Donnerstag, 25. April 2024

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Primor: Entwicklung in Syrien ist für Israel schicksalshaft

Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad setze auf Machterhalt, wirkliche Reformen seien deshalb nicht zu erwarten, meint Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland. Für sein Land glaube er, dass die Demokratisierung der arabischen Länder die große Chance auf Frieden und eine bessere Nachbarschaft mit sich bringe.

Avi Primor im Gespräch mit Friedbert Meurer | 31.03.2011
    Friedbert Meurer: Millionen Syrer haben gestern mit Spannung die Rede ihres Staatspräsidenten Baschar al-Assad verfolgt. Sensationell war sie nicht.
    Aufmerksam wird auch in Israel das Geschehen beobachtet. Die Regierung in Jerusalem sorgt sich allerdings, dass da die falschen hinter den Demonstranten stecken, also eher Feinde Israels sind. – Avi Primor war israelischer Botschafter in Deutschland. Guten Morgen, Herr Primor.

    Avi Primor: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Erst hat der syrische Präsident die Regierung abgesetzt, dann gestern seine Rede, die viele enttäuscht hat. Was will der syrische Präsident Ihrer Ansicht nach?

    Primor: Im Amt zu bleiben, natürlich, so wie alle Diktatoren, und nicht nur will er selber im Amt bleiben, sondern er will, dass sein Stamm – das kann man so nennen -, der etwa zwölf Prozent der syrischen Bevölkerung beträgt und Syrien seit Jahrzehnten willkürlich regiert, weiter so machen kann wie bisher. Das heißt, dass sie nicht nur die Macht in der Hand behalten, sondern auch die wirtschaftliche Macht, das heißt auch zum Großteil die Korruption.

    Meurer: Die ihm da gestern im Parlament zugejubelt haben, sind das alles seine Leute, sind das alles die zwölf Prozent seines Stammes, von denen Sie sprechen?

    Primor: Entweder seines Stammes, oder seine Mitarbeiter, oder Mitläufer. Auf jeden Fall sind das alles Leute, die er selber ernannt hat, weil es ja nie freie Wahlen dort gegeben hat. Das ist natürlich ein Marionettenparlament.

    Meurer: Man hat ihm ja immer zugetraut, dass er wirklich etwas verändern möchte. Assad hat im Westen studiert, in London Medizin studiert. Will er nicht, oder kann er nicht?

    Primor: Er ist Augenarzt und er hat auch viel von Hightech gesprochen und von Internet gesprochen, er wolle das Land ein bisschen modernisieren. Ich glaube, er wollte es schon. Er war ja auch nicht auf den Posten vorbereitet, das hätte sein älterer Bruder machen sollen. Er ist aber bei einem Unfall umgekommen und dieser Junge war gar nicht darauf vorbereitet und dachte weder an den Westen und den Modernismus. Aber er konnte es nicht, weil er ist von seinem Stamm und von den Älteren, die mit seinem Vater zusammengearbeitet haben, umzingelt und es geht hier nicht nur um die Machterhaltung des Präsidenten, sondern eines bestimmten Kreises, und er ist Gefangener dieses Kreises.

    Meurer: Als Gefangener, da würden Sie sagen, ihm wird es nicht gelingen, Reformen herbeizuführen? Auf ihn kann man nicht mehr setzen?

    Primor: Ich glaube nicht, dass man auf ihn und vor allem nicht auf das ganze Regime, das heute da ist, setzen kann, weil die verkrampft sind, die sind versteinert, die sind ganz in ihren Interessen verwickelt. Ich glaube nicht, dass sie etwas in Bewegung setzen werden. So ein paar Kleinigkeiten schon. Sie verstehen ja eines, dass die Leute nicht nur aus ideologischen Motivationen demonstrieren, nicht nur für Demokratie oder für Freiheit, Liberalismus und so, sondern für Wirtschaft, für ihre Arbeit. Es gibt so viele Arbeitslose und die Lage wird immer schlechter und die Leute sind bedrückt.

    Meurer: Das ist eine ähnliche Entwicklung wie in anderen arabischen Ländern. In Ägypten und in Tunesien hat es funktioniert, in Libyen steht es Spitz auf Knopf. Welche Entwicklung sagen Sie für Syrien voraus?

    Primor: Also in Tunesien und in Ägypten haben sie ein einheitliches Volk. In Libyen nicht, dort gibt es Stämme, und in Syrien auch, da gibt es Stämme, und deshalb ist es ein Kampf zwischen Stämmen, und das könnte in einen Bürgerkrieg ausbrechen, wenn das Regime nicht hart genug ist und alles niederschlagen kann, wie es die Iraner gemacht haben und wie die Syrer es zu machen versuchen.

    Meurer: Wenn wir beobachten, wie in Israel über die Lage in Syrien diskutiert wird, warum freut sich in Israel kaum jemand über die Proteste?

    Primor: In Israel freut man sich nicht über Turbulenzen in der arabischen Welt, weil man fürchtet, dass es immer noch schlimmer werden kann. Zumindest wenn wir einen Diktator uns gegenüber hatten, dann gab es Stabilität. Wir hatten Waffenstillstand-Arrangements mit Syrien und Syrien hat diese Waffenstillstand-Arrangements immer perfekt respektiert. Vater Assad, Sohn Assad, es war ein Regime, mit dem man rechnen konnte, und man wusste: ein berechenbares Regime. Man weiß nicht, was jetzt an die Macht kommen könnte, vielleicht die Islamisten, und das wäre dann noch viel schlimmer, weil dann nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch aus ideologischen und emotionalen Gründen würden sie Israel bekämpfen wollen. Das fürchtet man.

    Ich halte das alles für falsch. Ich glaube, dass diese Revolutionen oder Demonstrationen in der arabischen Welt eine Chance sind. Das ist ein erster Schritt in Richtung, sagen wir, nicht sofort Demokratie, aber Liberalisierung, und das führt schrittweise dann irgendwann auch zur Demokratie, weil Demokratie ja schrittweise wachsen muss. Das kann man nicht willkürlich erzwingen. Aber das ist eine Chance! Es gibt natürlich auch Risiken, aber insgesamt ist das eine Chance. Wenn die arabische Welt sich demokratisiert, dann sind die Chancen für Frieden für Israel und für Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft viel besser geworden.

    Meurer: Diese positive Entwicklung hatten Sie auch schon im Fall Ägypten vorausgesagt und argumentiert, die Demonstranten erwecken alles andere als den Eindruck, dass sie Islamisten seien. Ist das jetzt auch Ihre Beobachtung in Syrien?

    Primor: Könnte wohl sein. Syrien um so mehr, weil Syrien ja immer ein laizistischer Staat war, das zwar eine knallharte Diktatur ist, eine knallharte Diktatur, war aber nie ein Gottesstaat. Die Islamisten haben viel mehr Einfluss in Ägypten, als sie je in Syrien hatten. Insofern glaube ich, dass die Chance in Syrien gut ist. Nur wie gesagt, ist es dort kein einheitliches Volk, und das könnte in einen Bürgerkrieg sich entwickeln wegen der Stämme, und das ist die Gefahr.

    Meurer: Ist Israel zum Zusehen verdammt?

    Primor: Ich glaube nicht, aber so verhält sich unsere Regierung. Ich glaube, Syrien ist für uns bei Weitem viel zu wichtig, weil Syrien die Hisbollah und die Hamas kontrolliert. Syrien ist mit dem Iran verbunden, Syrien kontrolliert Libanon, Syrien ist militärisch der mächtigste Nachbar, den wir haben. Ich glaube, dass für uns die Entwicklung in Syrien wirklich schicksalhaft ist, und wir hätten uns irgendwie einmischen sollen, das heißt sehr vorsichtig hinter den Kulissen, genauso wie die westlichen Mächte es machen, die demokratischen und fortschrittlichen Mächte innerhalb Syriens zu unterstützen.

    Meurer: Mit Spannung verfolgen wir ja auch, Herr Primor, die Entwicklung in Libyen. Finden Sie die Militäraktion, die internationale Militäraktion gegen Gaddafi richtig?

    Primor: Ich weiß nicht, ob es richtig war. Ich weiß nur eines: Jetzt, wo man es begonnen hat, muss man es auch erfolgreich beenden. Man darf Gaddafi nicht mehr an der Macht halten, weil er ist ja auch unstabil und unberechenbar und er könnte dann die Weltwirtschaft auch torpedieren mit seinem Erdöl, und was er für seine Gegner vorhat, wissen wir ja, ein Blutbad, ein Massaker. Also jetzt kann man ihn aufhalten. Ob es richtig war, sich überhaupt einzumischen, weiß ich nicht, weil das wie gesagt ein Stammeskrieg ist und man kann ja nicht wissen, wer da besser ist.

    Meurer: Wäre es dann konsequent, wenn man die Sache jetzt sozusagen richtig zu Ende bringen will, den Aufständischen Waffen zu liefern?

    Primor: Ja und Gaddafi viel heftiger mit der Luftwaffe angreifen.

    Meurer: Was sagen Sie eigentlich dazu, dass Deutschland sich bei der Militärintervention im UNO-Sicherheitsrat der Stimme enthalten hat?

    Primor: Ich habe nie Einwände, wenn die Deutschen pazifistisch sind. Da kann ich nichts dagegen haben. Ich verstehe, dass die Deutschen eine andere Geschichte haben und vorsichtiger sind und nicht so kriegsfreudig sind, und das halte ich nicht für falsch. Aber es geht um die westliche Solidarität, es geht um die Europäische Union, und ich glaube, dass wenn auch Deutschland keine Waffen, das heißt keine Flugzeuge nach Libyen schickt, soll es aber solidarisch mit der EU sein.

    Meurer: War die Enthaltung nicht unsolidarisch?

    Primor: Sie war problematisch, aber ich kann sie verstehen.

    Meurer: Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, zur Situation in Syrien und in Libyen. Besten Dank, Herr Primor, und auf Wiederhören!

    Primor: Danke! Auf Wiedersehen!