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Problem für Schmerzpatienten
Berliner Apotheken geht das Cannabis aus

Seit März kann man sich in Deutschland Cannabis verschreiben lassen - nur bei bestimmten Krankheiten, streng gesetzlich geregelt. Doch dazu muss man zunächst einen Arzt finden, der ein Rezept ausstellt, eine Krankenkasse, die sich nicht verweigert. Es sind nicht die einzigen Hürden für Patienten.

Von Manfred Götzke | 07.09.2017
    Cannabis
    Hilfe aus der Natur: Cannabis. Die Pflanze kann Symptome lindern, beispielsweise bei Schmerzpatienten, bei Multipler Sklerose oder ADHS. (picture alliance/dpa/Foto: Libor Sojka)
    Sebastian Weißt tauscht sich mit dem Apotheker seines Vertrauens in Berlin Mitte über die Wirkung seiner Medikamente aus. Es war nicht ganz einfach, sie zu bekommen. Wie fast immer.
    "Ich hab jetzt ne andere Sorte. Ich musste gestern zum zweiten Mal zum Arzt und sagte, sind nur die und die Sorten verfügbar und dann meinte die Krankenschwester: ‚Ach ja, Sie denken hier, das ist Lidl oder was? Jetzt kommen sie und sagen sie brauchen die und die Sorte. Es ist kompliziert."
    "Besser als die herkömmlichen Medikamente"
    Das Medikament, das er dann doch in seiner Apotheke bekommen hat, heißt Cannabis. Der 31-Jährige leidet an ADHS.
    "Ich hab ein stark ausgeprägtes ADHS mit Kontrollstörungen und es hilft mir wunderbar, besser als die herkömmlichen Medikamente, die ich schon ausprobiert habe. Ich verdampfe das bei einer gewissen Temperatur, da werden die Öle gelöst und das inhaliere ich oder ich mach mir ne ölige Lösung."
    Die Sorte Gras, die er normalerweise benutzt, ist allerdings nicht mehr lieferbar. Sie enthält ätherische Öle, die angstlösend bei ihm wirken.
    "Wobei ich jetzt hoffe, dass ich eine finde, die so ähnlich ist, wie die, die jetzt nicht lieferbar ist. Da werden sich auch andere Patienten umorientieren müssen."
    "Immer noch Vorbehalte bei Cannabis als Medizin"
    Seit Anfang März können Patienten wie Weißt medizinisches Cannabis in der Apotheke beziehen, auf Rezept. Verordnet vom Arzt, bezahlt von der Krankenkasse. Zumindest theoretisch.
    "Weil es erst mal ein sehr schwieriger Prozess ist, einen Arzt zu finden, der es einem verschreibt. Ich hatte Glück mit meinem langjährigen Hausarzt, dass er das macht. Es gibt immer noch Vorbehalte bei Cannabis als Medizin. Aber es ist auch ne große Unsicherheit da, was falsch zu machen, aufseiten der Ärzteschaft."
    "Den Apotheken geht das Gras aus"
    Seit ein paar Wochen kommt für die Patienten noch ein weiteres Problem hinzu: Den Apotheken geht das Gras aus. In Berlin hat zurzeit nur noch die Apotheke, in der Weißt seine Medikamente abgeholt hat, Cannabis vorrätig. Bei Apotheker Bernd Wasmuth laufen seit Tagen die Telefone heiß.
    "Es hat sich scheinbar rumgesprochen, dass wir die einzige Apotheke sind, die noch Cannabis vorrätig hat, nur einzelne Varietäten, die noch verfügbar sind, weil ich mich da bevorratetet habe und die Patienten noch versorgen kann. Reporter: Und die anderen sind leergelaufen? Ja."
    Gesetzlich erlaubt sind 16 Sorten Cannabis
    Sechszehn Sorten Cannabis sind gesetzlich zugelassen. Die wenigsten sind momentan zu bekommen sagt Wasmuth. Und auch, die, die er derzeit noch vorrätig hat, könnten ihm bald ausgehen.
    "Also Lieferungen stehen aus, wir können nicht beim Großhändler anrufen und einfach bestellen, und kriegen dann die Varietäten geliefert. Man muss vorbestellen, es sind Liefertermine angegeben, die in den November gehen oder ganz ohne Lieferangaben. Man muss hoffen, dass es dann irgendwann kommt."
    Auch Pharmafirmen können ab 2019 Marihuana anbauen
    Von 2019 an dürfen Pharmaunternehmen auch in Deutschland medizinisches Marihuana anbauen, bis dahin wird das Gras aus Holland oder Kanada importiert. Unter anderem von Großhändlern wie Patrick Hoffmann. Sein Unternehmen Pedanios hat sich auf Cannabinoid-Arzneimittel spezialisiert. Rund 1500 Apotheken beliefert die Berliner Firma in Deutschland - Tendenz steigend.
    "Wir geben heute schon in diesem aktuellen Unterversorgungsniveau mehr als zehn Mal so viele Cannabisblüten ab, als wir im Durchschnitt im letzten Jahr abgegeben haben. Trotzdem ist der Bedarf schneller gestiegen, als wir es prognostiziert haben – und wie wir in der Realität darauf hätten reagieren können."
    Kanada hilft bei Cannabis-Engpässen
    Seine Mitarbeiter portionieren gerade Restbestände, sie füllen die Blüten in weiße Plastik-Dosen, stellen sie in den Mehrfach gesicherten Tresor. Hoffmann geht davon aus, dass die Cannabis-Engpässe in deutschen Apotheken bald passé sind. Denn er hat eine neue Quelle aufgetan.
    "Wir haben jetzt, um dem gewachsenen Bedarf einfach Herr zu werden in Kanada eine zweite Quelle erschlossen, die Firma Aurora, und die Firma ist so groß, dass sie uns mit sehr großen Mengen an Cannabis beliefern kann. Wir erwarten in den nächsten Tagen über 140 Kilogramm Cannabis hier in Deutschland."
    Viele Patienten müssen auf dem Schwarzmarkt kaufen
    Doch viele Patienten müssen überhaupt erst ein entsprechendes Rezept erhalten. Viele ADHS- und Schmerzpatienten suchen nach wie vor vergeblich nach einem Arzt, der ihnen cannabisbasierte Medikamente verschreibt. Anderen verweigert die Krankenkasse die Übernahme. Sie sind weiterhin auf den Schwarzmarkt angewiesen – und damit auf die Illegalität, erzählt Sebastian Weißt, der in der "Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin" aktiv ist.

    "Was uns zu Ohren kommt, ist, dass immer noch sehr viele Ängste da sind. Das ist auch zu verstehen, das Gesetz ist neu, es wurde über 20 Jahre immer dagegen gewettert, die Patienten mussten hart prozessieren. Das Problem ist, dass man so eine Meinung nicht so schnell umstellen kann, weil man sich viele Fehler eingestehen müsste und das menschliche Gehirn ist nicht so flexibel."
    Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dr. Franjo Grotenhermen protestiert gegen diese Vorbehalte – auf denkbar harte Form. Er ist vor zwei Wochen in einen Hungerstreik getreten. Unbefristet.