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Pronold: Betreuungsgeld ist Etikettenschwindel

Das Betreuungsgeld sei eine "Fernhalteprämie", sagt der Chef der Bayern-SPD, Florian Pronold. Es werde dafür bezahlt, dass Kinder nicht in eine Einrichtung geschickt würden. Da die Erziehung zu Hause für berufstätige Eltern aber oft nicht möglich sei, gehe die Maßnahme an der Realität dieser vorbei.

Florian Pronold im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.04.2012
    Tobias Armbrüster: Die Unions-Fraktion im Bundestag kommt am Nachmittag zu ihrer ersten Sitzung seit der Osterpause zusammen und es wird dabei vermutlich nicht nur um den nachträglichen Austausch von Schokoladeneiern gehen. Es ist vor allem ein Thema, das die Union in diesen Tagen bewegt, manche sprechen sogar von einem Riss, der durch die Fraktion geht. Es ist das Betreuungsgeld, das laut Koalitionsbeschluss ab 2013 kommen soll, das aber vor allem viele in der CDU für Geldverschwendung halten – anders als in der bayrischen CSU, die unbedingt an diesem Vorhaben festhalten will. Der Streit wurde auch nicht durch den Vorschlag von Fraktionschef Kauder entschärft, der sich für eine stärkere Berücksichtigung von Erziehungszeiten bei der Rentenberechnung ausgesprochen hat.
    Wir haben es gehört: In Bayern gibt es laut einer aktuellen Umfrage tatsächlich eine große Mehrheit von Bürgern, Weiterhin Debatte um Betreuungsgeld (MP3-Audio) die sich das Betreuungsgeld wünschen. Am Telefon ist jetzt der bayrische SPD-Chef und Bundestagsabgeordnete Florian Pronold. Schönen guten Tag, Herr Pronold.

    Florian Pronold: Guten Tag.

    Armbrüster: Herr Pronold, wir haben es gerade gehört: In Bayern stößt das Betreuungsgeld auf viel Zustimmung. Woran liegt das?

    Pronold: Erst mal ist es eine Umfrage, die die CSU selber in Auftrag gegeben hat, und die Fragestellung darin lautet, "Sind Sie dafür, dass Familien, die Kinder betreuen, mehr Geld bekommen (Betreuungsgeld)". Also dass da nur 67 Prozent ja sagen, ist ein überraschend schlechtes Ergebnis, bei der Frage müssten eigentlich 100 Prozent ja sagen. Und ich habe nicht den Eindruck, dass es anders ist als im Rest vom Bundesgebiet. In Bayern gibt es dieselben Bedenken gegen das Betreuungsgeld, wie sie es in der FDP und in der CDU gibt, bei dem Landfrauentag jetzt bundesweit, beim Sozialdienst Katholischer Frauen Ablehnung. Ich glaube nicht, dass es da eine höhere Zustimmung in Bayern gibt als anderswo.

    Armbrüster: Das heißt, Sie stellen hier diese Umfrage von Emnid in Frage?

    Pronold: Die ist von der CSU in Auftrag gegeben, und schauen Sie sich die Frage an. Ich glaube, dass es in Bayern sich nicht anders verhält als im Rest des Bundesgebietes, dass die Masse der Menschen erkennt, dass wir eine echte Entscheidungssituation haben, ob wir denn echte Wahlfreiheit bekommen – und echte Wahlfreiheit heißt doch, dass Familien sich wirklich entscheiden können müssen, ob sie ihr Kind in eine Betreuung geben können oder wollen oder müssen, oder ob sie es zu Hause erziehen wollen. Und in Bayern ist das Land, wo es am wenigsten Wahlfreiheit gibt, weil in Bayern die Betreuungseinrichtungen für Kinder, für unter dreijährige, am schlechtesten im ganzen Bundesgebiet ist.

    Armbrüster: Was sagen Sie denn dann den Müttern und Vätern in Bayern, die zum Beispiel auf dem Land leben, keine Kita in Reichweite haben und die ihr Kind deshalb zu Hause erziehen müssen?

    Pronold: Ich bin froh über jeden, der sich freiwillig dafür entscheidet, dass er Kinder zu Hause erziehen will. Das ist doch überhaupt nicht die Frage. Aber der Punkt, den Sie ansprechen, ist ja genau das große Problem: Wir brauchen einen besseren Ausbau von Kinderbetreuung auch in ländlichen Gebieten und wir müssen das Geld, das zur Verfügung steht, dafür investieren, weil auch bei mir in den ländlichen Bereichen – ich komme aus Niederbayern – ist es doch nicht mehr die Lebensrealität, dass überall ein Opa, eine Oma im Hintergrund steht, die sich um die Kinder kümmern, und die Realität ist, beide Eltern müssen oft arbeiten, um sich und ihre Familie ernähren zu können, und deswegen muss die erste Priorität doch sein, dass für alle, die einen Platz wollen in der Kinderbetreuung, auch einer zur Verfügung steht, und davon sind wir doch in Bayern aufgrund der ideologischen Verblendung der CSU der letzten Jahre meilenweit entfernt.

    Armbrüster: Aber die CSU bemüht sich jetzt zumindest um eine Entschädigung für diese Leute auf dem Land, die möglicherweise zu weit fahren müssen, um ihr Kind in eine Kita zu bringen. Versteht die SPD möglicherweise nicht, was die Bevölkerung auf dem Land will?

    Pronold: Ich sehe das nicht, dass die Bevölkerung auf dem Land das will. Ich kann jeden verstehen, der gern mehr Geld im Geldbeutel hätte, aber man muss doch sehen, dass wir das Geld nur einmal ausgeben können: Entweder wir geben es in die Verbesserung der Strukturen für Kinderbetreuung und in echte Wahlfreiheit, oder wir zahlen 100 oder 150 Euro, was – Entschuldigung! – auch keine adäquate Entschädigung ist, für die Erziehungsleistung, die dort stattfindet.
    Und das Zweite ist: Schauen Sie nach Thüringen. Da ist ja auch untersucht worden, wie sich ein Betreuungsgeld auswirkt und was es für Folgen hat, und es muss doch die CSU zum Nachdenken bringen, dass von katholischen Frauenverbänden bis hin zur Wirtschaft es nur skeptische Stimmen gibt gegenüber dem Betreuungsgeld, und deswegen sehe ich die CSU dort auf dem Holzweg, der in einer sehr altertümlichen Vorstellung von Familie heute besteht. Und dafür über eine Milliarde jedes Jahr auszugeben, die dann an anderer Stelle fehlt, das kann ich nicht nachvollziehen.

    Armbrüster: Die CDU und auch Bundeskanzlerin Merkel sagen ganz einfach, Eltern, die zu Hause ihre Kinder erziehen, verdienen Respekt. Finden Sie das nicht?

    Pronold: Doch! – Natürlich! – Das habe ich ja vorher gerade gesagt. Das ist doch selbstverständlich und das ist das Tollste, was passieren kann, wenn es Eltern sich leisten können und wollen, dass ein Elternteil zu Hause bleibt und sich um das Kind kümmert. Aber die Realität für die große Masse der Menschen selbst in ländlichen Räumen ist doch so, dass es diese Wahlfreiheit nicht gibt, und deswegen muss man doch zuerst einmal dafür Sorge tragen, dass für jedes Kind, das einen Betreuungsplatz braucht, auch einer zur Verfügung steht. Und wenn wir das erreicht haben, dann bin ich gern bereit, auch über weitere Maßnahmen nachzudenken, aber wir haben ja bereits das Kindergeld und wir haben das Elterngeld, um genau auch diese Vereinbarkeit von Familie und Kindererziehung auch zu Hause entsprechend zu stärken. Entschuldigung: Diese 100 Euro sind in der Summe etwas, was fehlt für den Ausbau der Kinderbetreuung, aber doch keine adäquate Entschädigung für die Erziehungsleistung, die zu Hause stattfindet.

    Armbrüster: Aber Herr Pronold, wäre denn so ein Betreuungsgeld nicht ein eigentlich toller Kompromiss für diese Übergangszeit bis zu dem Zeitpunkt, wo wirklich Eltern flächendeckend auch auf dem Land in Bayern die Wahlfreiheit haben zwischen entweder Kita oder ich erziehe mein Kind zu Hause?

    Pronold: Nein, weil das Betreuungsgeld eine völlig falsche Etikettierung ist. Es geht ja um eine Fernhalteprämie. Das Geld würde nicht dafür bezahlt, dass ein Kind gut betreut wird, sondern das Geld wird dafür bezahlt, dass ein Kind nicht in eine Einrichtung geschickt wird. Wenn eine alleinerziehende Mutter, die nur vier Stunden am Tag arbeiten gehen will, ihr Kind in die Kinderkrippe gibt, wenn es eine gibt vor Ort, dann bekommt sie diese 150 Euro nicht, obwohl sie rund um die Uhr ansonsten für das Kind da ist und das ganze Wochenende. Wenn eine ein bisschen bessergestellte Mutter zu Hause bleibt, sich eine Tagesmutter leistet, die mehr kostet als das Betreuungsgeld, die kriegt das Betreuungsgeld, weil Tagesmütter nicht unter diese Regelung fallen. Und deswegen ist das Betreuungsgeld ein Etikettenschwindel, weil es eigentlich eine Fernhalteprämie ist. Es wird dafür gezahlt, dass Kinder nicht in eine Einrichtung gegeben werden, und das hat doch nichts damit zu tun, mit der Anerkennung und dem Respekt von guter Erziehung, die zu Hause geleistet wird.

    Armbrüster: Ich meine nur: Könnte man es dann vielleicht umwidmen, und 150 oder 100 Euro sollen ja auf jeden Fall gezahlt werden. Für welchen Zweck, das kann man dann ja hinterher immer noch sehen. Aber wäre es nicht gerade für die bayrische Landbevölkerung ein guter Kompromiss für die Zeit, bis es flächendeckende Kita-Betreuung gibt, zu sagen, hier, für diese Zeit kriegt ihr dieses Betreuungsgeld, Geld, das für die Betreuung von Kindern zurückgestellt wird?

    Pronold: Dann hätte die CSU 55 Jahre Zeit gehabt, wie andere Länder das auch machen, über eine landesrechtliche Regelung das zu machen, wenn sie es wollen. Ich glaube, dass das aber nicht die Lösung ist, sondern die Lösung muss sein, dass man erst einmal echte Wahlfreiheit dadurch herstellt, dass Bayern den Schlusslichtplatz verliert bei der Frage der Einrichtungen, und das geht nur, indem man Geld in die Hand nimmt. Die Kommunen, die wollen doch auch diese Kinderbetreuung entsprechend schaffen, und da ist es doch ein Irrwitz, dass auf der einen Seite alle sagen, wir müssen mehr Geld ausgeben für die Einrichtungen, die vor Ort geschaffen werden, und auf der anderen Seite gibt man Geld, das die Einrichtungen dann nicht in Anspruch genommen werden. Das versteht doch kein Mensch.

    Armbrüster: Horst Seehofer versteht es, hier in dieser ganzen Angelegenheit wieder einmal sich als der Mann hinzustellen, der vor allem und der am besten bayrische Interessen vertritt. Was kann Ihre Partei, die SPD, dem noch entgegensetzen?

    Pronold: Ich sehe nicht, dass er bayrische Interessen vertritt; er vertritt ein merkwürdiges altes Konzept von Familienpolitik, das in Bayern heute die meisten Menschen nicht mehr leben wollen, oder auch nicht mehr leben können, und deswegen ist das Nonplusultra und das, was die SPD auch macht, mit Christian Ude an der Spitze, dass wir uns für echte Wahlfreiheit stark machen, und das bedeutet, zuerst das Geld in die Strukturen für Kinderbetreuung stecken, sodass dann für diejenigen, die arbeiten müssen oder arbeiten wollen, neben der Kindererziehung auch die bestmöglichste Betreuung für die Kinder da ist.

    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das der bayrische SPD-Chef Florian Pronold zum Streit um das Betreuungsgeld. Besten Dank für das Interview, Herr Pronold.

    Pronold: Ich bedanke mich.

    Armbrüster: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.