Sind noch Lieder zu singen?
Über die Zukunft der Gattung Lied
Von Ingo Dorfmüller
Theodor W. Adornos Diktum, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben, sei barbarisch, müsste auf das Lied erst recht zutreffen: Als ließe sich zurückkehren in die heile Welt bürgerlicher Kunstpraxis. Zwar entstehen Lieder noch immer tausendfach - um das Kunstlied, das klavierbegleitete Sololied, ist es allerdings tatsächlich schlecht bestellt. Und doch haben viele deutsche Komponisten nach 1945 versucht, dieser vielleicht innigsten Verbindung von Dichtung und Musik neuen, womöglich gar emanzipatorischen Sinn abzuringen. Darum ging es in einer Veranstaltung der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart: in Konzerten, Diskussionen und Workshops. Zwölf Uraufführungen zeigten, wie unterschiedlich Komponistinnen und Komponisten heute den Anforderungen der scheinbar antiquierten Form Klavierlied begegnen.