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Preußenkönig als "Vorbild und Schreckbild"

Den Beinamen "der Große" trägt er zu Recht, meint Jens Bisky, der ein Lesebuch über den preußischen König Friedrich II. herausgibt. Ihn fasziniert vor allem, wie die Deutschen immer wieder über das Vermächtnis des Monarchen stritten.

Jens Bisky im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.09.2011
    Christoph Heinemann: Die Literatur über Friedrich ist von beängstigendem Umfang, man kann sein Leben mit ihrem Studium verbringen. Das schreibt Jens Bisky, Kulturredakteur der Süddeutschen Zeitung. Der beängstigende Umfang wird in den kommenden Wochen und Monaten vermutlich noch zunehmen, denn im Januar steht der 300. Geburtstag Friedrichs II. auf dem Kalender.

    Heute erscheint unter dem Titel "Unser König" ein Lesebuch über Friedrich den Großen und seine Zeit. Lesebuch heißt, Jens Bisky hat aus den Äußerungen namhafter Zeitgenossen oder auch später geborener Beobachter des alten Fritz ein Porträt des Königs zusammengefügt. Lessing, Kant, Goethe, Bismarck, Fontane kommen zu Wort in vier Kapiteln, die mit "Jugend", "Glanz", "Krieg" und "Alter" überschrieben sind. In der Einführung schreibt Jens Bisky:

    "Weil es so viel über ihn zu sagen gibt, weil er immer wieder Kontroversen auslöst, ist er unser König, der umstrittenste Monarch der deutschen Geschichte, Vorbild und Schreckbild. Keiner der Versuche, ihn ganz zu historisieren, ihn als einen normalen Herrscher des 18. Jahrhunderts erscheinen zu lassen, hat bisher die Faszination auslöschen können, die von seiner Person, seiner Zeit und den Legenden über ihn ausgeht."

    Heinemann: Guten Morgen, Jens Bisky!

    Jens Bisky: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Bisky, was fasziniert Sie an diesem König?

    Bisky: Es ist eine große, vielgestaltige Figur, die eigentlich jedem etwas bietet. Man hat, wenn man rebellisch gesinnt ist, den jungen Kronprinzen, der sich gegen die Erziehung durch seinen Vater auflehnt. Man hat den Feldherrn und kühlen Machttaktiker, man hat den Schöngeist und man hat den alten Fritz, der versucht, die Entwicklungen, die er zum Teil selber mit angestoßen hat, wieder zu dämpfen. Und das ist nur die eine Seite.

    Die andere Seite, die mich an Friedrich sehr fasziniert, ist, dass er der König ist, über den sich die Deutschen am meisten gestritten haben. Man kann eigentlich, wenn man sich die Geschichte der letzten 300 Jahre anschaut, sagen, dass an jedem Wendepunkt der deutschen Geschichte auch über Friedrich gestritten wurde.

    Das beginnt mit der Französischen Revolution, setzt sich fort über die napoleonischen Kriege, die Vormärz-Zeit ist eine große Zeit der Friedrich-Verehrung und der Friedrich-Diskussion, es geht dann weiter im Ersten Weltkrieg, als Thomas Mann die damalige Lage Deutschlands im Leben Friedrich des Großen spiegelt, und das setzt sich letztlich fort bis 1991, als der Sarg des Königs und seines Vaters nach Potsdam zurückgebracht wird und auch da wieder eine Diskussion sofort einsetzt, was soll das jetzt bedeuten, wird Deutschland, wird das neue, wiedervereinte Deutschland jetzt preußischer als die alte Bundesrepublik. Und diese beiden Dinge, die reale Figur und diese sehr intelligenten vielschichtigen Diskussionen über ihn, die haben mich interessiert.

    Heinemann: Und inwiefern ist Friedrich II. Vorbild und Schreckbild, wie Sie schreiben?

    Bisky: Ja man hat ihn zu beidem immer gemacht. Er gilt auf der einen Seite ja als Vorbild für ein sparsames Wirtschaften, das mit den Beständen rechnet, nicht mehr ausgibt als man hat. Wenn man in dieser Woche in die FAZ geschaut hat, hat man da eine große Anzeige gefunden, die der Kanzlerin die Haushaltspolitik Friedrichs des Großen empfohlen hat.

    Heinemann: Und zwar mit dem Satz: "Wenn das Land glücklich sein soll, muss es Ordnung in seinen Finanzen halten. Der Staatsschatz ist zu erhöhen, damit Reserven für Notfälle vorhanden sind." Das stammt aus der Feder des großen Fritz.

    Bisky: Ja! Ich halte es allerdings für Humbug, das heute Politikerinnen oder einem Politiker zu empfehlen. Die Verhältnisse unter Friedrich dem Großen waren ganz anders als unsere heutigen und seine Wirtschafts- und Finanzpolitik war gar nicht so erfolgreich, wie man sich das denken soll. Er war da auch ein ziemlicher, wie soll man sagen, Trickbetrüger. Um seine Kriege zu finanzieren, hat er zumindest zur Verschlechterung beigetragen, hat diese aktiv gefördert. Den siebenjährigen Krieg haben zum großen Teil Sachsen und Polen bezahlt, die ausgepresst wurden und sich von dieser wirtschaftlichen Schwächung über hundert Jahre kaum erholt haben. Da ist, wenn man da näher hinschaut, nicht so viel, was man nachmachen sollte.

    Was man nachmachen könnte und was man bei Friedrich, glaube ich, schön sehen kann, ist sein Insistieren auf Gewissensfreiheit, und er unterstützt doch sehr den Beginn der Entwicklung Preußens zu einem Rechtsstaat. Man hat das lange für erledigt gehalten, er hat ja sofort nach Thronbesteigung die Folter abgeschafft. Da konnte man zurückschauen und sagen, ja irgendwie hat das damals begonnen. Heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts müssen wir sagen, die stolzesten Demokratien haben Folter wieder eingeführt, oder haben der Versuchung zumindest nicht scharf genug widerstanden. Da gewinnen Friedrichs Beispiele doch an Glanz.

    Ein anderer Satz von ihm, der mir sehr gefällt, weil er gut in die jetzige Situation passt, ist der, dass er sagt, na ja, hier herrscht Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit, und wenn eines Tages Muslime und Heiden nach Preußen kommen, dann werden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen. Auch das ja heute keine unumstrittene Selbstverständlichkeit.

    Heinemann: Trägt er den Titel "der Große" zurecht?

    Bisky: Er trägt den Titel zurecht, weil er es geschafft hat, die Monarchenrolle im 18. Jahrhundert neu zu erfinden. Er geht sehr bewusst da heran, überlegt sich, was kann ein König, was muss ein König sein in dieser Zeit, in der die Aufklärung immer mehr um sich greift, in der die Bedingungen gegenüber dem 17. Jahrhundert sich dramatisch verändert haben, und er wird damit zu einem Vorbild für alle anderen jungen Monarchen in Europa, also Joseph II., der Sohn Maria Theresias, imitiert ihn dann sozusagen, wenn auch mit viel weniger Erfolg. Und er trägt den Namen "der Große" auch darum zurecht, weil er so umstritten ist.

    Bei anderen Figuren, etwa dem ersten deutschen Kaiser Wilhelm I., da ist ja das Attribut "der Große" nicht haften geblieben, und bei Friedrich hat selbst die DDR diesen Beinamen am Ende wieder eingeführt. Sein Denkmal, das Christian Daniel Rauch 1851 vollendet hat und das unter den Linden stand, war lange verschwunden und verbannt und ist dann 1986 erst wieder unter die Linden zurückgekehrt, als man ein etwas entspannteres, aufgeklärteres Verhältnis zur eigenen Geschichte pflegte. Das heißt ja nicht, dass man alles, was Friedrich getan hat, gut finden muss; das wäre völlig albern. Er hat bösartige und furchtbare Seiten. Nur er gehört selbstverständlich zu unserer Geschichte, und das hat man dann auch eingesehen und das Denkmal, das ein großartiges Kunstwerk ist vor allem, dann wieder aufgestellt.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit dem Kulturjournalisten Jens Bisky. – Haben die einzelnen Darstellungen oder Schilderungen von Zeitgenossen Ihr Bild vom großen Fritz verändert?

    Bisky: Es gibt zwei Punkte, die mich überrascht haben, als ich noch mal nachgelesen habe. Das eine ist, wie klar und sachlich sich Friedrich selbst über sich äußert. Es gibt ja durch die große Darstellung von Theodor Schieder, "Königtum der Widersprüche", so einen Versuch, Friedrich immer als jemand mit einem Doppelgesicht darzustellen. Wenn man nur auf den Politiker Friedrich schaut, dann überzeugt das eigentlich nicht. Er hat schon als Kronprinz ein ziemlich klares politisches Programm, formuliert das auch: "Ich muss Preußen vergrößern". Und das geht am besten im Osten und das geht am besten, wenn man diplomatisch geschickt ist und das Verhältnis zu den Nachbarn neu justiert. Das hat er dann als König auch gemacht. Er bleibt seinen Jugendüberzeugungen auch im Ästhetischen erstaunlich treu. Und er ist als jemand, der sich ständig selbst beobachtet, auch in der Lage, eigene Handlungen kritisch zu sehen. Man muss dazu sagen, dass das etwas sehr Ungewöhnliches ist. Er ist ein viel schreibender König. Er schreibt eigentlich ständig, auch am Abend der Schlacht und am Morgen kurz davor. Er ist, wenn man so will, ein Journalist auf dem Thron. Das ist das eine.

    Das zweite, was mich überrascht hat, ist, wie bösartig er dann doch sein konnte. Er hatte, glaube ich, ein sehr instrumentelles Verhältnis zu seinen Freunden, zu seinen Verwandten, aber auch zu allen Menschen. So wie er sich selbst als erster Diener des Staates sah, so waren auch eigentlich alle anderen Diener und Instrumente der Staatsräson. Das führt dann auch dazu, dass er als alter Mann sehr einsam ist, eigentlich ziemlich unglücklich wirkt, zumindest von heute aus gesehen, und als er dann nach quälend langen Stagnationsjahren im August 1786 stirbt, hält sich die Trauer in Potsdam und Berlin doch sehr in Grenzen.

    Heinemann: Herr Bisky, Sie sprachen eben von den Wendepunkten, zu denen er immer wieder auftaucht in der deutschen Geschichte, und Sie sprachen von der Trickserei seiner Finanzpolitik, beides ja Begriffe, die vielleicht die Lage 2011 gar nicht so schlecht beschreiben. Was können Staatsfrauen und –Männer vom alten Fritz lernen?

    Bisky: Direkt erst einmal sehr wenig. Ich stehe allen Aufforderungen der Rückkehr zu preußischen Tugenden sehr skeptisch gegenüber. Die hatten ihre Zeit und da haben sie auch nicht nur gut gewirkt. Was man von Friedrich vielleicht lernen kann ist, dass man sich genau überlegen soll, in welcher Situation man agiert. Friedrich hat ja als einer der ersten begriffen, dass man mit der Öffentlichkeit regieren muss und nicht gegen sie regieren kann. Das ist das, was ihn von anderen Monarchen seiner Zeit unterscheidet. Er hat begriffen, dass man mit den Philosophen und mit den Aufklärern der Zeit sich irgendwie ins Verhältnis setzen muss. Ich glaube, daraus könnte man vermittelt etwas lernen.

    Und das zweite ist: Was man eventuell an ihm lernen könnte, ist eine gewisse Kühnheit. Die hat auch ihre abenteuerlichen Seiten, er hat manchmal sehr viel auf eine Karte gesetzt, aber er war doch selten verzagt und kleinmütig. Er hat von seinem Land und von sich sehr viel verlangt, sehr viel für möglich gehalten und dann auch sehr viel realisieren können.

    Heinemann: Im Januar jährt sich der Geburtstag zum 300. Mal. Welches Gedenken wünschen Sie sich?

    Bisky: Ich wünsche mir ein stilles Gedenken, möglichst ohne den Pomp, den man 1991 bei der Heimholung der Särge noch für nötig gehalten hat, als die Bundeswehr da Ehrenwache hielt und Helmut Kohl, wenn auch als Privatmann, an der Heimkehr teilnahm. Ich wünsche mir, dass man sich vor allem um die ungeheuer reiche kulturelle Überlieferung aus der friderizianischen Zeit, aber auch aus der Beschäftigung mit Friedrich späterer Jahrzehnte, dass man sich um diese kümmert. Ich finde, man sollte in die Alte Nationalgalerie gehen zum Friedrich-Jubiläum und sich noch einmal die großartigen Bilder Adolph Menzels anschauen, die nicht nur friedrichverherrlichend sind, sondern versuchen, in ihm auch eine Sehnsucht nach einer anderen Politik auszudrücken. Wenn man das tut und sich diesen kulturellen Zeugnissen widment, vielleicht auch wieder Lessing und Kant mal zur Hand nimmt, dann hat man, glaube ich, das Jubiläum angemessen begangen.

    Heinemann: Jens Bisky, Kulturredakteur der Süddeutschen Zeitung und Autor des Buchs "Unser König – Friedrich der Große und seine Zeit", ein Lesebuch, das heute erscheint. Herr Bisky, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bisky: Vielen Dank! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.