Donnerstag, 25. April 2024

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Priggen: Wir haben zwei gute Angebote auf der Frauenseite

Kerstin Andreae mit ihrem wirtschaftspolitischen Kurs und auch die Sozialpolitikerin Katrin Göring-Eckardt seien geeignet für die Grünen-Fraktionsspitze, sagt Reiner Priggen. Nicht die gesamte Führungsriege müsste ausgetauscht werden, verteidigt er Göring-Eckardts Kandidatur.

Reiner Priggen im Gespräch mit Dirk Müller | 08.10.2013
    Dirk Müller: Die Realos gegen die Fundis, das war einmal in den 80er- bis tief in die 90er-Jahre hinein. Die linken fundamentalistischen Grünen, Jürgen Trittin gehörte dazu, gegen die pragmatischen, die realistischen, die mitregieren wollten, Joschka Fischer gehörte dazu. Jetzt im Herbst 2013 ist das alles irgendwie anders. Die Partei ist angeschlagen, gemeinsam angeschlagen, nur acht Prozent bei den zurückliegenden Wahlen erreicht. Schuld daran wohl auch das Wahlprogramm, aber wohl auch das Wahlpersonal. Ein Neuanfang muss her, das ist überall zu hören in der Partei. Aber was heißt das? Noch einmal Katrin Göring-Eckardt, oder Kerstin Andreae, oder Anton Hofreiter? Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz.
    Das Thema Grüne ist jetzt unser Thema mit dem Grünen-Fraktionschef von Nordrhein-Westfalen, Reiner Priggen. Guten Morgen.

    Reiner Priggen: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Priggen, wen würden Sie wählen?

    Priggen: Da habe ich jetzt einfach Respekt. Die Fraktion entscheidet. Ich habe bei der Urwahl Katrin Göring-Eckardt gewählt. Aber die Fraktion entscheidet und wird sich schon eine gute Vorsitzende wählen.

    Müller: Also keine Tipps von Ihnen?

    Priggen: Nein. Das tut man nicht. Das ist ein Stück weit eine Frage, ich bin ja selber Fraktionsvorsitzender. Die Abgeordneten werden das vernünftig entscheiden und ich kann eigentlich nur sagen, Kampfabstimmung ist ein negativer Begriff. Aber wenn man zwei wirklich fachlich gute, qualifizierte Frauen hat mit politischer Erfahrung, die etwas unterschiedliche Profile haben, wo man zwischen beiden auswählen kann, das ist eher eine angenehme Situation, als wenn Sie niemanden haben an der Spitze, dem Sie das wirklich zutrauen. Insofern bin ich da ganz gelassen.

    Müller: Also freier Wettbewerb, die Abstimmung?

    Priggen: Ja sicher, eindeutig.

    Müller: Ist Katrin Göring-Eckardt machtbesessen?

    Priggen: Das wäre ein Attribut, was mir nie einfallen würde. Ich kenne sie nun auch lange. Ich habe sie erlebt auch als Fraktionsvorsitzende. Sie ist eine sehr kluge Frau. Sie hat ein etwas anderes Profil. Sie ist in der Kirchenbewegung aufgewachsen, sie kommt aus Thüringen, sie ist von den Themen her etwas anders besetzt. Aber dass sie Politik umsetzen will und durchsetzen will, gehört auch dazu. Nur dass sie jetzt weitermachen möchte, finde ich auch richtig, weil es wird zu viel darüber geredet, dass wir alle Leute, die jetzt Verantwortung haben, absetzen müssen. Das finde ich gar nicht in Ordnung, weil wir haben mit Jürgen Trittin und mit Renate Künast Personen gehabt, die in der Regierung tätig waren, damals unter Schröder/Fischer.

    Dass da ein gewisser Generationenwechsel ansteht und dass da auch neue Leute kommen, die die nächste Regierungsbeteiligung vorbereiten, das halte ich für vernünftig. Aber deswegen müssen ja nun nicht alle zurücktreten, die in den letzten Jahren Führungsaufgaben hatten.

    Müller: Aber so alt sah Jürgen Trittin im Fernsehen zumindest ja gar nicht aus.

    Priggen: Nein. Aber ich bin ja nun etwa gleich alt wie Jürgen. Ich glaube, wir sind ein halbes Jahr auseinander. Und Sie wissen: Wenn Sie so was 20 und mehr Jahre machen – ich kenne Jürgen noch aus der Zeit, als er in Hannover Fraktionsvorsitzender war, damals, als Schröder dort noch Ministerpräsident war - wenn Sie das 20 Jahre machen - vorne im Geschäft sind, das ist schon eine Erfahrungsstrecke. Und dass irgendwann auch der Wunsch da ist, Leute, die das über so lange Zeit gemacht haben, zu ersetzen, und dass auch die Leute selber sagen, die nächste Periode, die ansteht, die nächsten vier, acht Jahre, da soll auch mal die nächste "politische Generation" ran, das halte ich für richtig.

    Müller: Noch mal zurückkommend auf Katrin Göring-Eckardt. Machtbesessen, da sagen Sie, Nein, falsches Attribut. Aber Sie haben das ja eben auch beschrieben: in vielen, vielen Bereichen engagiert, immer an der Spitze. Jetzt verliert man. Wie dramatisch das ist, ist jetzt eine andere Frage. Da haben viele jetzt das Gefühl, die ist eigentlich in der SPD, weil da zieht auch keiner Konsequenzen aus einer Wahlniederlage. Warum muss man immer weiter an der Spitze machen? Kann man sich auch mal zurückziehen?

    Priggen: Ja aber es ziehen sich doch nun wirklich mit Renate Künast, mit Jürgen Trittin, mit Claudia Roth, da zieht sich wirklich führendes Personal, auch Volker Beck, haben Sie eben angesprochen, macht einen gewissen Schnitt, nachdem sie zum Teil zehn, 15, 20 Jahre führend gearbeitet haben.

    Man muss doch nicht alle Leute, die da nun Verantwortung hatten, ablösen, zumal, so wie ich Katrin Göring-Eckardt erlebt habe, auch Cem Özdemir, das ja Leute sind, die das Potenzial haben, sehr wohl fünf oder zehn Jahre das noch weiterzuziehen. Insofern bitte ich da auch einfach in der Betrachtung um ein bisschen Fairness und Augenmaß, dass man auch sagt, da sind Leute und dann auch dazu neue, die neu in diese Funktion kommen, mit Anton Hofreiter, mit der Kollegin aus dem Saarland, die dann wieder Verantwortung mit übernehmen können. Also ich bin ganz optimistisch, dass die Fraktion heute gut entscheiden wird, und dann haben wir ja in 14 Tagen Parteitag, wählen einen neuen Bundesvorstand, dass das dann insgesamt ein gutes neues Team gibt für die nächsten Jahre.

    Müller: Reden wir noch mal über die Köpfe. Sie sagen, Jürgen Trittin, dafür haben Sie Verständnis. Sie sagen, der Mann hat viel geleistet, viel gemacht, und es wird Zeit dort für einen Wechsel. Jetzt kommt Anton Hofreiter mit großer Wahrscheinlichkeit. Dessen Personalie auf dem "linken Flügel" ist ja offenbar unumstritten. Das heißt, mit großer Wahrscheinlichkeit wird er heute zu einem der Fraktionschefs an der Fraktionsspitze dann gewählt. Verkehrspolitiker, bei uns häufig im Deutschlandfunk auch im Interview als Verkehrspolitiker, ansonsten nicht gerade profiliert und bekannt. Wie groß ist das Risiko?

    Priggen: Ich halte es für kein Risiko, weil ich ihn kennengelernt habe als einen wirklich sehr engagierten und sehr guten Kenner der Verkehrspolitik, auch als Ausschussvorsitzender im Bundestag, der genau weiß, wo die Probleme sind. Und das schadet ja nun überhaupt nicht, wenn jemand in einem der ökologischen, aber auch wirtschaftlichen Kernthemen sehr gute Erfahrungen hat. Und auch die Zusammenstellung: Dass ich Hofreiter habe, der aus diesem ökologischen Bereich kommt, und dann mit Katrin Göring-Eckardt, die eher aus dem sozialpolitischen Bereich kommt, wenn es so ausgeht, ist doch eine Mischung, mit der man gut eine Fraktion führen kann. Deswegen bin ich ganz optimistisch: Er ist 43, das heißt, er hat das Zeug, das noch mal zehn Jahre zu machen an der Stelle. Ich meine, dass das ein gutes Angebot ist.

    Müller: Jetzt haben Sie virtuell doch Göring-Eckardt gewählt?

    Priggen: Sagen wir mal so: Wenn Sie mich auf einen Tipp festlegen würden, würde ich es so einschätzen, aber die Fraktion entscheidet das.

    Müller: Finden Sie das gut, dass Anton Hofreiter aussieht wie ein Grüner wegen der langen Haare?

    Priggen: Ach lieber Gott! Ich habe ja nun mitgekriegt, dass Christian Lindner sich hat Haarecken transplantieren lassen. Wir kennen die Diskussion um Schröder, seine gefärbten Haare. Man sollte da ein kleines bisschen vorsichtig sein. Anton Hofreiter ist ein bayerischer Typ. Er hat ja auch noch immer diesen Sprachschlag, der aus dem Süden kommt. Man sollte ihn so nehmen, wie er ist und nicht über seine Frisur diskutieren.

    Müller: Kerstin Andreae?

    Priggen: Hoch kompetente Frau, lebt mit ihrer Familie, ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin, baden-württembergische Spitzenkandidatin, ganz klar wirtschaftspolitisches Profil. Ich gehe auch davon aus, dass sie in der Fraktion weiter an exponierter Stelle arbeiten wird. Insofern kann eine Partei nur froh sein, wenn sie zwei so gute Angebote auf der Frauenseite hat.

    Müller: Ist denn das, was ein bisschen gefehlt hat, dieses wirtschaftspolitische, dieses finanzpolitische Profil?

    Priggen: Aus meiner Sicht hat das nicht gefehlt. Ich habe wirklich intensiv beobachtet und ich habe nun vier Koalitionen mit der SPD in Düsseldorf verhandelt, wie sich in den letzten Jahren auch mit starken Impulsen aus Baden-Württemberg, aber in der ganzen Partei gerade die Partei geöffnet hat in Richtung Mittelstand und Handwerk. Unsere alten Konflikte mit den großen Stromkonzernen waren traditionell da, aber die Öffnung im Bereich Mittelstand, Handwerk, Unternehmen ist ja in den ganzen Jahren gewesen. Dass wir jetzt in der Wahl konkret dadurch, dass wir uns sehr, sehr einseitig festgelegt haben, zum Schluss keine Rolle mehr gespielt haben, bei den Machtoptionen doch verloren haben, das ist unser Fehler gewesen. Daraus müssen wir auch lernen, dass wir in Zukunft, wenn wir eigenständig sagen, auch eigenständig meinen, mit einer klaren Koalitionspräferenz, aber nicht Türen zuschlagen. Das ist unser Fehler gewesen, nicht das wirtschaftspolitische Profil, das gefehlt hätte. Das sehe ich überhaupt nicht.

    Müller: Sie sagen ja, viele, viele Jahre daran gearbeitet, mehr Wirtschaftskompetenz zu erwirtschaften im wahrsten Sinne des Wortes, aber auch Vertrauen aufzubauen. Sie sagen, wir haben wirtschaftspolitisches Profil gehabt, die Leute sind vergesslich, was übrig blieb, war ja offenbar ausschließlich die Forderung nach Steuererhöhungen, was nicht so gut getan hat. Kerstin Andreae steht für einen pragmatischen, wirtschaftsfreundlicheren Kurs. Wäre sie die Richtige?

    Priggen: Also noch mal: Die Fraktion wird das entscheiden. Aber der pragmatische wirtschaftspolitische Kurs, den Kerstin Andreae fährt, ist, glaube ich, in der Partei absolut mehrheitsfähig. Das ist nicht mehr die Frage bei uns. Dass wir den Mittelstand, dass wir Handwerk brauchen, dass wir an der Stelle auch enger zusammenarbeiten, dass es uns ja genau darum geht, wenn wir die Energiewende diskutieren, dass über 400.000 Arbeitsplätze in Deutschland im Moment bedroht sind durch den Dilettantismus von Rösler und Brüderle und dass es da schnell klare Signale braucht und dass das, was wir im Verkehrsbereich brauchen, was wir in allen Bereichen brauchen.

    Horst Köhler hat das mal industrielle ökologische Revolution genannt -, dass das Impulse braucht, verbunden mit Wettbewerb, mit fairen Bedingungen, das ist grüne Erkenntnis überall mittlerweile und wird auch in allen Bundesländern. Ich kenne ja die Kollegen auch aus den anderen Ländern, mit denen wir immer konferieren. Wir sind in sechs Regierungen beteiligt. Das ist grüner Konsens mittlerweile und ist auch richtig so, weil anders geht es ja gar nicht.

    Müller: Ich muss Ihnen noch eine Strukturfrage stellen, Herr Priggen. Das haben viele Zeitungskommentatoren jetzt in diesen Tagen auch wieder angemerkt, gerade bei der Auseinandersetzung Göring-Eckardt gegen Kerstin Andreae. Warum brauchen Sie zwei Fraktionschefs?

    Priggen: Gut, das ist eine alte Tradition bei den Grünen, dass sich sowohl mindestens in der Regel jedenfalls einen Mann und eine Frau zusammensetzen. Es ist auch oft angenehm, weil Sie die Arbeit auf zwei Schultern verteilen können. Die Bundestagsfraktion hat das als Tradition immer gehabt und man muss es den einzelnen Fraktionen überlassen. Wenn die sich so entscheiden, davon gehen wir jetzt aus, ist das auch eine vernünftige Arbeitsteilung, und ich glaube auch, dass die das da vernünftig hinkriegen. Ich habe ja schon gesagt: Die Profile der Leute sind so, dass man das auch beides gut fahren kann.

    Müller: Das ist für Sie immer noch zeitgemäß, keine Frage?

    Priggen: Das entscheidet jede Fraktion an der Stelle. An vielen Stellen ist es so, man kann da gut mitarbeiten, sie können sich Arbeit auch aufteilen, auch das hilft.

    Müller: Das war ein Jein?

    Priggen: Nein! Passen Sie auf: Ich bin selber Fraktionsvorsitzender in einer Fraktion und bin es alleine. Ich kann ja nicht gegen das Modell reden. Wir haben uns damals unter Sylvia Löhrmann dazu entschieden. Wir haben jetzt vier Leute im Kabinett, die werden nach draußen stark wahrgenommen, Sie können eine Fraktion auch so steuern. Das haben wir auch in vielen Ländern. Im Bund ist es immer noch anders und das entscheidet dann die Fraktion, so wie es für sie handwerklich und in der Arbeit am besten ist. Man kann mit beiden Modellen gut arbeiten, daran hängt nun wirklich nicht das Leben der Fraktion.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Grünen-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, Reiner Priggen. Danke für das Gespräch, noch einen schönen Tag.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.