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Propagandabühne Fußball-Turnier?
Fans brüsten sich mit rechter Symbolik

Vor gut einer Woche, vor dem ersten EM-Spiel des deutschen Teams, posierten Fans aus Sachsen mit einer Reichskriegsflagge im Zentrum von Lille. Dokumentiert wurde auch ein Hitlergruß. Schnell verbreiteten sich diese Bilder in sozialen Medien. Handelt es sich dabei um Einzelfälle oder nutzen Rechtsextreme die Länderspiele gezielt als Propagandabühne?

19.06.2016
    Ein deutscher mutmaßlicher Hooligan wurde von der französischen Polizei am Eingang des Stade de France in Paris beim Spiel Deutschland gegen Polen festgenommen.
    Ein deutscher mutmaßlicher Hooligan wurde von der französischen Polizei am Eingang des Stade de France in Paris beim Spiel Deutschland gegen Polen festgenommen. (imago sportfotodienst)
    Gut ein Dutzend Männer sind in der Dunkelheit zu erkennen. Sie tragen Sturmmasken und posieren mit drei Flaggen: Einer Fahne von Lokomotive Leipzig, einer erbeuteten England-Fahne – und einer Reichskriegsflagge, die in Deutschland nicht verboten ist, aber vor allem von Neonazis gern gezeigt wird.
    Das Foto, das mutmaßlich Hooligans zeigt, wurde am Donnerstag in sozialen Medien verbreitet, am Tag des Länderspiels zwischen Deutschland und Polen in Paris. Pavel Brunßen ist Chefredakteur von "Transparent", das Magazin beleuchtet vor allem die politischen Hintergründe der Fankultur.
    "Es ist seit Jahren immer wieder zu beobachten, nicht bei allen Spielen, doch bei einzelnen Spielen zumindest, dass im Umfeld Reichskriegsflaggen gezeigt werden. Gerade bei Spielen in Osteuropa wird öfter gesungen: ,Wir sind wieder einmarschiert’. Also rechte Ausdrucksformen bei Länderspielen."
    Rechte Parolen bei vergangenen Turnieren
    Einige Beispiele aus den vergangenen Jahren, zum Beispiel 2006 während der heimischen WM: Auf einem T-Shirt vor dem Spiel der Deutschen gegen Polen wurde folgende Botschaft verbreitet: "1939 wurde Polen in 28 Tagen besiegt, 2006 reichen 90 Minuten." Oder 2008 bei der EM im österreichischen Klagenfurt. Dutzende Fans grölten: "Die Polen haben einen gelben Stern zu tragen". Oder 2014 bei der WM in Brasilien: Deutsche Fans schminkten sich ihre Gesichter schwarz und verunglimpften das gegnerische Team aus Ghana. Oder vor der aktuellen EM: Die rechte Hooliganband formulierte in einem ihrer Lieder: "Nach Frankreich fahren wir nur auf Ketten". Der Fanforscher Pavel Brunßen:
    "Die Informationen gehen unglaublich schnell, über Facebook, über Twitter. Leute schicken sich das übers Handy zu. Und innerhalb von wenigen Minuten oder Stunden haben es Zigtausende von Leuten gesehen. Und man ist nicht mehr darauf angewiesen, dass am nächsten Tag in einer Tageszeitung zu lesen. Schafft es so ein Foto da überhaupt rein oder passt es nicht in die Erzählung des fröhlichen Events?"
    Wandel von der offenen Symbolik hin zu Codierungen
    Rechte Ausdrucksformen haben sich gewandelt. Beim WM-Sieg 1990 waren sie massiv sichtbar, etwa bei Autokorsos: Dutzende Reichskriegsflaggen, Hakenkreuze, Runen auf Jeanskutten. Über die Jahre wurden Sicherheitsmaßnahmen verbessert, das gesellschaftliche Bewusstsein veränderte sich. Mehr und mehr traten Kodierungen an die Stelle offener Symbole. Zu beobachten nun auch in den Internetforen und auf Fanmeilen, wo nahezu bei jedem Spiel auch einige rechte Darstellungen dokumentiert werden. Martin Endemann arbeitet für das Netzwerk "Football Supporters Europe":
    "Ist ja auch sehr viel unübersichtlicher, muss man ja auch ganz einfach sagen. Eine Fanmeile, wo vielleicht 100.000 Leute sind, ist eben auch nicht komplett kameraüberwacht wie so ein Stadion. Da ist es viel einfacher, rassistische Manifestationen zu zeigen, sei es in Flaggenform, Spruchbandform, oder Gesänge und Hitlergrüße. Das sind natürlich Dinge, die passieren im Umfeld der Nationalmannschaft."
    Bandbreite an rechter Symbolik ist groß
    In Frankreich selbst haben auch zahlreiche Fans aus anderen Ländern rechte Symbole gezeigt, aus Russland, der Ukraine oder aus Ungarn. 19 der 24 teilnehmenden Länder sind mit Fan-Anlaufstellen vertreten. Sie sollen den Sicherheitsdiensten bei der Erkennung helfen. Martin Endemann:
    "Es kommt immer auch ein bisschen darauf an, wie gut so Security geschult ist. Gerade natürlich die Bandbreite von rechter Symbolik in anderen Ländern ist teilweise noch sehr viel breiter. Dann gibt es natürlich auch noch Sprachbarrieren in manchen Ländern. Also wird hier bei dieser Europameisterschaft auch darauf geachtet, dass immer Leute am Eingang stehen, die der jeweiligen Landessprachen mächtig sind und dann im Zweifelsfall auch einschätzen können, was denn da drauf steht und was nicht."