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Privatinsolvenz
Schulden bis zur Halskrause

Inkasso, Gläubiger, Gerichtsvollzieher - Worte die sofort Beklemmung auslösen. Fast sieben Millionen Privatpersonen in Deutschland sind überschuldet. Trotzdem melden nur ein Bruchteil dieser Menschen Privatinsolvenz an - denn Überschuldung ist ein Tabuthema.

Von Felicitas Boeselager | 05.12.2019
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Arbeitslosigkeit, Trennung, Krankheit – das sind die häufigsten Ursachen für eine Überschuldung. (dpa-Zentralbild)
Im Büro der Schuldnerberaterin Christine Elias in Bremen saßen in den vergangenen 20 Jahren unzählige Menschen, denen ihre Schulden über den Kopf gewachsen waren. Einer von ihnen ist Herr S. Weil er seinen echten Nachnamen nicht im Radio hören will, nennen wir ihn im Folgenden Schröder. Der gelernte Zahntechniker ist seit acht Jahren arbeitslos.
"Zu der Zeit als ich noch einen Job hatte, hatte ich einen gewissen Haufen an Schulden und dann bin ich arbeitslos geworden und konnte diese Schulden nicht mehr tilgen und bin dann irgendwann hier bei Frau Elias gelandet."
Auch Trennung und Krankheit sind häufige Ursachen
Dieser Verlauf sei typisch für eine Überschuldung, erklärt Schuldnerberaterin Elias. Arbeitslosigkeit, Trennung, Krankheit – das sind die häufigsten Ursachen, selbstverschuldet gerieten die allerwenigsten in eine solche Situation.
"Es ist immer eine Doppelbelastung: Ich bin arbeitslos und erfahre, ich bin nichts mehr wert, ich bin krank und wollte das nicht, oder ich erlebe gerade eine Trennung. Alles Dinge, die wir alle nicht gerne haben wollen, und die ganz häufig mit finanziellen Problemen verbunden sind. Manchmal weiß man gar nicht, worum man sich zuerst kümmern soll."
Auch Schröder kennt diese Doppelbelastung.
"Ich hab da mal so ein, zwei Tage gehabt, wo ich Gott sei Dank sehr gute Bekannte hatte, die das mitgekriegt haben und die mir dann in meinen Sahnepöter getreten haben. Ich benutz jetzt mal die Jugendsprache: So, Hey Alter, so nicht! Du kommst jetzt mit, hängst nicht zuhause rum. Freunde und Bekannte, die zu mir sagen: Du bist ein sehr wertvoller Mensch, auch wenn Du jetzt nicht bezahlen kannst. Wir wechseln uns ab."
Schulden sind ein Tabu und können einsam machen
Viele Menschen hätten keine solchen Bekannten, oder erzählten ihrem Umfeld erst gar nicht von ihren finanziellen Problemen, berichtet Elias. Überschuldung mache zusätzlich einsam.
Als sich vor zwei Jahren abzeichnet, dass Schröder wahrscheinlich keine neue Arbeitsstelle finden wird, beschließt er, gemeinsam mit der Schuldnerberaterin Insolvenz anzumelden.
"Ja, und nun, wie soll ich das jetzt ausdrücken? Ist mir auch so ein klein wenig Last von den Schultern gefallen, weil man nicht permanent im Hintergrund hat, wenn ich jetzt zum Briefkästen gehe, was ist da drin? Kriege ich von dem Brief wieder eine Herzattacke - in Anführungsstrichen. Es ist wirklich nicht einfach, sich das auch selbst einzugestehen."
Weil Schröder über kein Vermögen verfügt und Hartz-IV - Empfänger ist, werden die Kosten für sein Insolvenz-Verfahren gestundet.
Abhängig von den Forderungen der Gläubiger können die Kosten für Gericht und Insolvenzverwalter in Durchschnitt zwischen 800 und 2500 Euro liegen. Aber nicht alle Schuldnerberater verlangen Geld, es gibt viele Stellen in ganz Deutschland, die Überschuldete kostenlos betreuen.
Gemeinsam mit den Beratern erstellen Überschuldete einen sogenannten Schuldenbereinigungsplan, legen ihr Vermögen offen. Dieser Plan dient einem Vergleich mit den Gläubigern. Wenn nur ein Gläubiger ihn ablehnt, kann der Schuldner Insolvenz beim Amtsgericht beantragen. Das Gericht teilt dem Schuldner dann einen Insolvenzverwalter zu, der über das pfändbare Vermögen verfügen kann.
Wer weniger als 1179,99 Euro netto monatlich verdient, kann nicht gepfändet werden. Dieser Freibetrag soll das Existenzminimum garantieren, also zum Beispiel die Miete sichern. Das Offenlegen der Finanzen sei für viele eine große Erleichterung, sagt Elias:
"Schulden ist einfach ein belastendes Wort"
"Wir haben es fast ausschließlich mit Menschen zu tun, da gibt es keine Vermögenswerte. Da könnte man jeden Tag eine Vermögensauskunft abgeben. Da wird auch nichts anderes rauskommen."
Scham – das sei die größte Hürde. Viele Menschen, die sich dennoch Christine Elias und der Schuldenberatung anvertrauen, erzählen gleich ihre ganze Lebensgeschichte, als wollten sie beweisen, dass sie trotz Schulden keine schlechten Menschen sind:
"Das hat natürlich auch mit dem Wort Schulden zu tun, Schulden ist einfach ein belastendes Wort. Die meisten fühlen sich schuldig, wenn sie Schulden haben, obwohl es gar nichts miteinander zu tun haben sollte. Also Schulden sind ja auch gewollt in der Welt, in der wir leben. Das Problem ist die Überschuldung, und die hat dann nichts mehr mit schuldig sein zu tun - zumindest in den meisten Fällen nicht."
So unterscheidet auch das Gesetz nicht zwischen schuldig, oder unschuldig verschuldet. Wer in die Privatinsolvenz geht und zeigt, dass er sich bemüht, seine Schulden zu tilgen, dem werden die Restschulden nach maximal sechs Jahre erlassen. Der Schuldner bekommt eine zweite Chance. Das habe der Gesetzgeber gut eingerichtet, findet der Bremer Insolvenzverwalter Uwe Kuhmann. Er wundert sich aber häufig darüber, wie wenig seine Klienten über den Umgang mit Geld wissen:
"Was kriege ich – was kommt in meine Kasse rein, was kann ich ausgeben? Und da fehlt es an der Ausbildung, dass den Menschen hier schlicht und einfach zu wenig beigebracht wird. Das fängt schon damit an: Gibt man vernünftiges Taschengeld und lässt die Kinder damit umgehen?"
Bildung könnte ein Mittel gegen Überschuldung sein
Auch Schuldnerberaterin Elias glaubt, dass die Bildung ein Schlüssel zu weniger Überschuldung sein kann. Aber für Präventionsprogramme in Schulen fehle häufig das Geld. Dabei sei es wichtig, über dieses Thema zu sprechen. Auch damit Menschen, die überschuldet sind, sich eher trauen, zu Beratungsstellen zu gehen und sich helfen zu lassen, sagt Kuhmann.
"Die Menschen halten sich da aus welchen Gründen auch immer zurück und nutzen das System nicht. Zumal es jetzt noch komfortabler wird: In Zukunft dauert es aller Voraussicht nach nur noch drei Jahre und nicht mehr sechs, um sich zu entschulden."