Unruhige Landschaften
Von der Neuerfindung von Kultur und Natur
Von Volker Demuth
Landschaften fordern dazu auf, mit ihnen in Beziehung zu treten. Bevor wieder eine balancierte Beziehung von Mensch und Natur entstehen kann, dreht sich alles um die Frage: Gelingt es uns, die Landschaft, nach ihrer Umformatierung, Ausbeutung und Vergiftung neu zu erfinden und als intensiven, ästhetischen Lebensraum für uns zurückzugewinnen? Landschaften verzaubern, befremden, locken oder erwecken Schauder in uns. Seit jeher wurden sie als Objekte von Faszination und Angst erlebt. Ob an Stränden, in Bergen oder Waldgebieten, gerade heute ist ihre Anziehungskraft groß und trotz moderner Urbanisierung ungebrochen. Nicht oder schwach besiedelte Landschaften nehmen 97 Prozent des Festlands der Erdoberfläche ein. Gegenwärtig jedoch treten sie uns in Bildern von brennenden oder vertrocknenden, abgeholzten, ausgebeuteten und überhaupt versehrten Landschaften entgegen. Ist es ein Eroberungszug, den wir gegen unsere natural-sozialen Lebensräume führen, nur um dominant alles aus ihnen herauszuholen?
Aus ehemals stabilen Lebensräumen sind durch kolonialistische Logik unruhige und sogar dramatische Landschaften geworden. In ihnen sind wir mit den drängendsten Fragen unserer Zeit konfrontiert. Woher kommt der zerstörerische Umgang mit Landschaften? Wie war die Beziehung in vorindustriellen Gesellschaften? Was bedeutet es, wenn heute innerhalb ökologischer Bewegungen ein neues Landschaftsbewusstsein wächst? Wie könnten postindustrielle Landschaften aussehen, und welche Bedeutung kommt bei diesem Wandel der ästhetischen Wahrnehmung zu, mit der die moderne Vorstellung von Landschaft ja überhaupt erst beginnt? Landschaft offenbart sich in diesem Essay als ein vielschichtiger Raum, worin Kultur und Natur sich begegnen und durchdringen, auf behutsame und respektvolle oder hegemoniale und vernichtende Weise. Neben groben Fehlentwicklungen lassen sich auch unverzichtbare Zukunftsressourcen, vielleicht sogar Momente einer konkreten Utopie in den Landschaften auffinden.