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Privatisierter Autobahnausbau
"Der Bund hat das Risiko der Insolvenz übersehen"

Der Ausbau der A1 wurde in Teilen im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) umgesetzt, also von einem Privatunternehmen. Das steht nun vor der Insolvenz und fordert vom Bund Millionenbeträge. Ein vorhersehbares Risiko, sagte der Verwaltungswissenschaftler Holger Mühlenkamp im Dlf. ÖPP haben laut ihm nur wenige Vorteile.

Holger Mühlenkamp im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 23.08.2017
    In einer langen Schlange stauen sich am Freitag (17.07.2009) bei Erkheim (Schwaben) Fahrzeuge auf der Autobahn A96 vor einer Baustelle.
    Der Ausbau der A1 durch die private Betreibergesellschaft war ein Vorzeigeprojekt von Verkehrsminister Dobrindt (CSU). Nun ist die Gesellschaft pleite. (picture alliance / dpa / Stefan Puchner)
    Ann-Kathrin Büüsker: Wie unfassbar nervig Autobahnbaustellen sind, das haben gerade viele Deutsche wieder in den Sommerferien feststellen müssen. Die A1 zum Beispiel war an den vergangenen Wochenenden zwischen dem Rheinland und Norddeutschland fast ein kompletter großer Stau. Auch deshalb war ein Teil des Ausbaus der Autobahn zwischen 2008 und 2012 mit Beteiligung eines privaten Investors umgesetzt worden – eine sogenannte öffentlich-private Partnerschaft. Dadurch sollte das Ganze besonders schnell umgesetzt werden, was auch durchaus geklappt hat. Aber nun steht der Betreiber, der ja die Mauteinnahmen aus dem Teilstück bekommt, offenbar kurz vor dem finanziellen Kollaps. Das Konsortium fordert deshalb einen Millionenbetrag von der Bundesregierung. Zuerst berichtete das die Süddeutsche Zeitung.
    Wie sinnvoll sind öffentlich-private Partnerschaften beim Autobahnbau überhaupt? Darüber möchte ich jetzt mit Holger Mühlenkamp sprechen, Professor für öffentliche Betriebswirtschaftslehre an der Universität Speyer. Guten Tag!
    Holger Mühlenkamp: Guten Tag!
    "Projektgesellschaft muss höhere Zinsen zahlen"
    Büüsker: Herr Mühlenkamp, der Ausbau der A1 war ein Vorzeigeprojekt in Sachen ÖPP, scheint jetzt aber finanziell gescheitert. Überrascht Sie das?
    Mühlenkamp: Grundsätzlich überrascht mich nicht, dass es zu Insolvenzen kommen kann, denn es gibt ja einen Grund, warum Private höhere Refinanzierungskosten haben, private Unternehmen. In diesem Fall wurde offenbar eine Projektgesellschaft gegründet. Diese muss höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen als der Bund. Und der Grund ist das höhere Insolvenzrisiko. Und jetzt hat sich das realisiert offenbar.
    Büüsker: Das heißt, eigentlich ist es gar nicht so schlau, den Autobahnbau dann privaten Investoren zu übertragen?
    Mühlenkamp: Sagen wir mal so: Der Bund hat ein Risiko, das er bisher offenbar übersehen hat, nämlich dass der Private, der öffentliche Aufgaben übernimmt, insolvent werden kann.
    Büüsker: Anders gefragt: Unter welchen Voraussetzungen kann eine Öffentlich-Private Partnerschaft denn dann Vorteile für beide Seiten haben?
    Mühlenkamp: Ich sehe die Welt aus Sicht des "Steuerzahlers", und aus Sicht des Steuerzahlers ist es im Moment relativ schwer, vorteilhafte ÖPP zu realisieren. Das liegt ganz einfach daran, dass die Refinanzierungskosten Privater deutlich höher sind, als wenn die öffentliche Hand es selbst finanzieren würde. Dieser Finanzierungskostennachteil muss ja an anderer Stelle wieder eingeholt werden, zum Beispiel durch günstigeren Betrieb oder günstigeren Bau. Ich habe das mal durchgerechnet. Das ist unter derzeitigen Voraussetzungen kaum möglich. Dazu kommt, und das wird übersehen: Wir Ökonomen sprechen hier von Transaktionskosten, die Kosten des Vertragsabschlusses, der Kontrolle der Vertragseinhaltung, Durchsetzung von Verträgen. Die sind bei ÖPP im Regelfall auch höher als bei einer konventionellen Realisierung. Und dann kommt genau das Risiko hinzu, was jetzt eingetreten ist: Der Private kann insolvent werden. Da ist der Bund, die öffentliche Hand in einer ziemlich schlechten Verhandlungsposition.
    "Die Privaten dürfen hier nach anderen Regeln spielen"
    Büüsker: Okay. Sie sagen, aus Sicht des Steuerzahlers macht das Ganze nicht so richtig viel Sinn. Aber wenn wir mal die Perspektive wechseln: Haben denn zumindest die privaten Investoren, wenn es gut läuft, etwas von diesen Partnerschaften?
    Mühlenkamp: Das hängt davon ab. Ich kann deren Investitionsrechnung ja ohne Weiteres nicht nachvollziehen. Die Informationen habe ich nicht. Die werden Investitionsrechnungen machen und sich dann um so ein Projekt bewerben, wenn ihre Renditeanforderungen erfüllt werden, wenn sie das erwarten, dass die Rendite, die sie erwirtschaften wollen, durch dieses Projekt realisiert werden kann.
    Büüsker: Sie sagen, die Risiken sind für den Bund groß. Sie haben das gerade erläutert.
    Mühlenkamp: Ja.
    Büüsker: Nun müssen wir aber ja, wenn wir zum Beispiel jetzt auf die A1 gucken, auch festhalten: Der Ausbau ging bedeutend schneller als das funktioniert, wenn der Bund den Ausbau organisiert.
    Mühlenkamp: Ja!
    Büüsker: Kann man nicht das zumindest als Vorteil gelten lassen?
    Mühlenkamp: Der Punkt ist – das muss man sich, ich sage mal, auf der Zunge zergehen lassen -, die Privaten dürfen hier nach anderen Regeln spielen als der Bund. Wenn der Bund ein Projekt realisiert, wird er aufgrund der Mittelstandsförderung im Regelfall in Teillose ausschreiben. Er wird nicht das gesamte Projekt ausschreiben, sondern Stück für Stück, und das dauert. Allein dadurch dauert der Bau, die Projektrealisierung länger als bei einer ÖPP. Bei einer ÖPP wird den Privaten erlaubt, die Generalunternehmerregelung zu benutzen.
    Büüsker: Was heißt das?
    Mühlenkamp: Das heißt, ein Privater kann Subunternehmer beauftragen, ohne dieses umständlichere Ausschreibungsprozedere, das notwendig ist, wenn der Bund es selber macht. Vereinfacht gesagt: Der Private kann nach anderen Regeln spielen als der Bund, und da stellt sich doch die Frage, warum der Bund quasi diese Ausweichprojekte oder Ausweichlösungen sucht. Das ist ja eine Flucht, sage ich mal, aus dem Regelsystem, dem öffentlichen Recht, dem der Bund unterliegt.
    "Flucht aus dem öffentlichen Recht"
    Büüsker: Der Bund würde dann quasi seine selbst aufgestellten Regeln umgehen?
    Mühlenkamp: Ja, das kann man grob so interpretieren. Oder man kann anders fragen: Warum wählt denn der Bund nicht selbst die Generalunternehmerregelung? Dann könnte er selbst schneller bauen.
    Büüsker: Und welche Erklärung haben Sie dafür, dass der Bund das nicht tut?
    Mühlenkamp: Das mag rechtliche Aspekte haben, die ich nicht nachvollziehen kann. Da müsste ich spekulieren und kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann das nur feststellen. Das ist wichtig, das zu wissen, dass hier nach unterschiedlichen Regeln gespielt wird. Das ist übrigens eine Situation, die wir nicht selten haben. Man bezeichnet das auch als Flucht aus dem öffentlichen Recht, dass das komplizierte umständliche Recht, dem die Gebietskörperschaften unterliegen, quasi ausgeschaltet wird dadurch, dass Private beauftragt werden.
    Büüsker: Nun haben Sie ganz viele negative Aspekte erläutert, begründet aus Ihrer Sicht. Wenn ich insbesondere die finanziellen Risiken, die Sie geschildert haben, des Bundes hervorheben darf. Und trotzdem: Wir haben zu Beginn der Sendung Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gehört, der ja ein Verfechter dieser Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist. Und auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält das Ganze ja durchaus für positiv. Wie erklären Sie sich, dass der Bund daran festhält?
    Mühlenkamp: Es gibt eine ganz einfache Erklärung. Die besteht darin, dass man mithilfe von ÖPP, wenn man sie entsprechend gestaltet – und das findet auch so statt -, die Schuldenbremse umgehen kann.
    Büüsker: Und zwar wie?
    Mühlenkamp: Man kann zum einen die deutsche Schuldenbremse umgehen und zum anderen die Maastricht-Kriterien auf europäischer Ebene. Ich nenne das mal europäische Schuldenbremse. Man kann beides mittels ÖPP umgehen, und das ist die große politische Versuchung, der schwer zu widerstehen ist offenbar.
    Büüsker: Aber was heißt denn das ganz konkret, die Schuldenbremse umgehen?
    Mühlenkamp: Das heißt, rein rechtlich werden Öffentlich-Private Partnerschaften nicht die Zahlungsverpflichtungen, die der Bund dann eingeht. Wenn der Bund selber ein Projekt realisiert und dafür Kredite aufnimmt, dann werden diese Kredite dem Bund als Verschuldung zugerechnet. Das fällt unter die Schuldenbremse. Wenn das als Öffentlich-Private Partnerschaft realisiert wird, werden die damit verbundenen Zahlungsverpflichtungen, Schulden, den Privaten zugerechnet.
    "Der Bund wird zu Zahlungen verpflichtet sein"
    Büüsker: Aber muss denn der Bund das im Moment überhaupt tun, die Schuldenbremse quasi umgehen? Wir hören doch immer wieder, dass wir im Moment einen Millionen-Überschuss haben.
    Mühlenkamp: Ja. Das vergrößert aber den Handlungsspielraum der Politik. Die Schuldenbremse ist ja eine Grenze, eine Restriktion, und wenn man Infrastrukturprojekte unter Umgehung dieser Schuldenbremse realisiert, kann man an anderer Stelle den Bürger beglücken. Das ist das alte politische Spiel. Man kann den Bürgern mehr Projekte präsentieren, mehr Wohltaten zukommen lassen, als ohne diese Projekte.
    Büüsker: Das könnte jetzt aber auf den Bund zurückfallen, weil das Konsortium der A1 640 Millionen Euro vom Bund haben möchte. Nun sagen die entsprechenden Ministerien: Nein, bekommt ihr nicht, das war euer privatwirtschaftliches Risiko. Kann sich der Bund darauf zurückziehen? Funktioniert diese Argumentation?
    Mühlenkamp: Ich kenne ja die vertraglichen Regelungen nicht. Der Bund wird auf jeden Fall, denke ich, verpflichtet sein, die Mautzahlungen dem privaten Konsortium über den Vertragszeitraum zukommen zu lassen. Darauf hat das Konsortium höchst wahrscheinlich einen Rechtsanspruch. Und es ist natürlich jetzt ein sehr großer politischer Schaden da, und das wissen natürlich die Privaten auch, dass der Bund eigentlich in keiner sonderlich guten Verhandlungsposition hier ist. Mich würde nicht wundern, wenn es zu nachträglichen Anpassungen kommt und der Bund letztlich die Konditionen für das Konsortium verbessert.
    Büüsker: So die Einschätzung von Holger Mühlenkamp, Professor für öffentliche Betriebswirtschaftslehre an der Universität Speyer. Vielen Dank für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
    Mühlenkamp: Bitte sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.