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Pristina hält an eigenen Grenzbeamten fest

Enver Hoxhaj macht kriminelle serbische Banden für die Auseinandersetzungen an der Grenze zwischen dem Nordkosovo und Serbien verantwortlich. Die Regierung in Pristina sei deshalb gezwungen gewesen, eigene Grenzsoldaten einzusetzen.

Enver Hoxhaj im Gespräch mit Friedbert Meurer | 08.08.2011
    Friedbert Meurer: Vor gut einem Jahrzehnt führte die NATO Krieg, um die Kosovo-Albaner vor der Vertreibung durch Slobodan Milosevic zu retten. Auch heute noch sind NATO-Soldaten, auch deutsche, im Kosovo stationiert, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Jetzt bekommt KFOR, so heißt die NATO-Truppe, eine neue Aufgabe: Sie muss die Grenzen zwischen dem Nordkosovo und Serbien bewachen. Dort war es in den letzten Tagen zu schweren Auseinandersetzungen gekommen, ein kosovarischer Grenzpolizist wurde vermutlich von einem serbischen Extremisten getötet. Jetzt soll die KFOR also die Grenzstation überwachen, das ist eines der Ergebnisse eines Abkommens zwischen den Regierungen in Pristina und Belgrad. Aber die serbische Minderheit im Kosovo hat sich noch nicht festgelegt: Sie erwägt, die Einigung abzulehnen, Dienstagmorgen will sie entscheiden. In Pristina begrüße ich den Außenminister des Kosovos, Enver Hoxhaj, guten Morgen!

    Enver Hoxhaj: Guten Morgen!

    Meurer: Alles hängt jetzt von der serbischen Minderheit ab im Nordkosovo, so scheint es. Was geschieht, Herr Hoxhaj, wenn die Minderheit Nein sagt und weiter die Straßen blockiert hält?

    Hoxhaj: Ich glaube nicht, dass es um eine serbische Minderheit hier geht, es geht vor allem um eine Gruppe von organisierter Kriminalität, die in den letzten zwölf Jahren die Kontrolle über beide Grenzübergänge gehabt hat. Und die waren diejenigen, die dann auch mit Schmuggelaktivitäten sich beschäftigt haben. Und diese Bewegung von bestimmten Kriminellen war praktisch bisher imstande, die Lage im Griff zu haben. Aber es geht nicht um eine serbische Minderheit, die das Ganze dort im Norden unterstützt.

    Meurer: Geht es wirklich nur um die organisierte Kriminalität, Herr Hoxhaj? Viele Serben im Norden machen sich einfach Sorgen, wo sollen sie Benzin herbekommen, das Benzin wird knapp, in den Krankenhäusern macht man sich schon Gedanken, wie denn die Krankenwagen ohne Benzin fahren sollen.

    Hoxhaj: Wir haben eine Vereinbarung mit der KFOR letzte Woche getroffen und die Vereinbarung sieht vor, dass für die serbische Minderheit, die im Norden ja lebt, Zufuhr aus Serbien kommen könnte, wenn es darum geht, dass nicht kommerzielle Waren hierher gebracht werden, sondern Waren, die nur einen humanitären Zweck haben. Und ich glaube, dort gibt es keine humanitäre Krise. Alle Geschäfte, alle Läden sind voll von Waren. Aber es geht darum, dass wir nach zwölf Jahren dort eine Situation haben, wo die Rechtsstaatlichkeit ja herrscht und wo Zollbeamte ihre Arbeit machen können, damit es wie in einem normalen Staat für Export von Waren eine richtige Kontrolle geben kann.

    Meurer: Ist für Sie Benzin ein humanitäres Gut oder wird es dabei bleiben, dass das Benzin knapp bleibt im Nordkosovo?

    Hoxhaj: Die Vereinbarung sieht vor, dass bestimmte internationale Organisationen, die im Lande tätig sind, im Voraus sehen sollten, ob wirklich in einem bestimmten Ort ein bestimmter Bedarf – sei es für Benzin, sei es für andere Waren – existiert. Und dann kann es in eine Richtung bewegt werden, dass diese oder jene Waren dort exportiert werden könnten. Aber wir sind sehr daran interessiert, dass um jeden Preis die Lage dort ruhig bleibt, dass die Lage dort stabil bleibt. Aber diejenige Entscheidung, die wir vor zwei Wochen getroffen haben, sollte respektiert werden, und wir sollten eine Lage dort haben, wie es in allen europäischen Staaten der Fall ist.

    Meurer: An der Grenze ist ein kosovarischer Polizist erschossen worden. Hätte, Herr Hoxhaj, Pristina besser vorher die KFOR oder die NATO konsultieren sollen, bevor Sie eigene Polizisten an die Grenzstationen schicken?

    Hoxhaj: Seit 2008 hatten wir eine Situation, wo Serbien seine Waren nach Kosovo exportieren konnten, während die Republik Kosovo nicht nach Serbien oder nicht durch Serbien in die europäischen Märkte exportieren konnte. Dann, in den letzten drei Jahren, haben wir, in den letzten Monaten haben wir sechs Runden von Verhandlungen gehabt, um eine Lösung zu finden. Wenn es keine Bereitschaft von serbischer Seite her gab, dass sie unseren Zollstempel akzeptieren, Lösungen, die praktisch nicht von uns, sondern Lösungen, die vom europäischen Partner entwickelt worden sind, dann war die Regierung in Pristina einfach gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, um dort unsere eigene Grenzpolizei, um dort unsere Zollbeamte hinzuschicken, damit diese organisierte Kriminalität ein für alle Male ihre Aktivitäten beendet.

    Meurer: Es sah ja so aus, als würden Belgrad und Pristina, die Regierungen aufeinander zugehen. Schlägt jetzt langsam wieder die Stunde der Extremisten?

    Hoxhaj: Was uns in Pristina betrifft, auf keinen Fall. Wir haben und wir glauben sehr an den Dialog, wir sind sehr bereit, dass wir bald wieder die Verhandlungen aufnehmen. Kosovo hat mit seiner Vergangenheit am 17. Februar 2008 gebrochen. Also, wir wollen nach vorne schauen. Aber ich glaube manchmal, wenn man den serbische Politikern zuhört, was sie sagen, ist es schwer herauszufinden, ob wir im Jahr 2011 oder im Jahre 1991 leben, als es damals zum Kriegsausbruch im ehemaligen Jugoslawien kam.

    Meurer: Das klingt danach, dass sie fast vor neuen kriegerischen Verhältnissen warnen, oder wie darf ich das verstehen?

    Hoxhaj: Was uns hier betrifft, wir sind sehr bemüht, durch den Dialog diese Frage zu lösen. Wir werden auf keinen Fall neue Spannungen dort im Norden erschaffen. Wir sind sehr bemüht, dass wir im September dann einige Vereinbarungen auch zu diesen Fragen treffen. Vor drei Monaten haben wir bestimmte Kompromisse gemacht, damit wir einfach nach vorne gehen, und wir gehen davon aus, dass Serbien das Gleiche tun wird. Ich glaube nicht, dass die Region vor einem neuen Konflikt steht, aber ich glaube, dass die europäische Diplomatie eine ziemlich direkte, harte Sprache an Belgrad richten muss.

    Meurer: Enver Hoxhaj, der Außenminister des Kosovo, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Hoxhaj, vielen Dank und auf Wiederhören nach Pristina!

    Hoxhaj: Danke schön auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.