Deniz Ohde liest aus ihrem Roman „Streulicht“ (1/2)
(Teil 2 am 11.11.2020)
„Streulicht“ ist ein durchaus düsterer Roman, düster schön. Industrieschnee markiert die Grenzen seines Schauplatzes, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst - zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden. Deniz Ohde schreibt beschreibungsmanisch, ganz auf die Details konzentriert, und dennoch ein dunkel glühendes universelles Bild entwickelnd.
Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie auch lebt. 2016 war sie Finalistin des 24. open mike und des 10. poet bewegt Literaturwettbewerbs, 2017 Stipendiatin des 21. Klagenfurter Literaturkurses. Für ihren Debütroman „Streulicht“ wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2020 ausgezeichnet.
Nach einem kurzen Gespräch liest Deniz Ohde einen ersten Teil aus ihrem Roman „Streulicht“ vor.