Donnerstag, 25. April 2024

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"Pride of Africa"
Der teuerste Vergnügungszug der Welt

Einmal mit dem Zug durch Afrika zu reisen: ein Traum, den sich wohlhabende Touristen mit dem Luxuszug "Pride of Africa" erfüllen können. 6.000 Kilometer geht es durch fünf Länder: Tansania, Sambia, Simbabwe, Botswana und Südafrika. Es ist die einzige durchgehende Landroute vom Indischen Ozean zum Kap.

Von Michael Marek | 30.07.2017
    Blick in einen luxuriös ausgestatteten Salonwagen der Rovas Rail in Südafrika am Ende des Zuges mit großen Aussichtsfenstern,
    Ein alter Salonwagen der Rovas Rail - der Luxuszug Pride of Africa fährt mit alten, restaurierten Waggons der südafrikanischen Eisenbahn. (dpa / Susanne Mayr)
    "Die Strecke ist wirklich eine Herausforderung, interessant und gefährlich, wie die Afrikaner ihre Züge fahren. Man sieht überall an der Strecke die entgleisten Waggons. Die Schienen sind in einem schlechten Zustand. Zwischen Kapiri Mposhi und Victoria Falls kann ich nur zwischen 18 und maximal 25 Kilometer pro Stunde fahren, das sind dann zweieinhalb Tage für etwa 700 Kilometer."
    Willem Coetzee, 49 Jahre alt, ist ein breitschultriger Typ. Blond, Schnauzbart - das blaue Poloshirt spannt über dem Bauch. In speckiger Jeans sitzt der Zugführer aus Südafrika auf dem Drehstuhl im Führerhaus seiner Diesellok. Seit vielen Jahren macht er schon diesen Job. Doch erst seit Kurzem arbeitet er als Fahrer auf der längsten Eisenbahnstrecke, die Afrika zu bieten hat. 6.000 Kilometer zwischen Südafrikas Kapstadt zur tansanischen Hafenstadt Daressalam und zurück. Der Pride of Africa, der "Stolz Afrikas", ist ein Sonderzug der südafrikanischen Bahngesellschaft Rovos. Mehrmals im Jahr fährt er die Strecke zwischen Kapstadt und Daressalam. Und Willem Coetzee ist einer von drei Lokführern, die ihn in Bewegung halten.
    "Wir arbeiten in Schichten. Eine Tour bin ich von 6 bis 14 Uhr dran, der Nächste dann von 14 bis 22 Uhr. Und der Dritte die Nachtschicht. Bis Südafrika mach' ich jetzt die Tagschicht. Seit einem Jahr arbeiten wir zusammen. Wir sind immer auf dem Zug."
    Die Gäste werden Ostafrika komfortabel erleben - von bequemen Abteilen aus, in gemütlichen Sesseln und durch Panoramafenster hindurch. Eine Fahrt im Pride of Africa haben sie vor allem wegen des Erlebnisses gebucht, den Kontinent langsam an sich vorbeiziehen zu lassen - im Stil wie vor 100 Jahren. Aber wie nahe kann man Afrika überhaupt kommen - in einem rollenden Luxuszug? Das werden die nächsten Tage zeigen.
    14.000 Euro für zwei Wochen Zugreise
    In Daressalam steht der Zug auf einem eigenen Bahnsteig. Eine Musikkapelle spielt. Zwei Wochen wird die Reise bis nach Südafrika dauern. Gut 14.000 Euro hat jeder Passagier dafür bezahlt. Wir begleiten die Reisenden etwa die Hälfte der Zeit - bis zu den Viktoriafällen in Simbabwe.
    "Wir haben 20 Waggons. Jeder misst 22 Meter, also im Ganzen ist der Zug etwa einen halben Kilometer lang. Vorne sind die zwei Lokomotiven, eine mit 1.200 PS, die andere mit 1.300."
    Zugmanagerin Mart Marais ist eine weiße Südafrikanerin. Sie trägt einen dunkelblauen Hosenanzug und hat die 54 Gäste dieser Reise im Lounge-Wagen versammelt - es sind vor allem ältere Paare. Die meisten kommen aus Deutschland, wenige aus der Schweiz. Die Reise richtet sich an ein deutschsprachiges Publikum. Viele Zuggäste sind Eisenbahnfans. Sie reisen oft mit berühmten Zügen in aller Welt und begeistern sich für Lokomotiven und Waggons, deren Alter, Herkunft und Ausstattung. Gespannt lauschen sie Mart Marais:
    "Die 1.200 PS-Lokomotive wiegt 110 Tonnen. Direkt dahinter der Tankwagen. Ganz am anderen Ende ist der Versorgungswagen. Der hat zwei Waschmaschinen und zwei Trockner. Dort arbeiten die beiden Damen, die sich um die Wäsche kümmern, also Bettwäsche für Gäste und Personal, Tischwäsche, Handtücher. Außerdem stehen dort Tiefkühltruhen mit allen Nahrungsmitteln, die man einfrieren kann. Und zum Beispiel auch 1.000 Rollen Toilettenpapier für die gesamte Reise."
    Hier rollt der teuerste Vergnügungszug der Welt durch afrikanische Landschaften. Die blaugrün lackierten Waggons, jeder mit Schriftzug und Emblem, sind eine Augenweide - von außen und innen, findet die südafrikanische Reiseleiterin Bianca Preusker:
    "Wenn man von hinten anfängt, da ist der Aussichtswagen. Dann kommen die Wohn-Waggons. In der Mitte des Zuges, da kommt dann ein Speisewagen. Der ältere stammt aus den 1920er-Jahren. Dann kommt die Küche, dann der zweite Speisewagen, der stammt von 1938. Dann dieser Waggon, wo wir sitzen, das ist unsere Lounge. Dann kommen wieder einige Wohn-Waggons, die meisten Waggons, die wir an Bord haben, stammen aus den 30er- und 40er-Jahren. Es sind alte Waggons der südafrikanischen Eisenbahn, die verschrottet werden sollten. Die werden auf dem Bahnhof von Rovos komplett ausgehöhlt und dann wieder restauriert, von Grund auf im alten Stil, so wie wir sie jetzt sehen."
    Eine vergangene Eisenbahnepoche, wie sie einst der Orient Express repräsentierte, erwacht hier zu neuem Leben - mit Brokatvorhängen, Messingleuchtern, Polstermöbeln im Panoramawagen, geräumigen Suiten für maximal 76 Passagiere. Die moderne Technik versteckt sich überall hinter dicken Mahagoni-Paneelen. Der ganze Zug verströmt den feinen Duft vornehmer Landgüter der Jahrhundertwende. 800 Liter Holzpolitur werden auf einer Reise verbraucht, mit ihnen wienern Zugangestellte jeden Tag die Möbel an Bord.
    Die feinen Tische sind mit feinem Porzellan gedeckt
    Aubrey Phuti serviert die edlen Tropfen zu Lunch und Dinner in den beiden Restaurantwagen mit großem Enthusiasmus. Wenn der schwarze Restaurantchef lächelt, leuchten zwei breite Reihen blendend weißer Zähne auf. Der schlanke Mittvierziger ist eine elegante Erscheinung in seinem blütenweißen Hemd und der mit feinen Goldblumen bedruckten Weste. Aubrey ist auch der Sommelier an Bord.
    "Hier sind wir in der Bar des Restaurants. Hier stehen die Weinregale mit den verschiedenen Rot- und Weißweinen. Und darunter liegen weitere Kisten, mein Nachschub! Von jedem Roten halte ich vier Kisten à sechs Flaschen vorrätig, der Rest ist im Versorgungswagen. Es gibt 14 Rotweine, neun Weiße, zwei Rosés und vier Dessertweine."
    "Natürlich haben wir mehr an Bord, als wir für die Reise benötigen. Aber man weiß ja nie. Die Gäste sind hier im Urlaub, also warum nicht etwas mehr trinken? Wenn wir länger halten, fülle ich den Vorrat aus dem Cateringwagen am Ende des Zugs auf. Viele Weine kommen aus der Kapregion, aus Stellenbosch, dem wichtigsten Anbaugebiet, einige auch aus anderen Lagen. Aber alle Weine kommen aus unserem Land. Wir sind stolze Südafrikaner."
    Die Rovos-Mitarbeiter zelebrieren die Mahlzeiten im Zug. Obwohl dieser nahezu ständig über unebene Schienen durch Buschland rattert und dabei wie ein Dickhäuter hin- und herschwingt, sind die Tische mit feinem Porzellan eingedeckt. In den Kristallgläsern stecken dekorativ Servietten. Frische Blumen stehen in schmalen Vasen. Alles scheint der Schwerkraft zu trotzen. Ganz selten geht etwas zu Bruch. Das Restaurantteam bewegt sich durch die Gänge mit der Leichtigkeit von Hochseilartisten.
    Innen: Luxus - draußen: die Armut der Dritten Welt
    Bei den Gästen kommt das sehr gut an. Sie lieben das distinguierte Ambiente dieses rollenden Hotels, die liebenswürdige Bedienung, die stets frisch und lecker zubereiteten Speisen. Nichts ist leichter, als auf dieser Reise zu vergessen, dass der Zug der südafrikanischen Eisenbahngesellschaft Rovos durch den ärmsten Kontinent der Erde fährt: Im Innern herrscht der Luxus der Belle Époque, draußen dagegen die Armut der Dritten Welt.
    "Wir müssen neues Land finden, dessen Rohstoffe wir leicht ausbeuten können und dabei die billige Sklavenarbeit der Eingeborenen in den Kolonien nutzen", proklamierte Ende des letzten Jahrhunderts der britische Unternehmer und Politiker Cecil John Rhodes.
    "Keine Nation hat das Recht, Entscheidungen für eine andere Nation zu treffen. Kein Volk für ein anderes Volk", hielt der tansanische Politiker Julius Nyerere 70 Jahre später dagegen.
    Zwischen diesen beiden Äußerungen liegt die Spanne eines Menschenlebens, Nyerere und Rhodes sind sich nie begegnet: Der weiße Europäer Cecil John Rhodes, ein Kind der industriellen Revolution und 1870 ans Kap ausgewandert, war geprägt vom rassistisch-imperialen Anspruch des britischen Empires. Julius Nyerere stammte aus einem Dorf im Norden Tansanias. Er war Sozialist und glühender Verfechter der Befreiung Afrikas vom kolonialen Joch. Er wurde 1964 zum ersten Präsidenten des unabhängigen Tansania gewählt. Beide, Rhodes und Nyerere, stehen exemplarisch für ihre Epochen, das koloniale und postkoloniale Schwarzafrika, erklärt Bianca Preusker:
    "Cecil John Rhodes war ein Geschäftsmann. Sein Hauptinteresse war Geld. Daneben war sein Hauptinteresse, das britische Königreich zu verbreiten. Er wollte ganz Afrika annektieren für die Engländer. Das war sein Ideal. Der hat sein Geld verdient aus den Diamantenfeldern in Kimberley. Und dann auch aus den Goldfeldern. Er soll zu seinen Lebzeiten der wohlhabendste Mann der Welt gewesen sein, hat aber wenig persönliches Interesse an dem Geld gehabt, sondern hat das eben hauptsächlich für die britische Kolonie eingesetzt. Simbabwe war Südrhodesien, Sambia war Nordrhodesien, und sie sind beide nach Rhodes benannt. Er hat diese Gebiete annektiert, das waren so die Machenschaften von Cecil John Rhodes."
    Rhodes sah in der Eisenbahn einen billigen und schnellen Weg, die Bodenschätze Zentral- und Ostafrikas in seine Wahlheimat zu schaffen. Bis zu dessen Tod 1902 hatte der Streckenbau Südrhodesien erreicht, das heutige Simbabwe. Ein paar Jahre später ging der Schienenstrang bis nach Nordrhodesien, das heutige Sambia. Beide Kolonien trugen bis zu ihrer Unabhängigkeit Rhodes im Namen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Erztransport per Bahn ein und ging durch das britische Herrschaftsgebiet nach Süden.
    Erst mit der Unabhängigkeitswelle Ostafrikas in den 1960er-Jahren war der Cape-to-Cairo-Eisenbahntraum der weißen Kolonialherren vorbei. Stattdessen ließ der Sozialist Julius Nyerere 70 Jahre nach Rhodes das kommunistische China ins Land, das einen Schienenstrang zwischen Nordsambias Kapiri Mposhi und Daressalam direkt an die Küste Tansanias legte.
    Bianca Preusker: "Die Strecke, die wir jetzt fahren von Daressalam nach Kapiri Mposhi im Norden von Sambia, ist von den Chinesen gebaut worden. Das ist die Strecke, die verwaltet wird von der sogenannten TAZARA. In Kapiri Mposhi kommen wir dann auf die alte britische Linie."
    Elefanten auf Schienen inklusive
    Auf der geraden Strecke durch Tansania können die Lokführer den Zug auf 60 Stundenkilometer beschleunigen. Auf der alten Rhodes-Trasse in Sambia sind es nur höchstens 25. Willem Coetzee fährt Schlangenlinien mit der Hand, um die Qualität des vom Alter gebeutelten Materials zu beschreiben.
    "So in etwa laufen die Schienen. Dann kommt eine Schwelle, dann fehlen zwei, dann kommen eineinhalb, dann fehlen wieder sechs, sehr gefährlich das Ganze. Ich denke schon, dass der Lotse hier nötig ist, ganz sicher. Allein schaffst du das nicht. Er muss mir sagen, wo es gefährlich ist, wo Züge leicht entgleisen können. Tagsüber kann man das Meiste sehen, geht es hoch oder runter, um die Ecke und so. Aber in der Nacht wird es schwierig. Dann ist es sein Job, es mir anzusagen."
    Der Lotse der Tanzania-Zambia-Railway, kurz TAZARA, hockt auf einem Klappsitz neben dem Lokführer. Er kennt jeden Meter Strecke aus dem Effeff. Doch wenn nachts plötzlich Tiere auf den Schienen stehen, kann es brenzlig werden. Dann muss der Lokführer blitzschnell reagieren. Mit müden Augen sitzt Coetzees Kollege Nico van Wyck frühmorgens auf seinem Stockbett im Mannschaftswagen:
    "Drei Elefanten sind vor mir über die Schienen gelaufen, so gegen 1 Uhr 20. Wenn du durch die Wildtierreservate fährst, bist du immer misstrauisch. Aber wenn dann etwas vor dir direkt auftaucht, hey ...! So 500 Meter waren die entfernt. Hab dann die Bremse gezogen. Und das war's. Manchmal werde ich müde, aber es geht. Ich arbeite gern nachts. Man hat seine Ruhe, und es ist nicht so heiß. Wichtig ist, am Tag gut zu schlafen. Das geht, denn wir haben hier im Abteil Klimaanlage, vorne im Fahrstand aber nicht. Jetzt geh ich erst mal ins Bett, so für drei Stunden. Dann was essen, ein bisschen mit den anderen Fahrern quatschen, dann wieder ins Bett bis zur nächsten Schicht. Auf diesem Trip gibt es nicht viel zu tun. Deshalb finde ich die Nachtschicht gut. Dann kann ich den ganzen Tag verschlafen.
    Rückblickend war es ein glücklicher Umstand, dass die Chinesen die Spurbreite der alten Rhodes-Eisenbahn beibehielten: dreieinhalb englische Fuß, gut 106 cm. So ist es heute möglich, den Pride of Africa auf beiden Trassen ohne Umstände fortlaufen zu lassen. Der Zug vereint nun erstmals und als einziger die beiden historisch bedeutsamen Strecken wieder.
    In Kapiri Mposhi, dem wichtigsten Eisenbahnknotenpunkt im zentralsambischen Hochland, treffen sich die Trassen nach dreitägiger Fahrt von Daressalam. Während der edle Sonderzug der südafrikanischen Bahngesellschaft Rovos einfach weiterfährt, müssen Reisende des regulären Eisenbahnverkehrs zwischen Küste und Hochland hier umsteigen. Etwa dreimal pro Woche fahren normale Personenzüge zwischen Daressalam und Kapiri Mposhi. Alle Strecken sind nach wie vor einspurig, der Zahn der Zeit hat gewaltig an ihnen genagt.
    Auch den Rovos-Reisenden wird ein rustikales Bahnerlebnis beschert. Keinem der Gäste macht das viel aus. Schnell haben sie sich an die Schaukelei gewöhnt. Das größte Risiko sind die täglich bis zu acht Güterzüge, die hier ebenfalls unterwegs sind. Weshalb, das erläutert die südafrikanische Reiseleiterin Bianca Preusker:
    "Eine der Herausforderungen, vor denen wir öfter stehen, ist, wenn Züge vor uns kaputtgehen. Und man muss warten, bis die entweder aus dem Weg geschoben wird oder repariert wird und das macht es eben schwierig. Wenn jetzt ein Güterzug vor uns fährt, die fahren erheblich schneller als wir, aber wir müssen dann warten, bis die einen gewissen Abstand erreicht haben, bevor wir dann fahren. Es gibt immer Radioverbindungen, deswegen ist ja auch auf jedem Zug ein Lotse. Die sind auch immer in Verbindung miteinander. Die größere Gefahr ist, dass Züge hier entgleisen.
    Da ist das Problem, dass die zu schnell fahren. Da gibt es keine Rotweingläser, keine Gäste, die sich beschweren, wenn die zu schnell fahren. Und da geschieht es manchmal, die Fahrer, die möchten gerne nach Hause, und man versucht mal ein bisschen schneller als erlaubt und beim nächsten Mal noch ein bisschen schneller, und das könnte sein, dass das irgendwann eben nicht mehr gut geht. Man sieht die Zugreste liegen neben den Strecken. Wir fahren in der Regel ungefähr die Hälfte der erlaubten Geschwindigkeit, auch aus Bequemlichkeitsgründen. Selbst wenn wir die halbe Geschwindigkeit erreichen, das schüttelt schon ganz ordentlich."
    Luxuszug als Sensation
    Was während der Zugreise am meisten verblüfft: Tiere sieht man nur selten entlang der Strecke: Hier mal eine Giraffe, dort ein paar Antilopen, die im Buschland grasen. Stattdessen liegen rechts und links des fahrenden Hotels zerbeulte Waggons, abgerissene Achsen und umgekippte Eisenräder. Niemand macht sich die Mühe, den Schrott wieder einzusammeln, aus denen sich viele neue Züge schmieden ließen. Ein Vermögen an Altmetall rostet vor sich hin. Zwischendurch eilt rost- und beulenfrei der Pride of Africa und findet höchste Beachtung. Es ist, als hätten die Bewohner der kleinen Siedlungen entlang der Trasse tagelang auf den Zug gewartet. Der Pride of Africa ist eine Sensation:
    Vor allem Kinder stürmen zu den Gleisen. Anfangs kann man sie noch zählen, dann werden es Tausende. Sie bleiben auf Sandwegen stehen, schauen von Feldern, von Schulbaracken herüber, von Häusern aus Lehm, Zementblöcken und Wellblech; von Rundhütten aus Holz und Stroh. Wenige blicken stumm, einige staunend. Sie lachen mit leuchtend weißen Zähnen, hampeln und hüpfen, winken und brüllen irgendetwas. Die Zuggäste winken zurück, erst verhalten, bald genauso wild, ihre Begeisterung steckt jeden an.
    Bianca Preusker: "Für die meisten Menschen, zumindest in den ländlichen Gegenden, ist das Ganze schon etwas witzig. Sie sehen den Zug kommen, man kennt ihn inzwischen. Und da fahren lauter Mzungus. Das sind die weißen Menschen, von denen man in Afrika davon ausgeht, dass die doch relativ viel Geld haben. Warum die nun mit dem Zug fahren, auf diesen schlechten Schienen tagelang, anstatt einfach in ein Flugzeug zu steigen, ist ein bisschen schwer zu verstehen."
    "Manchmal halten wir auch irgendwo, steigen aus, gehen ein bisschen spazieren. Und ich werde oft von den Leuten gefragt: Was haben die denn vor? Und da hab ich eine sehr schöne Geschichte erlebt. Da war ein kleiner Junge, der war vielleicht zehn Jahre alt. Der fragte auch: Was machen die denn hier? Ich sage, das sind Touristen, die kommen aus Europa und kommen sich in Afrika ein bisschen umschauen, die wollen neue Länder, neue Menschen kennenlernen. Ach, meint er, das ist ganz toll. Was muss ich denn machen, damit, wenn ich groß bin, ich auch ein Tourist sein kann?
    Gäste auf dem Zug fragen mich ganz oft: Gibt es denn nicht Neid bei den Leuten? Ja und nein. Die Leute sind sehr neugierig. Die finden das oft lustig. Wir werden oft fotografiert. Gibt es manchmal Aggressionen? Gibt es manchmal. Es gibt auch mal Kids, die Steine schmeißen. Die übergroße Mehrheit von Menschen, die wir sehen, die lachen und freuen sich einfach mit, wenn mal jemand die Fenster aufmacht und winkt."
    Da fährt ein herausgeputzter, fast 500 Meter langer und mit 54 Passagieren nahezu leerer Zug durch ihr Land. Nachts hell erleuchtet wie ein Weihnachtsbaum stampft er an stockdunklen Dörfern vorbei, in denen nur hier und dort ein paar Herdfeuer glühen.
    Nach einer Woche an den Victoriafällen angekommen
    Morgens kurz vor den Victoriafällen: Wie jeden Morgen geht Thuli Promise durch ihren Wagen und läutet zum Frühstück. Jeder der sieben Waggons mit den Wohnabteilen hat seine eigene Hostess, die sich dort um alles kümmert. Während sich ihre Schützlinge im Speisewagen bei frischen Croissants am Büffet bedienen, erzählt die 24-jährige Südafrikanerin mit den zarten Gesichtszügen:
    "Ich bin jetzt seit fast zwei Jahren auf dem Zug. Davor habe ich die Highschool abgeschlossen. Ich wollte dann gerne mit Leuten arbeiten, so kam ich hierher. Anfangs war ich sehr ängstlich, in andere Lände zu reisen. Aber jetzt finde ich es eine tolle Erfahrung. Man erlebt als junger Mensch so viele verschiedene Kulturen, trifft Menschen. Man lernt so einfach mehr. Wie andere Leute wohnen, was sie tun, um Geld zu verdienen, ihre Kreativität dabei. Es ist doch schon eine ganze Menge, was ich so erlebe."
    Die Victoriafälle, an der Grenze zwischen Sambia und Simbabwe gelegen, gehören zu den berühmtesten Naturwundern Afrikas. Ein Verkehrsknotenpunkt seit Rhodes' Zeiten. Livingstone, die Grenzstadt auf sambischer Seite, entstand während des Baus der Eisenbahn und ihrer Brücke über den Sambesi. Ein Zentrum des Tourismus heute im ansonsten kaum erschlossenen Hochland des südlichen Ostafrika. Hier steigen die Zuggäste aus. Ein schlanker Mann mit weißem Hemd, Bundfaltenhose und einem Strohhut auf dem Kopf, begrüßt sie mit der Gestik eines weltgewandten Conferenciers.
    "Ich bin Georges Camille Imbault. Ich bin der Ingenieur, der den Bau der Brücke über die Victoriafälle vor 112 Jahren leitete. Das war, bevor mich die Tropensonne schwarz brannte."
    Von einem Aussichtspunkt sieht man die Victoria Falls Bridge in der Ferne. Sie wurde 1905 fertiggestellt und sieht aus wie mit Streichhölzern zusammengesetzt. Der schwarze Darsteller des weißen französischen Brückeningenieurs erklärt die Herausforderungen der damaligen Zeit: "Die Firma, die die Bahnlinie baute, musste täglich 200 Tonnen Schienen herschaffen, um die Gleise weiter nach Norden zu legen und mit Nordsambia zu verbinden."
    Nach nur 14 Monaten war die höchste Eisenbahnbrücke der Welt vollendet. Ein architektonisches Meisterwerk, das sich in knapp 130 Metern Höhe über die Schlucht spannt. Tief unten donnern die Wassermassen des Sambesi.
    Von Rhodes' rassistischem Plan ist nichts geblieben
    Die Hälfte der Fahrt im Herzen Afrikas ist vorüber. Noch eine weitere Woche wird der "Pride of Africa" weiterrollen bis nach Kapstadt. Die Gäste haben viel aus dem Fenster geschaut, haben Vorträge gehört und Ausflüge gemacht. Oft haben sie sich einfach zurückgelehnt in den bequemen Sofas der Abteile. Der Zug rumpelte durch die Savanne, die Fenster waren weit geöffnet. Der Wind trug die Gerüche Afrikas hinein - mal roch es nach Holzkohle, mal nach Herdfeuern oder Brandrodung. Immer rauchte es irgendwo entlang der Strecke. So zog Afrika vorbei, oder, besser gesagt, ein exklusiver Zug an Afrika.
    Christina Schildknecht : "Ich habe sehr geträumt von Afrika, und jetzt auf dieser Reise, ich lerne. Ich habe es extrem genossen auf der Zugfahrt, weil man auf dem Boden ist, und man reist von Land zu Land, auf eine bequeme Weise. Aber trotzdem sieht man ein wenig die Probleme und das Volk."
    Christina Schildknecht ist eine der wenigen Gäste an Bord des Luxuszuges, die nicht aus Deutschland kommen. Als Britin ist sie mit dem Erbe von Cecil John Rhodes aufgewachsen. Der Minenmogul, der an die Überlegenheit der englischsprachigen weißen Rasse glaubte, wollte den Machtanspruch des Empires und der Weißen im schwarzen Kontinent untermauern. Und heute, 100 Jahre später, neigt die einstige Kolonialmacht noch immer dazu, längst vergangene Größe zu beschwören. Schildknechts Bilanz:
    "Als ganz kleines Kind hab ich meiner Mutter mal gesagt: Wenn ich erwachsen bin, möchte ich schwarze Kinder haben. Mein Vater hatte ein Schulmuseum, er war Lehrer, und wir haben Sachen gekriegt von Rhodesien, und es hat mich wahnsinnig fasziniert und imponiert. Ich frage mich einfach, wie hätte sich das entwickelt, wenn es keine Kolonien gegeben hätte."
    Was also bleibt von Cecil John Rhodes' grandiosem Plan, eine Bahnlinie zwischen Kapstadt und Kairo zu bauen, sich und dem britischen Empire ein Denkmal zu setzen, Afrika zum Wohl und Wohlstand des weißen Mannes auszubeuten? Nichts ist geblieben, was sich der Rassist erträumt hatte! Die Bahntrassen dienen heute vor allem den Menschen der Länder, durch die sie führen. Und gelegentlich wohlhabenden Touristen, die sich ihren eigenen Traum erfüllen können: einmal mit dem Zug durch Afrika zu reisen.