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Prostituiertenschutzgesetz
Paragraphen allein schützen nicht

Seit gut einem Jahr gilt in allen Bordellen Deutschlands das Prostituiertenschutzgesetz. Prostituierte müssen sich seitdem beim Staat anmelden, Sex ohne Kondom ist verboten. Doch viele Betroffene fühlen sich von dem Gesetz gegängelt – und kein Stück mehr geschützt.

Von Stefanie Meinecke | 09.02.2019
    Auf  der Hamburger Reeperbahn gehen Passanten an einem Bordell vorbei.
    Das Prostituiertenschutzgesetz stellt neue Regeln für das Sexgeschäft auf: Kondompflicht für Freier, die Erlaubnispflicht für Betreiber und Betreiberinnen und die Anmeldepflicht für Prostituierte (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    Stuttgart am frühen Abend: Zwischen Stiftskirche, Rathaus und Fußgängerzone liegen "bunt" und "bieder "eng beieinander. Kleiderladen und Reformhaus, Metzger und Kaffeebar und gleich um die Ecke ein einer kleinen Seitenstraße: das Dreifarbenhaus, ein Bordell. Rot-weiß-blau gestrichen – daher der Name. Ein schmuckloser Nachkriegsbau mit etwa 70 Zimmern. Die Prostituierten warten hier bei geöffneter Tür auf die Freier, die auf der Suche nach Sex mit einer geeigneten Frau durch die Flure laufen. Man nennt dieses System: "Laufhaus".
    Eine schmale, rote Lichtröhre hängt über der Eingangstür aus Stahl. Jedes Mal, wenn ein Freier das Dreifarbenhaus betritt oder verlässt, fällt die Tür krachend ins Schloss – an diesem Abend in wenigen Minuten zigmal.
    Seit gut einem Jahr gilt – wie in allen Bordellen Deutschlands – auch hinter dieser Tür das Prostituiertenschutzgesetz. Es schreibt unter anderem die Kondompflicht für Freier vor. Aber: Kennen die Sexkäufer das Gesetz überhaupt? Und: Halten sie sich daran?
    "Nee. Keine Ahnung."
    "Benutzen Sie Kondome beim Verkehr mit Prost …"
    "Ja, natürlich. Immer. Immer mit Kondom."
    "Und warum gehen Sie zu Prostituierten?"
    "Ja, ich … warum nicht."
    "Sie meinen Kondompflicht, oder was?"
    "Genau."
    "Ist ja meine Gesundheit."
    "Leben Sie in einer Partnerschaft?"
    "Ja. Aber wenn man zuhause nichts zu essen bekommt, sag ich, geht man ins Restaurant."
    Das liberalste Gesetz seiner Art
    … und bei Mangel an Sex geht man eben ins Bordell, so die Logik der Freier. Die Benutzung eines Frauenkörpers gegen Geld - legal, legitim, selbstverständlich. Das ist die Botschaft der Sexkäufer an diesem Abend, in dieser Momentaufnahme.
    Eine Haltung, die besonders gut gedeihen kann, seitdem es das deutsche Prostitutionsgesetz gibt. Seit 2002 in Kraft, zählt es im internationalen Vergleich zu den liberalsten seiner Art. Es sollte Prostituierte rechtlich stärken und Kriminalität eindämmen - und scheiterte an der Wirklichkeit: Zum einen tragen Prostituierte nach wie vor ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt zu werden - das belegt eine Studie des Bundesfamilienministeriums.
    Ein Schild weist am 12.07.2017 in einem Bordell in Frankfurt am Main (Hessen) auf die Kondompflicht hin. (zu dpa «Städte sehen sich vom Prostituiertenschutzgesetz überrumpelt» vom 13.07.2017) Foto: Andreas Arnold/dpa | Verwendung weltweit
    Das Prostituiertengesetz schreibt unter anderem eine Kondompflicht vor. (picture alliance / Andreas Arnold/dpa)
    Zum anderen landen seit der EU-Osterweiterung massenweise sogenannte Armutsprostituierte auf dem deutschen Sexmarkt, so eine Studie der Mannheimer Sozialwissenschaftlerin Julia Wege.
    Das Prostituiertenschutzgesetz aus dem Jahr 2017 soll nun hier rechtlich nachbessern und stellt neue Regeln für das Sexgeschäft auf. Im Kern sind das die Kondompflicht für Freier, die Erlaubnispflicht für Betreiber und Betreiberinnen und die Anmeldepflicht für Prostituierte.
    Anna, die ihren richtigen Namen im Radio nicht hören will, hat sich zum Zeitpunkt unseres Gespräches noch nicht angemeldet. Sie schafft seit zehn Jahren an, bisher ohne Probleme, sagt Anna. Das Prostituiertenschutzgesetz nerve sie; die nun festgeschriebene Kondompflicht sei schlecht für’s Geschäft.
    Gesetz als Gängelung und Stigmatisierung
    "Also ich sag mal so Pi mal Daumen 100 Euro, wo mir fehlen im Monat. Es kommen halt weniger Gäste durch das neue Gesetz. Die trauen sich nimmer zu kommen, weil sie genau wissen ‚französisch ohne‘ gibt´s nimmer. Und des war eigentlich so ein Magnet, sag ich jetzt mal. Ist ja ein Schutz, versteh ich, will ich auch machen, aber durch den Schutz gehen die halt dann zu Frauen hin, die den Schutz halt nicht machen wollen oder vielleicht auch dazu gezwungen werden das zu tun, weil sonst verdienen sie ja nix."
    Anna ist Mitte 40, und sagt, dass sie "auf eigene Kasse" arbeite. Ohne Zuhälter, selbstständig, in ihrer eigenen, kleinen Wohnung. Sie biete sich auf einer Internetplattform an. "Alles bestens", sagt sie. Mit der Prostitution habe sie angefangen, weil ihr Ex-Partner ihr einen Haufen Schulden ans Bein gebunden habe. Sie habe damals schnell viel Geld gebraucht. Ihr Bürojob habe nicht ausgereicht; also versuchte Anna es mit Prostitution - und blieb dabei.
    Dass der Gesetzgeber sie nun zu einem Beratungs- und Informationsgespräch verpflichtet, dass sie sich anmelden muss und einen Arbeitsausweis braucht – all das empfindet die Mittvierzigerin als Gängelung.
    "Bissel als Stigmatisierung. Und dann auch die Mühe. Man braucht zwei Bilder und dann muss man dahin gehen. Ich bin kein Terminfreund. Ich bin ein Termingegner. Da müssen tolle Sachen passieren, damit ich `nen Termin mach."
    Reich ist Anna mit der Prostitution bisher nicht geworden. Hin und wieder, erzählt die Frau, sammle sie sogar Pfandflaschen, um ihr Budget aufzupolstern. Geschlechtsverkehr im Akkord sei nicht ihr Ding. Außerdem sei sie auch nicht bereit, jeden Freier zu jeder Kondition zu bedienen. Anna wählt beim Erstkontakt an der Wohnungstür aus, sagt sie.
    Huren demonstrieren vor dem Brandenburger Tor gegen das Prostituiertenschutzgesetz. Bordellbetreiberin des "Cafe Pssst" Felicitas Schirow | Verwendung weltweit
    Viele Prostituierte fühlen sich von dem Gesetz gegängelt. (picture alliance / Rolf Kremming)
    Eine eigene Tür, geschweige denn eine Wahlmöglichkeit hatte Laila – auch das ein Kunstname – nie. Die blond gefärbte Ungarin spricht nur gebrochen deutsch, obwohl sie schon seit Jahren in Süddeutschland lebt.
    "Viel schlecht passiert. Wenn eine Frau mit Prostitution macht, dann ganze Leben kaputt machen. Wann ich zurücksehe mein Leben, das Schlechte kommt zurück. Das probiere immer ohne Tablette. Viele Frauen deswegen Alkohol oder Drogen."
    Ekel und Demütigung
    Wer Laila geduldig zuhört, erfährt von ihren beiden Kindern. Sie werden es einmal besser haben. Laila sagt das immer wieder, ist überzeugt davon. Das ist der schöne Teil unseres Gespräches. Der hässliche sind die Sexualpraktiken, von denen Laila mit Ekel erzählt, die - wie sie sagt - seltsamen Phantasien mancher Freier, die Demütigungen. Laila sagt, dass sie oft das Gefühl habe verfolgt zu werden und, dass sie an Panikattacken leide. Und dann erzählt sie noch, wie schnell das geht mit dem ungeschützten Verkehr.
    "Hat schon passiert. Mit einem Mann. Er hat immer gesagt, dass er viel Geld zahlt. Ich habe nein gesagt. Ich habe zum Beispiel gesagt: 50 Euro und er wollte mir 500 Euro geben. Dann habe ich gesagt: ‚Ok, ich mache das.‘ Dann habe ich mit ihm geschlafen und als er fertig war, ist er aufgestanden, hat gelacht und gesagt: Ich bin krank."
    Laila weiß zum Zeitpunkt unseres Gespräches nicht, ob sie sich bei diesem Freier infiziert hat. Zu einem Test konnte sie sich bislang nicht aufraffen.
    Frauen wie Laila und Anna will der Gesetzgeber stärker als bisher schützen. In den 38 Paragraphen des Prostituiertenschutzgesetz ist nun zum Beispiel geregelt, dass Arbeits- und Schlafplatz einer Prostituierten im Bordell getrennt sein müssen; dass der Raum, in dem angeschafft wird, mit einem Notrufknopf ausgestattet sein muss; dass unter 18-Jährige keinen Zutritt haben … und vieles mehr.
    Ob und wie stark Prostituierte von den neuen Vorschriften profitieren, ob sich Ausbeutung und Zwang dadurch tatsächlich eindämmen lassen, will die Bundesregierung in einer Evaluierung ab 2022 feststellen lassen. Der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha glaubt schon jetzt fest an die positive Wirkung des Gesetzes.
    "Ich glaube, weil wir den Schutzgedanken für die Prostituierten das erste Mal nominell herausnehmen, erreichen wir doch - und das zeigen die Anmeldezahlen - wir haben immerhin knapp 3.500 Frauen und immerhin 23 Männer erreicht. Das ist mehr als Null."
    Doch die Anmeldung allein ist noch kein Schutz vor Ausbeutung. Spannend ist die Frage, wie viele Frauen im Anmeldeverfahren als Frauen in Zwangslagen identifiziert wurden. Zahlen hierzu kann das Sozialministerium bislang nichtliefern.
    "Bin überrascht, dass die Frauen es so annehmen"
    Anmeldung und Beratung hat das Land an die Kommunen delegiert und der baden-württembergische Sozialminister Lucha lobt, wie gut das alles gelungen sei. Vor Ort setze man auf gewachsene Strukturen und erfahrenes Personal.
    In Stuttgart ist das Gesundheitsamt für die Beratung zuständig. Dort kümmert sich unter anderem die Sozialarbeiterin Corinna Reim um die Prostituierten.
    Reporterin: "Haben Sie denn das Gefühl, dass die Frauen den Weg hierher leicht nehmen?
    Corinna Reim: "Das gelingt besser, als ich es mir vorgestellt habe und ich bin überrascht, dass die Frauen es doch so gut annehmen."
    Corinna Reim öffnet die Türen zu neu und hell gestalteten Räumen und wird nicht müde zu betonen, dass die unterschiedlichsten Frauen zu ihr kommen. Auch die deutsche Verkäuferin, die am Wochenende mit Prostitution ihr Budget aufbessere. Die allerdings repräsentiert nicht die Mehrheit der erfassten Prostituierten.
    18.04.2018, Niedersachsen, Hannover: Polizisten führen Frauen aus einem Haus im Stadtteil Anderten. Mit einer groß angelegten Razzia geht die Bundespolizei seit Mittwochmorgen in zwölf Bundesländern gegen Organisierte Kriminalität vor. Im Fokus stehen gefälschte Visa, Menschenhandel, Zuhälterei und Zwangsprostitution von Thailänderinnen, wie die Bundespolizei in Stuttgart sagte. Das Verfahren liege bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main. Bundesweit sind weit mehr als 1500 Beamte im Einsatz. (Personen aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen unkenntlich gemacht) Foto: Ole Spata/dpa | Verwendung weltweit
    Bei einer großangelegten, bundesweiten Razzia im April 2018 standen Zuhälterei, Zwangsprostitution und Menschenhandel von Thailänderinnen im Fokus (dpa)
    Die neueste Polizeistatistik für Stuttgart belegt 87 Prozent Migrantinnen; in München sind es 89,1 Prozent. Die große Mehrzahl dieser Frauen - auch das belegen die Polizeistatistiken - stammen aus den Armutsregionen Europas, aus Rumänien, Bulgarien und anderen südosteuropäischen Ländern.
    Sozial benachteiligte Frauen, die besonderen Schutz vor Ausbeutung brauchen und ihn durch das neue Gesetz in seiner jetzigen Form nicht erhalten, kritisiert der Augsburger Kriminalkommissar Helmut Sporer. Er wurde als Experte im Bundestag gehört, als es um die Ausgestaltung des Gesetzes ging.
    "Es kommen auch Frauen zur Anmeldung, die erkennbar nicht geeignet sind für diese Branche. Manchmal sind auch Analphabetinnen dabei, die also faktisch nicht in der Lage sind, ihr Leben selber zu organisieren, zu bestreiten. Und da wäre es sinnvoll gewesen, dass man diesen Frauen die Anmeldung verweigert, zu ihrem eigenen Schutz. In einem ersten Entwurf in diesem Prostituiertenschutzgesetz war ein entsprechender Passus verankert, der ist in der Endfassung rausgestrichen worden, das finde ich sehr, sehr schade, weil der Staat sollte schon die Möglichkeit haben, offensichtlich ungeeignete Frauen - ungeeignet in der Form, dass sie sich eben den Widrigkeiten des Milieus nicht erwehren können - zu ihrem eigenen Schutz diese Tätigkeit zu untersagen."
    Die Frage nach der Freiwilligkeit
    Vereine und Verbände, die sich als Vertreter von Prostituierten verstehen, sind gegen Sonderregulierungen. Grundsätzlich, so auch Josefa Nereus vom Bundesverband Sexarbeit, sei das Prostituiertenschutzgesetz überflüssig und nutzlos im Kampf gegen Menschenhandel und Ausbeutung.
    "Wir haben im deutschsprachigen Ausland, zum Beispiel in Österreich, ein ähnliches Anmeldeverfahren. Dort hat man dann festgestellt, dass man, auch wenn man Menschen findet, die von Menschenhandel betroffen sind, sie erstaunlicherweise auch immer eine solche Anmeldung parat hatten. Also es ist kein Instrument, um gegen Missstände in der Sexarbeit vorzugehen."
    Wer sich in Stuttgart als Prostituierte anmeldet und aus dem Ausland stammt, bekommt beim Beratungsgespräch einen Videodolmetscher an die Seite gestellt. Darüber hinaus aber gibt es keine spezielle Betreuung, erklärt Sozialarbeiterin Corinna Reim - und findet das auch gut so.
    "Wir erklären den Frauen einfach grundsätzlich, dass es wichtig ist, dass, wenn sie in diesem Bereich arbeiten, dass es die Freiwilligkeit voraussetzt. Wir haben eine halbe, dreiviertel Stunde im Zusammenhang mit diesem Gesetz die Möglichkeit mit den Damen zu reden und in dem Moment, wo die Frau dann aber sagt: Das ist mein freier Wille, ich möchte das so, dann gibt es keinen Handlungsbedarf für uns. Können wir ja gar nicht, das wäre ja ein Vorurteil."
    Corinna Reim bemüht sich um politische Korrektheit. Für viele Frauen aus Südosteuropa allerdings dürften Begriffe wie "freier Wille" oder "Selbstbestimmung" leere Worthülsen sein. Unter anderem belegt die Biographieforschung der Mannheimer Sozialwissenschaftlerin Julia Wege, dass Prostituierte auffällig oft in Kindheit und Jugend Gewalt und Missbrauch erlebt haben. Die Frage, wo Freiwilligkeit beginnt und endet, ist für viele der oft sehr jungen und meist schlecht gebildeten Frauen aus Südosteuropa kaum zu beantworten, das jedenfalls ist die Erfahrung des Augsburger Kriminalkommissars Helmut Sporer. Häufig würden sogenannte Freunde und Loverboys die Frauen manipulieren und auf den Strich lotsen. Dass sich die Opfer in einem 45-minütigen Anmeldegespräch offenbaren ist für ihn pure Illusion.
    "Die Frauen haben faktisch nichts davon. Es bringt weder für die Transparenz was noch für den Schutz der Frauen. Also die Anmeldepflicht ist eine Scheinverbesserung."
    Die Mär von der sauberen Prostitution
    Wie gnadenlos das Sexgeschäft in Bordellen und Clubs zu Lasten der Frauen ablaufen kann, zeigt ein Prozess, der seit bald elf Monaten am Landgericht Stuttgart läuft. Jahrelang wurde ermittelt. Es geht um Beihilfe zu Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, Zwangsprostitution und Investorenbetrug. Auf der Anklagebank sitzt ,unter anderem, Jürgen Rudloff, der Ex-Chef des FKK-Clubs "Paradise" in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart.
    Jürgen Rudloff (Bordellbetreiber) in der ARD-Talkshow "GÜNTHER JAUCH" am 10.11.2013 in Berlin

Thema der Sendung: Großbordell Deutschland Ð muss Prostitution verboten werden? | Verwendung weltweit
    Der ehemalige Bordellbetreiber Jürgen Rudloff steht mittlerweile vor Gericht (picture alliance / Eventpress Stauffenberg)
    Bekannt wurde Rudloff vor allem dadurch, dass er jahrelang in keiner Talkshow fehlte, wenn es um Prostitution ging. Gern und ausführlich erzählte er die Geschichte von der angeblich sauberen Prostitution in seinem Haus. Bei Tee und Wasser in seinem Büro erklärte er, dass Freier und Prostituierte gleichermaßen bei ihm Eintritt zahlen und er sich als Hotelier sehe - mit spezieller Ausrichtung.
    "Also in erster Linie machen wir unser Geschäft logischerweise mit Sex. Er kommt ja nicht hierher und isst in unserer guten Küche einen Rostbraten und geht wieder. Der kommt ja rein mit dem Vorsatz, eine hübsche Dame zu treffen und vielleicht eine schöne Unterhaltung zu führen und natürlich im Hinterkopf: das Endziel ist der Sex."
    Rudloffs Bordell vor den Toren Stuttgarts lief offensichtlich so gut, dass er es schaffte, die Gier von Investoren anzustacheln – mit aberwitzigen Renditeversprechen, so die Anklage.
    Richtig rund läuft das Sexgeschäft im FKK-Club allerdings nur, wenn immer ausreichend Frauen da sind - möglichst attraktiv, möglichst jung und möglichst willig.
    Als Rudloff noch Chef war, sorgten laut Staatsanwaltschaft unter anderem Rocker der Hells Angels für Nachschub. Zeugen und Opfer berichten von großer Brutalität.
    Im Wald durchgeprügelt
    Seit mehr als einem Jahr sitzt Rudloff in Untersuchungshaft. Zweimal in der Woche wird er in Handschellen in den Verhandlungssaal geführt. Immer in Anzug und Hemd. Ganz Geschäftsmann. Sein Verteidiger und langjähriger Bekannter ,Frank Theumer, besucht ihn regelmäßig in der Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim:
    "Ich weiß, dass er sehr früh aufsteht, das hat er schon früher gemacht. Dann liest er und je nachdem macht er einen Hofgang. Er spielt Schach, versucht viel zu reden, hat Besuche von Verteidigung, von Familie. Und schreibt viel. Der Rudloff, wenn man den so erlebt, ist durchaus sympathisch."
    Das Bild vom kultivierten Saubermann und von der selbstbestimmten Prostitution - vor Gericht bröckelt es. Rudloff zeigt kaum eine Regung während der Verhandlungen. Auch nicht als ein bereits verurteilter Menschenhändler im Zeugenstand ist. Muskelbepackt, üppig tätowiert. Einer der Männer, der Frauen zum Anschaffen im "Paradise" platzierte, um täglich 500 bis 1.000 Euro von ihnen abzukassieren. Manchmal sei er ausgerastet, wenn eine Frau nicht spurte. Sagt der Zeuge.
    Im Gerichtssaal fallen Spitznamen wie "Der Schlitzer" oder "der Teufel". Man habe Frauen in den Wald gefahren und dort durchgeprügelt, man habe das "Bäume zählen" genannt. Die Frauen seien trotzdem in ihn verliebt gewesen, erklärt der Zuhälter dem Vorsitzenden Richter.
    Strafverteidiger Frank Theumer ist sich sicher, dass eine Karriere wie die des Jürgen Rudloff auch heute, in Zeiten des Prostituiertenschutzgesetzes, noch möglich wäre.
    "Ja. davon geh ich aus. Es hat sich im Endeffekt nichts geändert. Es hat sich nur geändert, dass man ein paar Formalien mehr eingeführt hat."
    Während der Betrieb im Paradise-Club auf den Fildern bei Stuttgart mit neuen Besitzern und einer Betriebserlaubnis weitergeht, warten die Bordelle in Stuttgart bislang vergeblich auf die Konzession der Behörden. Die nicht bewilligten Anträge liegen im zuständigen Ordnungsamt.
    Blick in einen Raum des "Artemis", einem Bordellbetrieb mit Wellness-Oase in der Nähe des Kurfürstendammes in Berlin
    Das Prostituiertenschutzgesetz sieht auch vor, dass der Raum, in dem angeschafft wird, mit einem Notrufknopf ausgestattet sein muss (picture alliance / Marcel Mettelsiefen)
    Keiner der Betreiber und Betreiberinnen will sich offen äußern. Einer sagt schließlich am Telefon, dass er den Eindruck habe, die Stadtverwaltung wolle vor allem die Altstadt "trocken legen und kleinere Betrieb ausschalten". Profiteure seien die Großbordelle. Der Leiter des Ordnungsamtes in Stuttgart, Albrecht Stadler, hält dagegen: Man wende schlicht und einfach konsequent das Bau- und Gewerberecht an.
    "Unwürdig, was wir da machen"
    "Es war vorher ein ungeregelter Bereich, der aber durchaus gefahrträchtig ist. Und den jetzt einem Regelungsregime zu unterwerfen aus dem klassischen Gewerberecht, halt ich für sinnvoll, weil vieles eben geregelt ist und einfach auch ein Blick auf die Betreiber. Die müssen alle Prüfungen durchlaufen, wie jeder der eine Gaststätte eröffnen möchte oder eine Spielhalle. Und vorher konnte das ja jeder so, wie´s ihm dünkte."
    Sabine Constabel arbeitet für den Verein "sisters", der Prostituierten unter anderem beim Ausstieg hilft. Sie ermuntert die Behörden, nicht-konzessionierte Betriebe möglichst schnell zu schließen.
    "Wenn jedes Bordell, das illegal ist, sofort geschlossen wird wie jede Pommesbude, die illegal ist - ich weiß nicht, wie lange sind illegale Pommesbuden offen? Doch keine zwei Wochen, dann ist der Laden zu! Wenn man so mit Bordellen umgehen würde, dann wären zwei Drittel der Bordelle weg, weil sie die Ansprüche, die das Prostituiertenschutzgesetz jetzt an Prostitution stellt, nicht erfüllen wollen oder können."
    Sabine Constabel ist überzeugt davon: Wenn die Betriebe geschlossen würden, dann wären auch die Strukturen, die die sexuelle Ausbeutung von Frauen so problemlos in Deutschland möglich machen, erheblich angeknackst. Zuhälter und Menschenhändler hätten dann keine so komfortablen Absatzmöglichkeiten mehr wie bisher, sagt sie.
    Grundsätzlich allerdings gelte in Deutschland - anders als in Frankreich, Norwegen oder auch Schweden - : Sexkauf ist gesetzlich akzeptiert.
    Constabel: "Dieses Gesetz basiert auf dem, dass der Kauf von Frauen zur sexuellen Benutzung legal ist. Solange das legal ist, habe ich es mit Freiern zu tun, die sagen: Wieso? Ich hab doch bezahlt. Klar. Das ist das, was in Deutschland noch passieren muss. Also die Erkenntnis dessen, dass das schlichtweg unwürdig ist, was wir da machen. Diesen Sklavinnenmarkt mitten in unserer Gesellschaft."