Donnerstag, 25. April 2024

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Protestantismus weltweit: Israel
Das Erbe der Templer

Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die ersten Missionare, später ließen sich württembergische Pietisten im damaligen Palästina nieder. 1898 besuchte Kaiser Wilhelm II. das Land, seitdem residiert ein Propst in Jerusalem. Im Jahr des Reformationsjubiläums versucht sich die evangelisch-lutherische Kirche als Mittler zwischen den Religionen.

Von Wolfram Nagel | 01.02.2017
    Hinweisschilder zur Siedlung Waldheim, gegründet von der deutschen-evangelsichen Gemeinde Haifa
    Die Siedlung Waldheim wurde von der deutschen evangelischen Gemeinde Haifa gegründet. (Deutschlandradio / Wolfram Nagel)
    An einer Hauptstraße in der Nähe von Petach - Tikva weist ein Schild auf ein Baudenkmal hin. Wilhelma steht mit lateinischen und hebräischen Schriftzeichen darauf.
    Der Wegweiser darüber zeigt in Richtung Bnei Atarot. So heißt das Dorf seit der Gründung des Staates Israel 1948. Der Moshav mit rund 300 Familien befindet sich im Hinterland des Ben-Gurion - Airports, gebaut 1902 als landwirtschaftliche Mustersiedlung. Mit großen Feldern und Plantagen, zweigeschossigen Häusern aus Naturstein, flachen Ziegeldächern, befestigten Straßen, Schule, Gemeinschaftshaus, Wasserturm.
    Wilhelma war eine von sieben Templerkolonien, die seit 1878/ 79 von protestantischen Einwanderern im damaligen Palästina errichtet wurden, Jahre bevor die jüdischen Kibbuzniks kamen. Ruth Danon erzählt:
    "Die ersten Juden sind her gekommen, da waren schon die Templer da. Die Templer haben gezeigt, waren das Modell: Wie arbeitet man in den Feldern, wie macht man den Kuhstall, das haben sie alles gelernt von den Templern. Die Templer haben sehr viel zum Land rein gebracht."
    Wohnen in der Templerkolonie
    Die pensionierte Agronomin Ruth Danon wohnt mit ihrem Mann in einem der ehemaligen Templerhäuser von Bnei Atarot. Ihre Eltern sind jüdische Emigranten aus dem Badischen. So lernte sie deutsch. Anders als die beiden Geschwister wurde Ruth bereits in Palästina geboren. Zunächst lebten sie in einem Dorf bei Ramallah. Von dort wurden sie 1948 von Arabern vertrieben. In dem von den deutschen Siedlern verlassenen Wilhelma fanden sie eine neue Bleibe.
    "Die Häuser waren wie nach dem Krieg, kein Fenster, keine Tür, alles was man wegnehmen konnte. Erst haben das die Araber gemacht, bis Juli, dann haben das die Juden gemacht. Wir sind gekommen im Dezember. Das war ein schlimmer Winter. Es war sehr kalt. Es war sehr schlimm am Anfang."

    Damals wussten die neuen Bewohner kaum etwas von der Geschichte dieser Häuser. Außer, dass sie Deutschen gehörten, die von den Briten schon während des Krieges nach Australien deportiert worden waren. Die Templer galten als Anhänger der Nazis. Und tatsächlich gibt es Bilder, die NSDAP-Aufmärsche in den 1930er Jahren zeigen. In Wilhelma, aber auch in Haifa oder Jerusalem.
    Die pensionierte Agronomin Ruth Danon in “Wilhelma” bei TelAviv vor ihrem Haus, das von Templern erbaut wurde.
    Die pensionierte Agronomin Ruth Danon in “Wilhelma” bei TelAviv vor ihrem Haus, das von Templern erbaut wurde. (Deutschlandradio / Wolfram Nagel )
    Besuch aus Deutschland
    "Im Jahr 60 ungefähr. Eines Tages kommt mein Mann von der Arbeit und sagt, die Templer sind da. Da bin ich raus. Da steht jemand und fotografiert. Da frag ich, ob ich kann helfen. Und er sagt, ja, ich bin hier geboren in diesem Haus. Das war der Otto Sawatzki von Deutschland. So hat das angefangen. Jetzt ist das schon Tradition. Jedes Jahr kommen die Templer. Jetzt ist das wie Freundschaft. Wir wissen sehr viel über die Templer. Ich war befreundet mit Alex Carmel."
    Ein inzwischen verstorbener jüdischer Historiker aus Haifa, der in den 1970er Jahren als Erster über die Geschichte der protestantischen Einwanderer geforscht und geschrieben hat. Wie sein Schüler Jakob Eisler hat der Wissenschaftler sehr viel zur Rehabilitierung der Templer und anderer religiöser Gruppen aus Deutschland in der israelischen Gesellschaft getan. Jakob Eisler sagt:
    "Im Laufe der Jahre konnten wir ausfindig machen, dass diese württembergischen Templer und die anderen Deutschen, die da in Jerusalem und im Lande gelebt haben, sehr viel für die jüdische Bevölkerung geleistet haben, und das denke ich, wissen auch die Israelis heute zu schätzen."
    Heilige Stätten auch für Protestanten
    Doch schon zwei Generationen vor den pietistischen Templern aus Württemberg, waren protestantische Missionare nach Palästina gereist. Sie ließen sich vor allem in Jerusalem und Bethlehem nieder. Hier wurde 1841 das anglikanisch-preußisches Bistum gegründet, mit Bischof Samuel Gobat an der Spitze, das 40 Jahre existierte. Der Theologe Jens Nieper sagt:
    "Wir sprechen von einer Zeit, wo die Diakonie entsteht. 1836 erfindet Theodor Fliedner die Diakonie und das ist ein kräftiger Impuls für evangelische Kirche gewesen, der dann auch ganz schnell in Palästina aufgenommen worden ist. Der Samuel Gobat, der war ganz mutig und hat dann schon in den 1840er Jahren Diakonieschwestern aus Kaiserswerth kommen lassen, um Einrichtungen zu gründen. Das war sehr experimentierfreudig, das war innovativ."
    Getragen vom Gedanken einer diakonischen Nächstenliebe, so der Theologe Jens Nieper vom Berliner Missionswerk, das in Beit Jala bei Bethlehem die evangelische Schule Talitha kumi betreibt. Außerdem wollten auch protestantische Christen Anteil an den heiligen Stätten erlangen, neben Armeniern, Griechen, Kopten und Katholiken. Jens Nieper:
    "Auch unsere Wurzeln liegen im Heiligen Land und nicht in Wittenberg."
    Gebäude blieben, deutsche Protestanten gingen
    Anders als noch im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es heute keine feste evangelische Gemeinde deutscher Sprache mehr in Jerusalem, auch nicht in anderen Orten Israels oder den Palästinensergebieten, sagt die Theologin Barbara Gierod. Sie forscht über den internationalen Dialog der evangelischen Christen deutscher Sprache in Jerusalem und sagt:
    "Damals kamen alle, ob das die Templer waren oder die Kaiserswerther Diakonissen oder die Herrnhuter Diakonissen, um zu siedeln, das Land mit aufzubauen. Die evangelischen Christen deutscher Sprache heute kommen als Entsandte für sechs Jahre, dann gehen sie wieder, maximal neun Jahre, dann gehen sie wieder. Das ist natürlich 'ne ganz andere Ausgangslage."
    Dauerhaft geblieben sind die Gebäude. Beispielsweise die Häuser der Templer mit den deutschen Bibelsprüchen in Tel-Aviv-Sarona, in Haifa und der deutschen Kolonie an der Emek Refaim in Jerusalem. Oder die von den Deutschen gebauten Kirchen in der ehemaligen Kolonie Walhalla in Jaffa oder in Waldheim - Galiläa bei Nazareth. Und natürlich sind die Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem, die Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg und die katholische Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg Zeugnisse deutsche Baukunst, so Jens Nieper:
    "Die alle mit dem Kaiserbesuch verbunden sind, die Erlöserkirche, die eingeweiht worden ist, die Dormitio, wo der Grundstein gelegt wurde, und die Himmelfahrtkirche, deren Gelände ja im Rahmen des Kaiserbesuchs erlangt worden ist. Das ist schon signifikant bis heute hinein, dieser Kaiserbesuch."
    Der evangelische Probst von Jerusalem
    Seit dem Besuch Kaiser Wilhelms II. im Oktober 1898 und der Einweihung der Erlöserkirche in ummittelbarer Nähe des Heiligen Grabes, residiert auch ein evangelischer Propst in Jerusalem.
    Damals wurden die Pröpste vom preußischen König entsandt, heute von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). "Seit 1898 im Grunde genommen ist das für viele hier auch ein Begriff für die deutschen Lutheraner hier eben im Lande", sagt Wolfgang Schmidt.
    Er leitet seit gut vier Jahren die deutsche evangelische Gemeinde im Heiligen Land. Er ist der siebzehnte Propst, seit Pastor Paul Hoppe 1898 als Erster in das Amt berufen wurde. Propst Schmidt:
    "Kaiser Wilhelm II. hatte sehr konkrete Vorstellungen, wie er seine Rolle hier selbst interpretiert hat, als neuer Konstantin gewissermaßen, aber auf der anderen Seite waren die Protestanten, wie es ihr Profil ist, insbesondere in der Bildungsarbeit und in der sozialen Arbeit hier sehr engagiert."
    Eine lutherische Gemeinde in Ramallah
    Und das sind sie auch heute noch. Sie betreiben nicht nur die Schule Talitha kumi im Westjordanland, sie unterstützen auch die wenigen lutherischen Gemeinden palästinensischer Christen in Jerusalem, Bethlehem, Beit Sahour oder Ramallah. Letztere wurde vor über 50 Jahren von palästinensischen Flüchtlingen gegründet. Geleitet wird die Gemeinde von Pfarrer Imad Haddad.
    "Wir haben eine enge Partnerschaft mit den Kirchen in Deutschland, mit dem Jerusalem-Verein. Der Jerusalem-Verein ist ein wichtiger Akteur im Heiligen Land."
    Unterstützt wird beispielsweise die evangelisch-lutherische Schule von Ramallah. Dort lernen Jungen und Mädchen, Christen und Muslime gemeinsam, was ansonsten gar nicht selbstverständlich ist. Imad Haddad sagt:
    "Das ist unsere Strategie, der wir folgen, sich gegenseitig zu akzeptieren und die anderen zu respektieren. Und das ist auch unser Beitrag für ein besseres Zusammenleben."
    Kirche mit Mittlerfunktion
    So nimmt die evangelisch-lutherische Kirche in Israel, in Jerusalem und in den Palästinensergebieten eine Mittlerfunktion zwischen den unterschiedlichsten religiösen Gruppen, aber auch zwischen den Ethnien ein. Und die solle auch im Reformationsjahr deutlich werden, meint Propst Wolfgang Schmidt. Von Ostern bis zum Reformationstag werde es eine ganz besondere Aktion auf den Dächern der Jerusalemer Altstadt geben. Eine Klanginstallation -
    "Wo ein Rabbiner aus dem Alten Testament in hebräische Sprache, ein Muslim in arabischer Sprache aus dem Koran und ein Christ in griechischer Sprache aus dem Neuen Testament Verse liest, die mit dem Thema gute Nachbarschaft, Respekt, Toleranz, Verständnis füreinander zu tun haben. Das ist ein Akzent, den wir aus Anlass der Reformation setzen, um zu zeigen, reformierte, evangelische Kirche ist eine weltoffene Kirche, die sich für Verständigung unter den verschiedenen Religionen in dieser Stadt bemüht."