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Prostitution
Sexarbeiterinnen halten nichts von neuem Schutzgesetz

Die Bundesregierung hat den Entwurf zum Prostituiertenschutzgesetz beschlossen. Ein mühsam ausgehandelter Kompromiss, der helfen soll, die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen zu verbessern. Neben einer Kondompflicht geht es dabei um neue Meldeauflagen für Prostituierte und Beratungsangebote. Die Betroffenen sind skeptisch.

Von Axel Schröder | 23.03.2016
    Eine Prostituierte wartet in Berlin auf ihre Kundschaft.
    Eine Prostituierte wartet in Berlin auf ihre Kundschaft. (dpa-Bildfunk / Tim Brakemeier)
    Undine de Rivière hat keine Scheu, über ihren Beruf zu reden. Mit engem Rock, in weißer, gebügelter Bluse, mit penibel gezeichneten, rotbraunen Lippen führt sie durch ihre Räumlichkeiten in Hamburg-St. Georg:
    "Wir sind jetzt hier gerade im Studio Rex! Das ist meine Arbeitsstätte. Wir sind hier im großen Salon, mit einem großen, 2,80 Meter großen Orgien-Bett! Ja, hier arbeite ich mehrere Tage die Woche."
    In einer Ecke steht ein schwarzer Gynäkologenstuhl, es gibt jede Menge Peitschen, ein Dutzend verschiedene Perücken. Drei Räume, in denen die Sexarbeiterin mit zwei, drei Kolleginnen ihre Kunden bedient. Ob das alles auch nach der Verabschiedung des so genannten Prostituiertenschutzgesetzes noch Bestand haben wird? Undine de Rivière, Sexarbeiterin und auch Sprecherin des Bundesverbands erotischer und sexueller Dienstleistungen schüttelt über diese Idee nur den Kopf:
    "Das ist für uns ein guter Arbeitsplatz hier. Und der ist massiv gefährdet durch dieses Prostituiertenschutzgesetz."
    Diverse Auflagen für Sexarbeiterinnen
    Denn dann, so sieht es der in langen, zähen Verhandlungen verabredete Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD vor, müssen sich Prostituierte über 21 alle zwei Jahre, unter 21 jedes Jahr erstens bei den Ämtern anmelden. Zweitens müssen ihre Arbeitsstätten dann bestimmten baulichen Vorschriften genügen. Drittens: Jedes Jahr bzw. alle sechs Monate ist ein Gesundheitsberatungsgespräch obligatorisch, viertens: alle Betriebe mit zwei und mehr Prostituierten brauchen eine Konzession, die alle zwei Jahre erneuert werden muss. Josefa Nereus, 30 Jahre alt und seit zwei Jahren als Escort im Geschäft, erklärt in einem Café in Hamburg-Altona, warum sie das geplante Prostituiertenschutzgesetz ablehnt:
    "Problematisch wird es natürlich: Ich habe noch einen anderen Job, einen ganz normalen, regulären Job. Und das ist etwas, was ich schon gerne selbst bestimmen würde, inwieweit wer dort auf solche Informationen einfach Zugriff hat. Oder ob ich mich tatsächlich vor der Situation sehe, zwangsgeoutet zu werden, was auch nach hinten losgehen kann."
    Und für überflüssig hält sie eine alljährlich wiederkehrende Zwangsberatung auf dem Amt. Wo man sich als Sexarbeiterin in Hamburg beraten und auch untersuchen lassen kann, ist bekannt:
    "Hier in Hamburg gibt es das Casablanca, wo man ganz anonym hingehen kann. Das ist eine Stelle, wo auch ich regelmäßig mich untersuchen lasse. Und was ich dort schätze, ist die Anonymität. Ich kann ganz offen alle meine Fragen stellen ohne befürchten zu müssen, dass mein Arbeitgeber, irgendwelche Behörden oder sonst irgendjemand davon Wind bekommt. Und das ist ein sehr großer Luxus. Das schafft Vertrauen und deswegen bin ich immer wieder gerne da."
    Streit um Zwangsberatungen für Prostituierte
    Aber bei freiwilligen Beratungen soll es nach dem Willen der Großen Koalition nicht bleiben. Auf Druck der CDU/CSU-Fraktion soll es nun Zwangsberatungen für alle Prostituierten geben. Anders käme man an die Sexarbeiterinnen nicht heran, die – anders als Undine de Rivière und Josefa Nereus - unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Zum Beispiel an die drogensüchtigen Frauen rund um den Hansa-Platz in St. Georg. Um sie kümmert sich seit 25 Jahren das Team von ragazza. Hier bekommen sie Beratung und Kondome. Und es gibt einen Raum, in dem sie sich mit sauberem Besteck ihr Heroin spritzen können. Das erklärt Gudrun Greb im Büro der Einrichtung. Sie glaubt nicht, dass das Gesetz die Lage der oft obdachlosen Frauen verbessern kann:
    "Die Frauen werden überhaupt kein Interesse haben und sie werden vor allen Dingen keinen Vorteil davon haben, dass sie sich anmelden. Es beschafft ihnen keine Wohnung. Es beschafft ihnen keinen Zugang zur Krankenversicherung, es beschafft ihnen keinen Zugang zu sozialer Teilhabe, zu einem Deutschkurs – zu nichts schafft es ihnen einen Zugang. Außer, dass sie sich outen müssen, dass sie eine Auflage erfüllen müssen. Warum sollten die Frauen dieser Anforderung nachgehen? Maximal aus Angst vor Strafe."
    Denn natürlich sieht das geplante Gesetz auch Bußgelder bei Verstößen gegen die Meldeauflagen vor. Am Ende, ist Gudrun Greb überzeugt, würden die Frauen nur mehr Freier befriedigen müssen, um dann auch noch die Bußgelder bezahlen zu können. Sie hofft darauf, dass nach dem heutigen Kabinettsbeschluss auch bei diesem Gesetz die Weisheit gilt, die einst der SPD-Politiker Peter Struck formulierte: Ein Gesetz verlässt den Bundestag nie so, wie es hineingekommen ist.