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Privatisierung in Serbien
Der Kampf der Arbeiter von "Jugoremedija"

Die serbische Arzneimittelfirma "Jugoremedija" wurde 2002 privatisiert. Doch den Arbeitern gelang es, die Kontrolle über ihr Unternehmen zurückzugewinnen und die Produktion neu zu organisieren, selbstverwaltet und ohne Chef. Das Experiment dauerte fünf Jahre - und endete am Ende doch mit einer Niederlage.

Von Dirk Auer | 10.04.2020
    Branislav Markuš vor dem Firmengelände von Jugoremedija
    Branislav Markuš vor dem Firmengelände von Jugoremedija (Deutschlandradio / Dirk Auer)
    Zügig fährt Branislav Markuš stadtauswärts. Rechts liegt das Stadion des Arbeiter-Fußballklubs "FK Radnički Zrenjanin", dahinter stehen die markanten Silos der alten Zuckerfabrik. "Hier beginnt das Industriegebiet. Früher war hier gewissermaßen das Herz der Stadt. Etwa 20-30.000 Arbeiter sind hier jeden Tag zur Arbeit gegangen. Aber von den ganzen Fabriken, die es hier einmal gab, stehen heute leider 70 Prozent still." Branislav Markuš biegt links ab und hält auf einem leeren Parkplatz. Hier ist Jugoremedija, sagt der ehemalige Chemietechniker.
    50 Jahre ist er alt. Er schaut auf das ehemalige Firmengebäude. "20 Jahre habe ich hier gearbeitet. Ich konnte meine Familie ernähren und habe ein normales Leben gehabt. Aber 2012 ist die Firma endgültig in Konkurs gegangen. Und jetzt ist der Parkplatz leer, es gibt keine Arbeiter mehr, keine Gehälter, keine Fabrik." Still ist es hinter dem Werkstor der ehemaligen Arzneimittelfabrik.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Serbien - Arbeiten im Billiglohnland.
    "Wir haben unsere Arbeit verloren. Aber was uns Arbeiter am meisten schmerzt: Dass die Privatisierung auf eine sehr intransparente Weise durchgeführt worden ist; es wurden auf brutalste Weise Gesetze gebrochen. Ich bin nicht prinzipiell gegen Privatisierung. Bei den Fabriken, die sowie so schon am Ende waren, ok. Aber was ist mit den guten Fabriken?"
    Und Jugoremedija war eine solche gute, eine erfolgreiche Fabrik. Die Firma überlebte selbst die schwierigen 1990er-Jahre, als Serbien unter internationalen Sanktionen stand. Im Jahr 2000 wurde Slobodan Milosevic gestürzt. Die erste Regierung nach der sogenannten "demokratischen Wende" versprach nicht nur die Annäherung an Europa, sondern verfolgte nun, wie überall in Osteuropa, eine rigorose Privatisierungspolitik.
    Gerichtsentscheid: Privatisierung war unrechtsmäßig
    "2002 hat der Staat seine Anteile an Jovica Stefanović-Nini verkauft, einen Mafioso aus der Milošević-Ära. Er war groß geworden durch Zigarettenschmuggel, weshalb er schon damals auf der Fahndungsliste von Interpol stand. Als er die Fabrik gekauft hat, ist er noch nicht einmal gekommen, um sie sich anzusehen." Stefanović, erzählt Branislav Markuš weiter, hatte sich zwar verpflichtet, Jugoremedija zu sanieren. Doch davon war schon bald keine Rede mehr. Die Firma verkam, es folgte ein mehrjähriger Arbeitskampf: mit Aussperrungen, Besetzungen und Demonstrationen - bis ein Gericht entschieden hatte, dass die Privatisierung unrechtmäßig war. Der Vertrag wurde aufgelöst.
    "Am 1. März sind wir zurück in die Fabrik und haben einen Leitungsrat eingerichtet. Und worauf ich besonders stolz bin: Darin waren nicht nur gebildete Leute, sondern auch einfache Arbeiter. Und dann haben wir angefangen zu produzieren." Wir haben gezeigt, sagt Markuš stolz, dass es Arbeitern möglich ist, eine Fabrik zu führen, selbstverwaltet und ohne privaten Besitzer - selbst unter marktwirtschaftlichen Bedingungen.
    "Wir haben es geschafft, 22 Millionen Euro Schulden abzutragen, die uns der alte Besitzer hinterlassen hatte. Damit unsere Produkte und die Werkhallen EU-Standards genügen, mussten wir neu investieren. Wir konnten eine Kreditrate nicht bezahlen, und dann wurde auch noch unser Direktor festgenommen, weil er seine Position missbraucht haben soll. Wir haben protestiert, er wurde freigelassen, aber zwei Wochen später haben sie uns Strom und Gas abgestellt. Und das war dann das Ende."
    Branislav Markuš ist sich sicher: Der Konkurs hätte vermieden werden können.
    "Jugoremedija hätte überleben können. Es waren politisch-mafiöse Entscheidungen, die uns ruiniert haben. Die Regierung hatte den Plan, alles zu privatisieren, - und dass es überall einen Boss geben muss. Und ich denke, das ist der Grund, warum sie uns auf die Straße gesetzt haben. Und nun haben wir immer noch die gleiche Situation wie 2012: Die Fabrik steht still und soll immer noch verkauft werden."
    Eine Frau kommt über den Parkplatz gelaufen, auch sie eine ehemalige Arbeiterin von Jugoremedija. Seit einiger Zeit hat sie auf dem Firmengelände einen kleinen Job beim Wachdienst. Gerüchte werden ausgetauscht. Eine tschechische Firma soll Interesse haben? Nein, irgend so ein Fonds, aber nicht aus Tschechien, keine Ahnung. Wenig später hält ein weiterer Ex-Kollege, er arbeitet jetzt als Lkw-Fahrer. Es ist ein kleines Ehemaligentreffen. Bei aller Tristesse geht auch der Humor nicht verloren:
    "Das einzige, was mir gefällt ist, dass du ein rotes Kleid trägst. Ich bin für die Revolution, und eines Tages wird die Firma wieder uns gehören!"
    Regierung lockt Investoren mit Steuervergünstigungen
    Doch tatsächlich hat Branislav Markuš die Hoffnung aufgegeben, dass hier jemals noch einmal Arzneimittel produziert werden. Er seufzt, und bevor er in sein Auto steigt, dreht er sich noch einmal um. "An diesem Beispiel können wir sehen, wie die Privatisierung funktioniert hat. Es ist schon noch emotional für mich hier, weil wir etwas aus dieser Firma hätten machen können. Aber es ist ein Ort der Niederlage. Es ist bitter."
    Auf der Fahrt zurück ins Zentrum zeigt Branislav Markuš immer wieder auf einzelne Häuser mit heruntergezogenen Rollläden. In manchen Straßen steht jedes dritte Haus leer. Es ist ein Exodus, stöhnt Markus, jedes Jahr verliert Zrenjanin 1.000 Einwohner. Gut, sagt er, es ist auch wieder etwas Neues entstanden. An der Ausfallstraße nach Novi Sad gibt es eine neue Industriezone. Dort versucht die Regierung, mit hohen Subventionen und Steuervergünstigungen ausländische Investoren anzulocken.
    "Viele Leute, die ihre Arbeit verloren haben, sind jetzt dort beschäftigt. Unsere eigene Industrie haben wir verloren, und unsere Leute, teilweiser mit hoher Ausbildung, üben dort nun einfachste Tätigkeiten aus: Sie arbeiten als Wächter oder montieren Kabel - und das auch noch überwiegend befristet und zu Gehältern, die zu den niedrigsten in ganz Europa gehören."
    In einer ruhigen Seitenstraße, nicht weit ab vom Zentrum, hat das Sozialforum Zrenjanin sein kleines Büro.
    Hier ist Branislav Markuš heute aktiv, zusammen mit anderen ehemaligen Arbeitern. Sie veranstalten Podiumsdiskussionen und produzieren kleine Dokumentarfilme. Es geht darum, sagt Markus, den ganzen Verwüstungen, die die Privatisierung hinterlassen hat, etwas entgegenzusetzen.
    "Die Leute sind zusammengebrochen, mental und gesundheitlich. Hier gab es eine Fabrik, die Eisenbahnen montiert hat. Während des Streiks haben sich drei Leute umgebracht. Einer hat einen Abschiedsbrief geschrieben und gesagt: Ich kann meinem Kind nichts mehr zu essen kaufen, ich habe keinen Grund mehr zu leben. Ich bin nur eine Last."
    So fürchterlich war das für viele, seufzt Branislav Markuš, während er den Kaffee aufsetzt. Heute herrscht vor allem Apathie und Resignation. Der Kampf der Arbeiter von Jugoremedija erscheint da schon fast wie aus einer anderen Zeit.
    "Aber es tut mir weh, wenn man heute sagt, in Serbien gab es kein Widerstand. Es gab so viele Streiks. Aber das Problem ist, dass jeder nur für seine eigene Fabrik gekämpft hat. Und das ist die Schuld von uns Arbeitern: Wir haben keine Bewegung aufgebaut, die den Leuten eine Alternative bieten könnte."