Der Mensch ist die Frage: Was ist der Mensch?
Der französische Philosoph Jean-Luc Nancy im Gespräch mit Michael Magercord
Immanuel Kant wusste auf seine Grundfrage keine Antwort. Jean-Luc Nancy auch nicht. Nur eines ist dem Philosophen gewiss: Der Mensch ist ein vornehmlich denkendes Wesen, seine Handlungen sind eingebettet in das geistige Umfeld seiner Zeit. Aber egal, ob dies von einer vorherrschenden Religion geprägt wird, einer Idee oder Ideologie - ein kollektives Denken gibt es nicht, der Denkprozess vollzieht sich in jedem einzelnen Individuum. Wer den derzeit bedeutendsten französischen Denker nach einer konkreten Handlungsanweisung fragt, wird ratlos bleiben, denn ein Wort kommt bei ihm so gut wie nie vor: Moral. Stattdessen aber immer wieder ein anderes: Sinn. Sinn erschließt sich über das Denken - Denken in die stringenten Kategorien aber steht sich oft selbst im Weg, denn, so sagt Jean-Luc Nancy, "die aktuellen Probleme sind vielleicht viel einfacher gelagert, als wir sie denken, aber von einer Art der Einfachheit, zu der wir keinen Zugang mehr finden". Was bleibt? Der 75-Jährige versucht, die Zeichen seiner Zeit zu deuten. In der Kunst und Wissenschaft. Oder die gesellschaftlichen Umbrüche - vom Krisenbewusstsein bis zur Homoehe. Welche Vorstellungen sind für die kommende Epoche sinnstiftend? Michael Magercord erarbeitet ein Denkprotokoll seines Gesprächs mit Jean-Luc Nancy. Jean-Luc Nancy, geboren 1940 in Cauderan, Frankreich, lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg und hatte Gastprofessuren in Berkeley, Irvine, San Diego und Berlin inne. Sein vielfältiges Werk umfasst Arbeiten zur Ontologie der Gemeinschaft, Studien zur Metamorphose des Sinns und zu den Künsten, Abhandlungen zur Bildtheorie, aber auch zu politischen und religiösen Aspekten im Kontext aktueller Entwicklungen. In Deutschland erschien zuletzt sein Buch 'Das nackte Denken' (2014), in Frankreich 'Que faire' (2016).