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Programme für geflüchtete Wissenschaftler
Zuflucht im Labor

Über eine Million Menschen flohen seit 2015 nach Deutschland, darunter auch Wissenschaftler - mit der Hoffnung, ihre Forschung im Exil wieder aufnehmen zu können. Deutsche Forschungsförderer stellten Sondermittel für eine Starthilfe bereit. Doch der Weg zur eigenständigen Karriere ist schwer.

Von Anneke Meyer | 13.03.2018
    Konzentriert blickt Ismael Ibraheem erst auf seinen Monitor und dann auf ein ausgedrucktes Manuskript. Der Rand des Papiers ist mit roten Markierungen übersät. Der Geophysiker überarbeitet gerade eine Publikation. Vor knapp anderthalb Jahren ist er an die Uni Köln gekommen. Geflohen vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat Syrien.
    "Meine wissenschaftliche Arbeit konnte ich natürlich nicht fortsetzen - im Krieg kann man gar nichts machen. Alles ist im Ausnahmezustand. Wir haben ein zerstörtes Land verlassen und dort, wo wir hinkamen, zunächst keine Arbeit gefunden."
    Fördermaßnahmen erreichen rund 200 Forscher
    0,4 Prozent der Asylbewerber, die 2016 in Deutschland registriert wurden, haben ihren eigenen Angaben zufolge in ihrer Heimat in der Forschung gearbeitet. 2017 war ihr Anteil etwas höher. Das sind rund 1.500 Akademiker pro Jahr, die in Flüchtlingsheimen landen. Die Alexander von Humboldt-Stiftung, aber auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben vor knapp zwei Jahren Programme eingerichtet, um Exil-Wissenschaftlern eine Chance zur Rückkehr ins Labor zu geben. Die Volkswagenstiftung, manche Bundesländer und auch einzelne Universitäten haben inzwischen nachgezogen. Rund 200 Forscher profitieren derzeit von den Fördermaßnahmen.
    "Also das alleine ist zunächst mal ein Erfolg. Es war ganz sicher eine Idee, die vielen geholfen hat. Denn das sind ja Menschen, die andernfalls bis heute wahrscheinlich nicht zurück in die Wissenschaft gefunden hätten, deren Karrieren noch stärker von der Fluchterfahrung betroffen gewesen wären."
    Weiterentwicklung der Karriere schwierig
    Johannes Müller hat durch seine Arbeit im Internationalen Büro der Uni Köln sechs dieser Menschen intensiv begleitet. Vom Nutzen der Förderprogramme ist er überzeugt - aber:
    "Das 'Aber' bezieht sich eher auf die Hoffnungen, die damit verbunden waren. Denn die Idee war ja, diesen Menschen eine Möglichkeit zu bieten, zurück in die Wissenschaft zu finden, um dann eigenständig ihre wissenschaftliche Karriere weiter entwickeln zu können. Das ist vielen nicht gelungen."
    Ismael Ibraheem blättert auf die nächste Seite seines Manuskripts.
    "As you can see I am just doing some grammar correction."
    Es fehlen nur noch ein paar Korrekturen bei Rechtschreibung und Grammatik, akzeptiert ist das Paper schon. Das Dritte in kaum anderthalb Jahren. Ein guter Schnitt, nickt sein Arbeitsgruppenleiter Professor Bülent Tezkan anerkennend.
    "Also er war dann ja richtig hungrig für die Wissenschaft. Er hat seit seiner Flucht aus Syrien eigentlich nichts machen können. Wir haben ihm Daten gegeben und er hat die dann schön bearbeitet, die Daten."
    Inhaltliche Ausrichtung oft problematisch
    So rund läuft es längst nicht bei jedem. Warum es trotz Wissenschaftshunger vielen schwer fällt, im Forschungssystem des Exillandes Fuß zu fassen, beleuchtet eine Studie, die Johannes Müller mit Kollegen in Amsterdam und Thessaloniki gemacht hat. Dafür befragten sie 60 Wissenschaftler mit Fluchterfahrung, die an Universitäten in Europa oder den USA untergekommen waren.
    Wenig überraschend kam dabei heraus, dass die soziale Integration eine große Herausforderung ist. Eine zweite bestand darin, mit den oft höheren Qualitätsstandards für Forschung im Exilland klar zu kommen. Überraschend war aber auch die inhaltliche Ausrichtung der Forschung ein großes Problem:
    "In vielen Fällen ist tatsächlich eine komplette wissenschaftliche Neuorientierung erforderlich gewesen, weil Fachbereiche, die sie in ihren Ländern versehen haben, ganz anders aufgestellt sind, als sie das hier sind, und ganz anderen Anforderungen folgen müssen."
    Islamische Sozialphilosophie etwa hat in Deutschland eine andere gesellschaftliche Relevanz als in Syrien. Ein Fokus auf ökologische Landwirtschaft ist für deutsche Agrarbiologen normal, in Afghanistan sieht das anders aus.
    "Das hat man unterschätzt und das haben auch die betreuenden Wissenschaftler, bei allem Engagement, das sie mitbringen, sicher unterschätzt. Manchmal ist trotzdem was Erfolgreiches daraus geworden und manchmal sind diese Hindernisse einfach so groß gewesen, dass der Erfolg eben geringer ausgefallen ist. Am guten Willen hat es nicht gemangelt, das kann man festhalten."
    Ungewisse Zukunft
    Doch die Zeit war oft einfach zu knapp. Am Ende ihres meist zweijährigen Stipendiums sahen sich nur wenige Teilnehmer der Befragung in der Lage, in der neuen Heimat auf Augenhöhe mit ihren Fachkollegen um Fördergelder oder offene Stellen zu konkurrieren. Auch Ismael Ibraheem ist trotz seiner drei Publikationen skeptisch.
    "Ich wusste das vorher natürlich nicht. Aber man hat mir gesagt, so ist das System und ich muss immer weiterkämpfen. Klar, das ist für alle Nachwuchswissenschaftler das gleiche. Okay - jetzt habe ich für zwei Jahre einen Post Doc - aber was kommt danach?
    Ein halbes Jahr bleibt Ismael Ibraheem noch, bevor sein Vertrag ausläuft. Zeit, die er nutzen will, um sich bei einem anderen Programm zu bewerben, das geflüchtete Forscher unterstützt. Ein Weg, den viele wählen. Wie lange diese Tür ins deutsche Wissenschaftssystem noch offen steht, ist aber fraglich. Für 2018 haben alle Förderprogramme zu Integration geflüchteter Akademiker in den Arbeitsmarkt noch einmal Mittel zugesagt bekommen. Wie es danach weitergeht, ist aber ungewiss.