Neuer Antisemitismus - Befund, Analyse, Verstehen (1/6)
Der Schriftsteller Doron Rabinovici im Gespräch
(Teil 2 am 23.6.2019)
Antisemitismus tritt in vielen Ländern verstärkt auf und das wirft zahlreiche Fragen auf. Die komplizierte Debatte zum Antisemitismus beginnt schon bei einer Definition desselben. In einer sechsteiligen multiperspektivischen Annäherung versucht ‚Essay und Diskurs‘, die Positionen einzuordnen. Unterschiedlichste Ausgangsszenarien führen zu antisemitischen Handlungen heute, in europäischen Ländern, in den USA, im Nahen Osten. Offene Gewalt gegen Juden auf der Straße oder dschihadistische Anschläge gegen jüdische Einrichtungen sind genauso globale Wirklichkeit wie Politiker, die mit Ressentiments gegen Juden auf Wählerfang gehen. Hat der Antisemitismus, den wir historisch überwunden glaubten, doch Kontinuität? Oder haben wir ganz neue Gesellschaften, die unseren gelernten Umgang herausfordern? Doron Rabinovici, Mitherausgeber des Standardwerks zum ,Neuen Antisemitismus?’ stellt die grundlegenden Zusammenhänge und offenbaren Unüberwindbarkeiten der Antisemitismusdebatte im Gespräch dar. „Worauf lassen wir uns ein, wenn wir Antisemitismus begreifen wollen? Meinen wir ein Gefühl, ein Ressentiment, eine Haltung, ein Gerücht oder gar nur ein Vorurteil über eine bestimmte soziale und kulturelle Gruppe, die Juden genannt wird?”, fragt die Anfang 2019 im Suhrkamp Verlag erschienene Essaysammlung, eine Neuauflage des Standardwerks ,Neuer Antisemitismus?’ aus dem Jahr 2004. Gerade weil sich 15 Jahre später so viele Fragen neu und anders stellen, haben die Herausgeber Christian Heilbronn, Doron Rabinovici und Natan Sznaider den Autorinnen und Autoren nach 15 Jahren Gelegenheit gegeben, ihre Einschätzungen neu zu kommentieren und in manchen Fällen sich gleich in Gänze neu zum Antisemitismus zu äußern. Der 1961 in Israel geborene Wiener Schriftsteller und zeitkritische Historiker Doron Rabinovici veröffentlichte sein Prosadebüt ,Papirnik: Stories’ 1994 im Suhrkamp Verlag. Seitdem sind zahlreiche Romane und Essays von ihm erschienen, deren Protagonisten immer wieder das Jüdischsein in Europa thematisieren. 2000 erschien
,Instanzen der Ohnmacht’, Rabinovicis Studie über die Arbeit des Wiener Judenrats von 1938 bis 1945.