Narrative der Kunst
Wie die Welt zum Sprechen kommt
Von Thomas Feuerstein
Der Traum der Kunst, seelenloser Materie wie Marmor oder Farbe Leben einzuhauchen, könnte in den Erzählweisen der Gegenwartskunst wahr werden. Wenn nämlich die Welt, ihre mikrobiologischen Prozesse und Akteure miterzählen. Es gilt, sie zu entdecken.
In einem Essay hat der Künstler Thomas Feuerstein im Jahr 2008 einen Erkundungsgang in die Erzählweisen der Gegenwartskunst unternommen. Gegenüber den Narrativen, die uns derzeit umstellen, vom rhetorischen Framing bis hin zum Storrytelling der Serien von heute, entdeckt er die genuine Erzählweise der Kunst: Eine Erzählung ohne Anfang und Ende, das Spinnen eines Netzwerks von Bedeutungen und Verweisungszusammenhängen. Aber weil diese konzeptuellen Narrative der Kunst heute eine bedeutende Erweiterung erfahren haben, hat Thomas Feuerstein für Essay und Diskurs seinen Text um eine Erzählweise erweitert, in der nicht Künstlerinnen und Künstler von der Welt, dem Menschen oder der Gesellschaft, von ihren künstlerischen Materialien oder Materien erzählen, sondern die Welt selbst, ihre biochemischen Prozesse, ihre Mikroben und Bakterien selbst beginnen, im ästhetischen Prozess „zu Wort“ kommen.
Während sich die großen Erzählungen von Wachstum und Fortschritt im Zuge der Industrialisierung zu verabschieden beginnen, dämmert schon eine planetare Erzählung von Kohlenstoff- und Stickstoffkreisläufen, Biosphäre und Klimawandel. Dies markiert eine natur- und geisteswissenschaftliche Wende, eine kulturelle und ökologische, aber auch künstlerische Metabolie, denn das Leben ist mehr als Mythos, Pathos und Heros; es ist vor allem Metabolismus, ein komplexes Netzwerk, das uns mit der Welt verstrickt.
Thomas Feuerstein, geboren 1968 in Innsbruck, ist Künstler und Kunsttheoretiker in einem. Seine stets zwischen Kunst, Wissenschaft und oft auch Biotechnologie angesiedelten Arbeiten befinden sich in wichtigen Museen wie im Mumok Wien, dem MAC Lyon oder ZKM Karlsruhe. In Einzelausstellungen wurden etwa gezeigt im Leopold Museum in Wien, im Frankfurter Kunstverein oder dem Chronus Art Center in Shanghai, sowie auf Biennalen in Moskau, Lyon und Guangzhou. Er wurde u.a. 2019 mit dem Österreichischen Kunstpreis für Medienkunst ausgezeichnet.