Samstag, 20. April 2024

Archiv

Projekt "Hejtstop"
Gegen Hasskommentare im Netz

"Sie haben nicht gelernt, ihre Meinung logisch vorzutragen, ohne andere dabei zu verletzen", analysiert Joanna Grabarczyk vom Projekt "Hejtstop". Der Verein will die polnischen Internetnutzer dafür sensibilisieren, dass Hass die Kommentare im Netz erfüllt. "Hejtstop" registriert die Fälle und versucht, einige zur Anklage zu bringen.

Von Florian Kellermann | 18.03.2016
    Das Wort "Refugees", zu deutsch "Flüchtlinge"
    Die Flüchtlingskrise führt im Internet zu mehr beleidigenden und rassistischen Kommentaren - auch in Polen (Screenshot Deutschlandradio)
    Er werde Polen einen, versprach Präsident Andrzej Duda vor seinem Wahlsieg:
    "Wir müssen die Lebensqualität in Polen verbessern , und wir müssen das gemeinsam machen. Wir sind eine große Gemeinschaft, wir sind über 38 Millionen. Wir dürfen nicht zulassen, dass man uns spaltet. Ich denke, dass wir vor allem reden und das suchen müssen, was uns eint."
    So sprach Duda vor zehn Monaten im Präsidentenwahlkampf. Heute ist die polnische Gesellschaft so gespalten wie nie zuvor seit der demokratischen Wende. Als der Präsident vor kurzem einen Unfall hatte, an seinem Dienstfahrzeug platzte ein Reifen, füllte sich das Internet mit Hasstiraden. Meist anonyme Nutzer wünschten ihm unumwunden den Tod. "Schade, dass keine Birke in der Nähe war", schrieb einer. Vor sechs Jahren hatte ein Regierungsflugzeug im Anflug eine Birke gestreift und war abgestürzt.
    Die "Sprache des Hasses" - täglich registriert das Warschauer Projekt mit dem Namen "Hejtstop" einige Dutzend solcher Fälle, sagt Leiterin Joanna Grabarczyk.
    "Das Problem wird immer größer, vor allem seit Herbst, seit immer mehr von der Flüchtlingskrise die Rede ist. Im polnischen Internet kann man darüber furchtbare Dinge lesen, skandalöse Dinge. Wir hassen gerne, so scheint mir, und tragen unsern Hass dann in die Öffentlichkeit. Täglich registrieren wir einige Dutzend Fälle. Eine Statistik führen wir nicht mehr, das hat keinen Sinn."
    "Hejtstop" reagiert auf Kommentare, in denen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zum Ausdruck kommen. Aber auch die Herabwürdigung von Menschen mit Behinderungen und sozialen Randgruppen registriert die Gruppe, ebenso grobe persönliche Beleidigungen. Die sieben Mitarbeiter in Warschau melden besonders drastische Fälle der Staatsanwaltschaft - und schalten Betreiber von Internetseiten ein.
    Schimpfwort auf dem Schulhof: "Du Flüchtling"
    Seit dem Sieg von Dudas früherer Partei bei den Parlamentswahlen im Herbst nimmt der Hass noch einmal zu. Seitdem regiert die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" und deren Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski liebt die Zuspitzung. Er sprach von der "schlechtesten Sorte von Polen", die gegen die Regierung demonstrierten. Er behauptete, Flüchtlinge schleppten Parasiten ein. Joanna Grabarczyk:
    "Die Sprache des Hasses wird aber auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums verwendet. Dann meint natürlich jeder Kowalski, auch er darf sich so äußern. Und als nächstes sagen es die Kinder in der Schule. Die beliebtesten Schimpfwörter dort sind heute "Du schwule Sau" und "Du Flüchtling"."
    Um das Internet kümmert sich "Hejtstop" seit drei Jahren. Zunächst hatte sich die Gruppe gegründet, um rassistische Graffiti zu bekämpfen. Noch heute treffen sich ihre Aktivisten zweimal im Jahr und übermalen solche Parolen. Dass Hetze im Internet ebenso schlimm ist, wird vielen erst langsam klar.
    "Immer mehr Polizisten verstehen das Problem und nehmen entsprechende Anzeigen auf. Immer mehr Fälle kommen auch vor Gericht - dank der aufmerksamen Internet-Nutzer, die uns informieren."
    Angst nicht richtig kanalisiert
    Knapp 16.000 Personen haben sich auf der Seite der Organisation angemeldet. Sie sorgten unter anderem dafür, dass im Februar eine 30-Jährige aus Lublin verurteilt wurde. Sie bezeichnete Flüchtlinge als "Schmutzfink" und wünschte sie sich, so wörtlich, "ins Gas".
    Oft hat "Hejstop" aber auch keinen Erfolg. So beim Kampfsportler Mariusz Pudzianowski. Er nannte Flüchtlinge "menschlichen Dreck", für den ihm auch sein Baseballschläger nicht zu schade sei. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein.
    Woher der Hass kommt? Darauf hat auch Joanna Grabarczyk keine erschöpfende Antwort.
    "Die Menschen haben Angst, die sie nicht richtig kanalisieren können. Sie wollen in einer anderen Welt leben und meinen: Das wäre eine Welt ohne Fremde, ohne Menschen, die anders sind als sie. Hinzu kommt: Sie haben nicht gelernt, ihre Meinung logisch vorzutragen, ohne andere dabei zu verletzen."
    Joanna Grabarczyk wird selbst immer wieder Opfer, so nach ihrer Anzeige des Kampfsportlers Pudzianowski. Ein Abgeordneter griff sie an, weit unter der Gürtellinie. "Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich auch von Immigranten träumen", schrieb Pawel Kukiz, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Kukiz15. Am Tag darauf schob er eine halbherzige Entschuldigung nach.