeitungen verurteilt, weil sie zum Beispiel darüber geschrieben haben, dass es vor der entsprechenden Bank lange Schlangen gegeben hat. Und insofern ist der Journalist, der im Vorfeld über sowas geschrieben hat, mitverantwortlich für den Zusammenbruch so einer Bank."
EU-Fortschrittsberichte benennen keine Verantwortlichen
Mit gemischten Gefühlen blicken viele Kolleginnen und Kollegen auf die Europäische Union. Einerseits sei die Presse bis zum EU-Beitritt in Bulgarien freier gewesen. Damals habe die Regierung unbedingt die Anforderungen für die Aufnahme in die Union erfüllen wollen. Dazu musste sie die Pressefreiheit gewährleisten. Andererseits könne nur die EU - etwa durch den Einsatz eines Europäischen Staatsanwalts - die schlimmsten Auswirkungen der Korruption und des Oligarchen-Filzes eindämmen. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen:
"Es gibt sogenannte Fortschrittsberichte, und in diesen Fortschrittsberichten werden immer Probleme beschrieben, die es in einem Land gibt, auch mit der Pressefreiheit. Aber es wird nie benannt, wer ist eigentlich dafür verantwortlich. Das heißt, solche Berichte tun dann am Ende letztlich auch nicht weh. Und das war, glaube ich, der Kardinalsfehler von Anbeginn an, beim EU-Beitritt."