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Progressive Bildung im 17. Jahrhundert

Auf Schloss Friedenstein in Gotha wird eine Ausstellung zum Schulwesen des 17. Jahrhunderts vorbereitet: mit Stundenplänen, Konzepten und Zeugnissen der Zeit. Unter Herzog Ernst dem Frommen standen damals Unterrichtsmethoden und -inhalte auf dem Prüfstand.

Von Blanka Weber | 07.01.2013
    Vorsichtig blättert der Wissenschaftler der Forschungsbibliothek Gotha Sascha Salatowsky in den Handschriften. Das Papier ist etwas abgegriffen und leicht porös am Rand, doch die zierlich geschriebenen Zeilen mit den schmuckvollen Initialen sind gut zu lesen:

    "Hier sieht man ganz verschiedene Dokumente, Stundenpläne, man sieht Konzepte, die entworfen werden, um den Schulunterricht neu zu gestalten. Das für alle Schulformen, fürs Gymnasium, für die Elementarschule, die Lateinschulen, die Stadtschulen."

    Es war das 17. Jahrhundert. Bildung gab es damals nur für Jungs.

    "In all den Akten, die ich bisher in die Hand genommen habe, habe ich nicht einen Mädchennamen gefunden. Das hängt damit zusammen, dass die höhere Bildung für Mädchen nicht zugänglich war."

    Erst ein Jahrhundert später habe sich das geändert, sagt der Wissenschaftler. Doch so genau ist auch das noch nicht erforscht. Ebenso wie die Details zum Schulwesen des gesamten 17. Jahrhunderts. Allein im Stadtarchiv Gotha, dem Staatsarchiv und der Forschungsbibliothek, die zur Universität Erfurt zählt, sind vier bis fünf laufende Meter handschriftliche Dokumente allein aus der Gymnasialzeit zu finden. Zum Beispiel die kompletten Schulhefte von Johann Gerhard, einem Jungen aus Gotha.

    "Letztendlich versuchen wir Tiefenerschließung zu machen, es wird aber Jahre dauern. Sie müssen sich jedes einzelne Dokument ansehen, von wem ist es verfasst? Wann ist es geschrieben worden und was ist der Inhalt."

    Schülerlisten, Stundenpläne, selbst inhaltliche Konzepte gibt es – und manche Rarität, wie
    Zeugnisse:

    "Letztendlich kann man mit allen diesen Dokumenten die Schulgeschichte fürs 17. Jahrhundert neu schreiben, in einer Detailgenauigkeit, wie es bisher gar nicht erfolgt ist, weil Sie anhand der Schülerlisten sehen können, wo kommen die Schüler her und auf dem Zeugnis ist immer vermerkt, was der Vater für einen Beruf hatte, wir können Milieustudien betreiben."

    Methodik des Unterrichts und Inhalt standen damals beim progressiven Herzog Ernst dem Frommen vollkommen auf dem Prüfstand. Er selbst – erzogen in Weimar – inspiriert vom Bildungsgedanken, war bestrebt gutes Personal fürs Herzogtum selbst heranzubilden und vor allem aus Bauern – kleine Bildungsbürger zu machen, sagt Jutta Reinisch von der Stiftung Schloss Friedenstein:

    "Gotha hat eben mit am frühesten die Schulpflicht eingeführt – 1692 – einiges vor Preußen. Das galt für alle fünf bis Zwölfjährigen. Danach gab es Schulreformen - also Gotha war in jeder Hinsicht schulbildend."

    Mehr Muttersprache für die Jüngsten, erst später kamen Latein, Griechisch und Hebräisch hinzu; Philosophie und Naturkunde – sagt der Wissenschaftler Sascha Salatkowsky. Er sieht so aus, als wollte man damals die Welt ins Klassenzimmer holen: Herbarien entstanden, Tiere, Steine und Pflanzen wurden analysiert – und eines durfte auch nicht fehlen: Musik.

    "Das lag also Ernst dem Frommen offensichtlich am Herzen, dass alle Schüler, und zwar jeden Tag, gesungen haben in der Schule. Das kann man an den Stundenplänen erkennen, dass jeden Tag nach der Mittagspause etwa eine Stunde lang gesungen wurde."

    Aus jedem Gebiet sollte jeder etwas wissen – quasi – als kleine Enzyklopädie für ein modernes Herzogtum – in der auch die Jungen und Mädchen die Feldarbeit endlich mit der Schulbank tauschen sollten. Es gab eine Art Internat für die Armen und Stipendien, es gab Schenkungen und Bildungssponsoren und das Bedürfnis des Landesherren: Bildung allen zugänglich zu machen. Damals wie heute gilt, sagt der Wissenschaftler, wie sich die Lehrer für Bildung engagieren:

    "Wie man die Schüler für das Wissen auch begeistern kann und ich bin immer wieder überrascht über das Volumen, was unterrichtet wurde. Auch der Philosophieunterricht war ein wesentlicher Bestandteil. Und da wurde auf einer Höhe diskutiert und unterreichtet, was man heute erst wieder an den Universitäten findet."

    "Gotha macht Schule" heißt die Ausstellung, die in vier Monaten eröffnet werden soll, dann mit einem tiefen Blick in das bislang unterschätzte Bildungswesen des 17. Jahrhunderts.