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Pressefreiheit in Österreich
"Man hat das Gefühl, Kurz lässt die FPÖ die Drecksarbeit machen"

Rubina Möhring von Reporter ohne Grenzen sieht die Pressefreiheit in Österreich bedroht. Dies liege nicht nur an der FPÖ, sondern auch an Bundeskanzler Sebastian Kurz, sagte sie im Dlf. Der gehe bei Kritik an Journalisten allerdings vorsichtiger vor, "um weiterhin schöne polierte Fingernägel zu haben".

Rubina Möhring im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 03.05.2019
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht auf einer Pressekonferenz in Wien
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht auf einer Pressekonferenz in Wien (Imago)
Jörg Münchenberg: Heute ist der Internationale Tag der Pressefreiheit, und die ist längst nicht nur in Diktaturen und Autokratien gefährdet. Auch in Europa stehen missliebige Journalisten teilweise unter massivem öffentlichen Druck. Das zeigt sich in diesen Tagen besonders auch in Österreich. Dort gibt es Streit über ein Interview zwischen den Rechtspopulisten der FPÖ und dem preisgekrönten Journalisten Armin Wolf. Dieser Streit ist inzwischen eskaliert und das Verhältnis zwischen FPÖ und kritischen Journalisten, es gilt inzwischen als zerrüttet.
Wir haben versucht, dazu auch einen Vertreter der FPÖ für ein Interview zu gewinnen – leider vergeblich. Am Telefon nun die Präsidentin von Reporter Ohne Grenzen in Österreich, Rubina Möhring. Frau Möhring, einen schönen guten Morgen.
Rubina Möhring: Schönen guten Morgen aus Wien.
Münchenberg: Frau Möhring, ist die Pressefreiheit in Österreich inzwischen ernsthaft bedroht?
Möhring: Ich würde sagen, ja. Sie wissen ja: Das Ranking von Reporter Ohne Grenzen, darin ist Österreich um fünf Punkte runtergefallen. Das ist sehr viel. Und es hat vor allem den weißen Bereich verlassen, den sogenannten weißen Bereich, oder braune Flecken dort gekriegt. Der weiße Bereich besagt, dass es demokratiepolitisch unbedenkliche Länder sind und sehr zufriedenstellende Länder. Nun ist es in die nächste Kategorie abgerutscht, die ist gelb, und das bedeutet, dass schon ein bisschen die demokratiepolitische Situation angekränkelt ist.
"Das ist absolut eine neue Qualität"
Münchenberg: Und das liegt, würden Sie sagen, an der FPÖ vor allen Dingen?
Möhring: Ich würde sagen, das liegt an der Regierung. Ich meine, auch Herr Kurz hat schon Schelte ausgeteilt an Journalisten und hat gerade auch das österreichische öffentlich-rechtliche Radio kritisiert, hat gesagt, ein Beitrag habe nicht gestimmt, was gar nicht wahr war. Er hat gestimmt. Das ist schon eine gemeinsame Linie, die sie auffahren. Kurz ist wesentlich vorsichtiger und gewandter und manchmal hat man so das Gefühl, er lässt die FPÖ die Drecksarbeit machen, um weiterhin schöne polierte Fingernägel zu haben. Aber es ist so: Manche Gemeinsamkeiten sind da schon zu entdecken.
Münchenberg: Nun ist ja der Streit zwischen FPÖ und dem ORF eskaliert. Es geht konkret um dieses Interview, über das wir gerade auch berichtet haben. Ist das eine neue Qualität, auch die Angriffe auf den Journalisten Wolf?
Möhring: Das ist absolut eine neue Qualität. In dieser Form hat es das noch nicht gegeben. Wir hatten ja schon einmal eine Regierung Schwarz-Blau. Da gab es solche Angriffe nicht. Da wurde höchstens dann intern geregelt, dass manche Journalisten oder Journalistinnen ihren Posten verloren und irgendwo verräumt wurden, wie man hier sagt in der Redaktion. Damals hat Jörg Haider, der damals noch lebte, allerdings versucht, mit einer Masse von Klagen Journalisten einzuschüchtern, was ihm auch zum Teil gelungen ist, obwohl man dazu sagen muss, keinen der Prozesse, die er damals angesträngt hatte, hat er gewonnen.
Hier wird der andere Weg gegangen, indem öffentlich die Menschen an den Pranger gestellt werden, die journalistischen Menschen, und das sind ja auch Menschen, würde ich mal meinen, und so auch in den Dreck gezogen werden, und das ist ganz, ganz gefährlich. Das ist Diffamierung, das haben wir doch alles schon mal gehabt.
"Armin kann es sich leisten"
Münchenberg: Nun muss man aber auch sagen: Armin Wolf, um den es ja im Augenblick geht, der zeigt sich ja ziemlich unbeeindruckt. Und eigentlich die wenigsten Beobachter gehen davon aus, dass jetzt dieser politische Druck Folgen haben wird, dass er zum Beispiel gehen muss.
Möhring: Das glaube ich nicht, dass er gehen muss. Wenn, dann geht er höchstens freiwillig, weil er ein besseres Angebot hat. Armin kann es sich leisten und ich finde das ganz toll, wie er durchhält, denn es geht natürlich an die Nerven. Aber er ist so populär und so bekannt, dass sich die Regierung das dreimal überlegen muss, bevor sie tatsächlich sagt oder Druck auf den Generaldirektor ausübt, dass er gehen müsste. Bei anderen ist das schon anders, die nicht so bekannt sind, die aber trotzdem auch praktisch geraden Ganges gehen wollen und ihr Rückgrat behalten wollen. Manche müssen einfach auch um ihre Existenz kämpfen, wenn sie Familie haben.
Münchenberg: Sie würden sagen, auch weniger bekannte Journalisten werden quasi öffentlich unter Druck gesetzt?
Möhring: Manche schon, nicht vom Kopf der FPÖ, aber zum Beispiel eine Journalistin des Standards, Colette Schmidt, die sehr gut recherchiert hat in Sachen Burschenschaften, wurde von einer Jung-FPÖ-Organisation eigentlich öffentlich bloßgestellt. Sie wurde angepöbelt im Internet, in den Social Media. Ihr Foto wurde gezeigt, ihre E-Mail-Adresse und ihre Telefonnummer wurden bekannt gegeben. Das ist schon sehr böse.
Münchenberg: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Aber das ist doch auch ein Phänomen, was wir in vielen Ländern derzeit haben, dass aus einer bestimmten politischen Ecke auch Journalisten öffentlich angeprangert werden, gerade über das Netz.
Möhring: Ja, sicher nicht nur über das Netz. Nehmen wir den amerikanischen Präsidenten: Der hat ja gleich als erstes gesagt, Journalisten sind Feinde der Gesellschaft. Und das Image von Journalisten war ja nie das Beste. Das von Politikern übrigens auch nicht. Aber das hat hier in Österreich zumindest eine neue Qualität, und Österreich ist ein kleines Land. Da kann man dann nicht so schnell irgendwo hin anders ausweichen. Österreich ist zehnmal kleiner als Deutschland, hat zehnmal weniger Einwohner, also ist auch die Medienlandschaft sehr begrenzt, und das ist natürlich dann eine Frage für Journalistinnen und Journalisten, wo bleibe ich.
"Ich glaube nicht, dass sein Herz am ORF hängt"
Münchenberg: Frau Möhring, lassen Sie uns noch mal auf den Bundeskanzler zu sprechen kommen. Herr Kurz hat ja jetzt betont, er sei durchaus ein Fan unabhängiger Medien. Damit weist er doch die FPÖ indirekt schon in die Schranken.
Möhring: Ja, indirekt schon, aber nicht direkt. Und er sagt auch zugleich, gerade am 1. Mai hat er gesagt: Na ja, das ist alles widerlich und so weiter, was da passiert ist. Aber die Journalisten seien ja auch nicht gerade sehr sensibel im Umgang miteinander, und wenn einer die Regierung lobe, dann würde er gleich in den sozialen Medien auseinandergenommen. Er teilt auch genauso im selben Atemzug an die Journalisten aus. Er macht das wirklich sehr, sehr geschickt, muss ich sagen.
Münchenberg: Auf der anderen Seite gilt ja gerade auch Moderator Wolf durchaus als jemand, der hart austeilt, und da könnte man auch sagen, der muss auch einstecken, denn er hat ja indirekt jetzt die FPÖ-Plakatkampagne verglichen mit einem Beispiel vom NS-Hetzblatt "Der Stürmer".
Möhring: Ja, aus meiner Sicht absolut zu Recht. Wenn man sich die Karikaturen anschaut, dann sind da schon wesentliche bedauerliche Parallelen zu sehen.
Münchenberg: Würden Sie denn sagen, Herr Kurz steht auch noch für die Unabhängigkeit des ORF? Wird er den Sender dann auch gegen die FPÖ noch verteidigen, wenn es darauf ankommt?
Möhring: Ja, das ist ja die große Frage. Es ist angeblich ein neues ORF-Gesetz in Vorbereitung. Niemand weiß, was da drinsteht. Das wird eine große Überraschung werden, wie so vieles jetzt unter dieser Regierung. Ich glaube nicht, dass sein Herz am ORF hängt. Andererseits ist es natürlich auch für ihn zu überlegen, wenn der ORF nicht mehr da sein sollte, ob dann nicht die FPÖ mehr Medienresonanz haben könnte als er oder seine Partei. Auf der anderen Seite: Wenn sich die FPÖ durchsetzen sollte, dass der ORF ein Staatsfernsehen wird, aus dem Regierungsbudget gezahlt wird und nicht durch die Gebühren, dann: Staatsfernsehen ist Staatsfernsehen und macht dann das, was der Staat will.
Es war ganz interessant zu sehen. Am Mittwoch, am 1. Mai, hatte ja Kurz noch den Ministerrat einberufen, um seine Steuerreform bekannt zu geben, und im Anschluss wurde er über die Medien befragt. Und da war das ganz interessant auch zu hören, dass er sagte: Na ja, mit dem ORF, das wird schon irgendwie geregelt werden. Aber er wolle halt nicht, dass das ein großer Streitpunkt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.