Machu-Picchu und die Bucket List - Vom Drang, Erlebnisse zu sammeln
Von Johanna Rubinroth
Seitdem sie denken kann, träumt Johanna Rubinroth davon, „auf Elefanten-Safari” zu gehen. Einmal Elefanten in (fast) freier Wildbahn sehen! Was steckt hinter der offenbar unstillbaren Sehnsucht, Erlebnisse zu sammeln oder Erfahrungen zu steigern?
Irgendwann war es soweit - eine Gelegenheit mit erträglichen ökologischen Gewissensbissen. Und während der Guide nach der Sichtung des 21. Elefanten dazu über gegangen war, die Elefanten, mit uns gemeinsam zu zählen, fing ich an, mich zu fragen: Worum geht es eigentlich, mit diesem Drang etwas zu „sehen”, „gesehen zu haben”?
Eiffelturm, Taj Mahal, Venedig… Von Entdeckerlust kann dort, an Orten, die millionenfach besucht werden, nicht mehr die Rede sein. Und doch wollen wir es selbst auch gesehen und erlebt haben - unsere kleine persönliche Eroberung. Wir jagen nach dem Erlebnis, der Trophäe auf der Netzhaut, beziehungsweise dem hundertmillionsten Foto von der Freiheitsstatue, das bei den einen zwischen den eigenen Tausenden Fotos verschwindet, bei den anderen Likes und Kommentare in den sozialen Medien einbringt. Das Teilen von Erfahrungen stärkt die soziale Identität! Ist es das? Das Gefühl der Gemeinschaft und Verbundenheit - das wir suchen?
Oder sind es emotionale Höhepunkte, die wir sammeln, einen aus Erlebnissen bestehenden Schatz, der zur persönlichen Erfüllung beitragen soll? Suchen wir nach bedeutsamen Momenten, die uns das Gefühl geben, dass unser Leben einen Sinn und Zweck hat? Oder geht am Ende doch darum, uns selbst zu inszenieren? Oder bloß nichts zu verpassen? Unser Erleben scheint eine merkwürdige Logik der Steigerung zu umwehen, als gelte es, in der Gesellschaft der Singularitäten die singulärste Person zu sein.
Einen besonders hohen Berg erklimmen! Ein Segen vom Papst, eine Umarmung von Amma! Machu-Picchu! Der berühmte Fallschirmsprung! Persönliche Meilensteine. Religiöse Erfüllung. Touristisches must-see. Wie viele Erzählungen basieren auf diesem einen Bedürfnis, dem tiefen Wunsch, einmal das Meer oder Paris gesehen haben. Zum Mond zu reisen - oldschool, der Mars wird jetzt angepeilt. Hauptsache etwas, das vor mir noch niemand gesehen hat. Vielleicht lockt uns in Zukunft die Simulationstechnologie mit noch nie dagewesenen Gefühlen, mit dem Erleben einer Farbe ausserhalb des Regenbogenspektrums. Das Seltene zelebrieren, zu der einen Handvoll Auserwählter zählen. Und erst wenn der letzte Punkt auf der „Bucket List” abgehakt ist, dürfen wir beruhigt und erfüllt sterben.
Johanna Rubinroth ist 1983 als Schulkind von Polen nach Westberlin emigriert, wo sie ihr Abitur absolvierte. Sie schloss die Drehbuchakademie der DFFB ab. Rubinroth lebt und arbeitet als Autorin in Berlin. Zu ihren jüngsten Werken gehören: „BLIND DATE IN DELHI“, „Mein eigensinniges Gehirn“ und „Das Patent“.